von Lisa Reinisch
Reisen trotz Pandemie – klingt komisch, ist aber, wie wir jetzt wissen, absolut möglich. In einer Zeit, in der die Bewegungsfreiheit keine Selbstverständlichkeit ist, in der sich jede noch so kleine Reise wie ein großes Privileg anfühlt, kommt gerade jetzt große Dankbarkeit auf, für die Orte, Menschen und Erlebnisse, die uns dieser dritte Sommer seit Beginn der Pandemie beschert hat.
Wir alle haben neue Reisestile und -ziele ausprobiert, je nachdem, was, wann und wo möglich war. Wie haben wir das geschafft? Indem wir eine neue, flexiblere Philosophie des Reisens kultiviert haben – und mit jeder Menge Recherche natürlich. Spätestens die letzten paar Jahre haben uns alle in wahre Internet-Detektive verwandelt, wobei das Einlesen in mögliche Reiseziele keine Ausnahme darstellt. Dabei sind wir heikler geworden, was unsere Informationsquellen betrifft. Einfach schnell bei Lonely Planet & Co reinschauen ist nicht mehr – wir wollen kleinmaschigere Filter, echte Geheimtipps und bloss keine Massenabfertigung. Wir wollen brandaktuelle Infos über Covid-Bestimmungen und Verkehrssituationen, wollen aber auch nicht andauernd am Screen hängen.
An dieser Stelle bitte ein Trommelwirbel für… die neue Generation des Reiseführers. Das sind bildhübsch gestaltete, meist in kleiner Auflage erscheinender, wunderbar in der Hand liegender Büchlein, die hervorragend dazu geeignet sind, sich schon vorab richtig auf ein Reiseziel einzustimmen und, einmal dort angekommen, in einem Kaffeehaus, an einem Lagerfeuer, am Strand - je nachdem - damit herumzulümmeln. Eat Write Live ist eine in Österreich erscheinende Serie solcher Reiseführer, die wir euch hier gerne vorstellen wollen.
In einem ausgelassenen Gespräch, bei einer Kanne sorgfältig zubereiteten Tees, erzählen uns
die ehemaligen Studienkolleginnen Vera Bachernegg und Katharina Maria Zimmermann, wie die Pandemie ihren Reisestil verändert hat, wie man genüsslich solo unterwegs ist und über die Magie des Ungeplanten.
Wie würdet ihr eure Reisephilosophie beschreiben?
KM: Wir essen beide gern, wir geniessen gern und wir mögen es so regional und so nachhaltig
wie möglich - das war uns immer schon wichtig, schon bevor das so en vogue war. Das haben
wir bei allen Büchern verfolgt, die Frage: Wie kann man mit den Dingen, die es nur hier, an
diesem Ort gibt, etwas zaubern? Ich möchte gerne dorthin, wo ich die Kultur spüren und erleben
kann.
V: Zusammenfassend würde ich sagen, wir haben immer diesen Drang gehabt, nicht nur die
Oberfläche mitzukriegen, sonder auch zu verstehen, wie das Leben vor Ort funktioniert. Und
das klappt besonders gut, wenn ich lokale Betriebe kennen lerne oder wo mitmache. Das haben
wir beide extrem in uns.
KM: Einen Kochkurs zu machen ist da eine gute Möglichkeit. Für mich ist es auch, dass ich bei
einer Yogastunde mitmache, egal wo ich gerade bin. Da lernt man immer Leute kennen und
wird in eine Community aufgenommen.
V: Die besten Reisen sind immer, wenn man irgendwo gute Freunde hat, die einen
herumführen. Und unsere Reisebücher sollen genau so sein.
Gibt es Erfahrungen, die ihr besonders gerne weitergebt?
V: Was ich beim Reisen immer schon gut gefunden habe, war es, regionale Hersteller
kennenlernen zu können. Ich finde, das macht man beim Reisen oft gar nicht genug, dabei ist
das enorm bereichernd - also in eine Käserei oder zu einem Weinproduzenten zu gehen. Oder
auch mit jemandem Wildkräuter sammeln, bei einer Töpferei reinschauen… Da kriegst du
wirklich was mit.
Regionale Produzenten kennen zu lernen ist auch deswegen toll, weil das grundsätzlich sehr optimistische Menschen sind. Das sind Leute, die eine Idee gehabt haben und diese auch durchgezogen haben.
KM: Das ist auch der rote Faden, der sich durch die Bücher zieht. Das merkt
man sofort, wenn man eine Person trifft, die genau das gefunden hat, was sie liebt. Das strahlt
diese Person dann richtig aus, weil sie mit sich selbst so im Reinen ist. Solche Menschen
stellen wir gerne vor. Normalerweise geht man ja nicht zu jemandem hin und sagt: Hey, kannst
du mir mal erklären, was du so machst?
V: Das wäre aber eigentlich eine richtig tolle neue Art zu reisen, dass man sich das manchmal
vornimmt, oder?
KM: Ja, viel mit Leuten reden, das gehört unbedingt dazu. Und viel herumspazieren. Bei mir ist
das immer noch so: ich geh’ um ein paar Ecken und finde irgendwas.
Wie unterscheidet sich eure Arbeit bei Eat Write Live von euren früheren Jobs bei
Reisemedien?
KM: Dass wir nicht einfach nur Pressetexte verwerten oder bei klassischen Pressereisen
mitfahren. Ich hatte eine Phase im Leben, da war ich auf einigen Pressereisen und dann kriegt
man halt genau vorgekaut, was man schreiben soll. Alles, was in unseren Büchern drin ist,
haben wir selbst gesehen und geprüft. Wenn wir etwas lustig finden, bringen wir das - nicht weil
irgendwo irgendwas politisch entschieden wurde. Wir sind niemandem gegenüber verpflichtet
und wir bringen etwas so groß oder klein, wie wir es haben wollen.
V: Wir heben vielleicht einmal einen Apfelsaft in die Höhe - der kriegt dann vier Seiten - weil wir
das ganze Ding einfach cool finden. (Beide kichern.)
KM: Über alles, was wir machen, könnte man den Begriff “Bauchgefühl” drüberlegen. Uns war
es immer wichtig, unserem Bauchgefühl zu folgen. Und uns möglichst von niemandem
reinreden zu lassen. Vielleicht war das auch blöd von uns. Jemand von einem Verlag hat uns
einmal gesagt, unsere Titel müssten auf Deutsch sein und es müsste klarer sein, worum es
eigentlich geht. Aber es war halt so wie es war, dafür haben wir ja dann doch eine Menge
Bücher verkauft.
Der dritte Pandemie-Sommer neigt sich dem Ende zu. Wie hat Covid euren Reisestil verändert?
V: Was sich bei mir verändert oder, besser gesagt, verstärkt hat, ist, dass ich jetzt noch lieber mit dem Zug, mit dem Bus, mit dem Fahrrad unterwegs bin. Ich bin ohnehin ein flug-ängstlicher Mensch, also hatte ich gar kein Problem damit, dass man nicht fliegen konnte.
Der Radius ist kleiner geworden und damit einhergehend kam dann dieses Gefühl, dass auch in einem kleineren Radius so viel passiert, dass es einem gar nicht langweilig werden kann.
Im Hinterstübchen habe ich das schon gewusst, aber da habe ich es dann gespürt. Das war für mich eine coole Erkenntnis.
KM: Als die Pandemie über uns hereingebrochen ist, war ich gerade in Schottland. Irgendwie
bin ich dann über Berlin mit dem Zug nach Wien gekommen. Als ich dann am ersten Tag in
meiner Wohnung aufgewacht bin, kam mir schon der Gedanke: Oh Gott, ich kann nicht ans
Meer! Das war schlimm, aber ich bin dann draufgekommen, dass man sich in den Wald legen
und in die Baumkronen schauen kann. Die machen im Wind das Gleiche wie Wellen im Meer.
Und das zu beobachten beruhigt mich auf die gleiche Art. Man kann also vieles auch woanders
finden.
V: Man lebt einfach in der permanenten Haltung, dass gewisse Dinge vielleicht demnächst nicht
mehr gehen. Also man plant voraus, aber es ist auch kein Drama, wenn es dann nicht passiert.
KM: Wir sind große Fans des KlimaTickets, das gibt einem enorme Freiheit. Dann nehme ich
das Rad mit und bin dann vor Ort ganz frei unterwegs.
Das sind Dinge, die ich vor der Pandemie nicht so gemacht hätte und vielleicht hat sich da wirklich etwas getan, dass es einem noch bewusster wird, was will ich eigentlich dem Klima antun und was nicht?
V: Was sich bei mir auch geändert hat: ich habe letztes Jahr zum ersten Mal eine mehrtägige
Radtour gemacht. Hätte ich früher wohl eher nicht gemacht, da wäre ich vielleicht mit dem Auto
nach Nordfrankreich gefahren, oder sowas. Hat mir extrem gut gefallen, weil du auf so einer
Radtour so viele Details besser wahrnehmen kannst. Und so etwas haben wir jetzt auch für
Südtirol geplant. Und wenn das nicht gehen sollte, dann nehmen wir eben den Drau-Radweg.
Also ich versteife mich jetzt nicht mehr so auf das Ziel.
Diesen Sommer haben viele Reisende auch mit der Unzuverlässigkeit von
Verkehrsmitteln zu kämpfen gehabt - hat euch das auch betroffen?
V: Naja, es kann schon auch unangenehm werden. Wenn ein Anschlusszug nicht kommt und
man plötzlich spät abends auf einem Bahnsteig steht und sich einen neuen Weg bahnen muss.
Das Ganze mit dem Fahrrad in der einen und einem riesigen Koffer in der anderen Hand. Das
ist dann doch nicht so lustig, auch wenn man noch so resilient sein möchte.
KM: Vielleicht müssen wir uns darauf einstellen, dass alles länger dauert, als man denkt. Und
die Fähigkeit kultivieren, Alternativen zu finden. Als ich das letzte Mal in Schottland war, musste
ich aufgrund der Pandemie kurzfristig darauf verzichten, WOOFen zu gehen (Anm.: Working on
Organic Farms – WOOF – ist eine globale Organisation, die temporäre Arbeiter an Bio-
Bauernhöfen vermittelt.) Und es war dann einfach egal, ich habe dem nicht so lange
nachgetrauert. Man lässt gewisse Dinge schneller los.
Ihr seid oft solo unterwegs. Hättet ihr Tipps für Leute, die sich noch nicht ganz an einen Solo-Urlaub heranwagen?
KM: Wenn man allein unterwegs ist, ist man im Endeffekt oft gar nicht so alleine, wie man sich
das vorstellt. Man ist ja viel offener und achtsamer und trifft Leute. Ich mag den Ausdruck
“relying on the kindness of strangers”, also sich darauf zu verlassen, dass die Welt gut ist, und
nicht böse. Ich hatte da schon so viele schöne Begegnungen und bis jetzt auch nur positive
Erfahrungen. Vielleicht wäre eine Art Retreat ein guter Einstieg für jemanden, der noch nie
alleine gereist ist. Am Anfang kennt sich keiner, wie am ersten Schultag, aber dann hat man
sofort Anschluss.
V: Ich bin auch gern allein unterwegs, da muss man nur auf sich selbst Rücksicht nehmen. Man
kann bei Führungen mitgehen oder Kurse machen. Okay, das mit dem Essen gehen, das kenne
ich von mir selbst, ist schon eine Überwindung. Da kann ein Buch, eine Zeitung oder ein
Notizblock helfen. Oder man schaut einfach einmal ganz mutig nur in der Gegend herum. Das
ist auch okay, deswegen ist man noch lange kein Weirdo!
Stichwort Spontanität. Wie reist ihr, wenn ihr privat unterwegs seid - gibt es da eine volle Tagesplanung oder wird einfach in den Tag hinein gelebt?
KM: Ich organisiere gern, aber ich lehne mich jetzt auch gern mal zurück und schaue, was sich
ergibt. Das war vor den Büchern sicher nicht so! Jetzt habe ich keinen Anspruch mehr auf
Vollständigkeit.
V: Ich bin auch darauf gekommen, dass mein eigener Plan oft nicht der beste ist. (Beide
lachen.) Es ergeben sich oft Dinge, die etwas ganz anderes bringen, und das ist dann auch
besser so. Ich war immer schon eher so, dass ich gerne Dinge auf mich zukommen lasse.
KM: Stimmt, das war immer ein Unterschied zwischen uns: ich habe immer gern alles
durchgeplant und du gehst einfach in den Tag hinein. Also ich würde sagen, ich habe mich dir
angenähert.
V: Weil du einfach gemerkt hast, dass das so “amazing” ist! (Beide lachen.)
KM: Ja! AMAZING! AWESOME! Das kommt wohl daher, dass ich oft viel zu getaktet gereist bin.
Demnächst bin ich wieder drei Tage auf Recherche und auf diese Art Programm hat man privat
dann nur noch bedingt Lust.
V: Ja, also auf Dauer macht einen das ja wahnsinnig. Ich werde zum Beispiel ganz grantig,
wenn man mich wo wegholen will, wo ich gerade gerne bin. Also, wenn eine Situation richtig gut
ist und dann soll ich dort weg, nur weil theoretisch der nächste Programmpunkt ansteht.
KM: Unterwegs ergeben sich einfach Sachen. Dafür muss Raum sein, gerade das ist ja die
Magie.
Die Reisebücher von Eat Write Live findet ihr jetzt auch
in der MyGiulia Boutique
Im Gespräch mit
Die Autorinnen Vera und Katharina, die mit Eat Write Live mittlerweile einen Eigenverlag und eine Werbeagentur führen, haben sich während des Anglistik-Studiums in Graz kennengelernt. Bei einer gemeinsamen Abschlussreise durch England beschlossen sie, ein Buch über Cornwall zu schreiben.
Ähnlicher Geschmack und das Gespür für das Besondere lassen sie gemeinsam neue Plätze erkunden. Bisher sind in der Reihe Eat Surf Live–das Cornwall Reisebuch, Eat Hike Live–das Steiermark Reisebuch und Eat Bike Live–das Sylt Reisebuch erschienen. Eat Surf Live hat den Globetrotter Reisebuchpreis, Eat Hike Live den Green Panther für Editorial Design gewonnen.
Mehr Informationen findet ihr bei @eatwritelive
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