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Beate Uhse: Seid nett aufeinander!

TEXT: ESZTER AMBRÓZI


Tante Sex, Pornomutti oder Visionärin der sexuellen Befreiung:

Wer war die Unternehmerin Beate Uhse? Die Geschichte der umstrittenen Pionierin der Erotikbranche und Gründerin des ersten Sexshops der Welt.



Foto mit Beate Uhse und Verkäuferinnen in einem Sexshop in Amsterdam (1971) I Sex & sexuelle Freiheit I myGiulia
Beate Uhse mit Verkäuferinnen in einem Sexshop in Amsterdam (1971)

 


Ihr Name ist Programm: Beate Uhse. Er prangt von den Eingängen zu den Sexshops, die heutzutage entlang fast jeder großstädtischen Einkaufsstraße zu finden sind. Die 1919 geborene deutsche Unternehmerin eröffnete 1962 in Flensburg den ersten Sexshop der Welt, 1976 lag der Jahresumsatz des Unternehmens bei 60 Millionen D-Mark. Heute ist das Unternehmen der 2001 verstorbenen Uhse Teil der EQOM Group mit einem Jahresumsatz von 212 Millionen Euro im Jahr 2021. Sex sells…


Aber wer war die Frau, die zunächst mit Aufklärung über Verhütung, den Verkauf von Kondomen und dem Hinweis, dass es sich bei Sex und Liebe um zwei verschiedene Dinge handelt, das prüde, kaputte Nachkriegsdeutschland Richtung Wirtschaftswunder und sexuelle Revolution der 1960er begleitete? Emanzipierte Vordenkerin, Feministin oder knallharte Geschäftsfrau – wer war Beate Uhse?

 


Foto von Beate Uhse vor einem Flugzeug I Foto von Sven Simon I Sex und sexuelle Freiheit I myGiulia
© Sven Simon

 

Mit Entschlossenheit und Durchhaltevermögen kämpfte sie gegen die Hürden ihrer Zeit an, brach Tabus und wurde auch als eine der Wegbereiterinnen der sexuellen Revolution des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Doch auch nach ihrem Tod bleibt Beate Uhse eine kontrovers diskutierte Persönlichkeit. Kritiker*innen bemängeln, dass es ihr nie um die Gleichberechtigung der Frau gegangen sei. Bei einem näheren Blick auf Beate Uhses Biografie zeigen sich Seiten, die aus heutiger Sicht nur schwer nachzuvollziehen und noch schwerer zu verstehen sind. Wir werfen einen Blick auf das Leben der erfolgreichsten Unternehmerin Deutschlands des 20. Jahrhunderts.

 


Anfänge in den Wolken


Beate Uhse wird 1919 als Tochter des Gutsbesitzers Otto Köstlin und seiner Frau Margaret, einer der ersten Ärztinnen Deutschlands, in Ostpreußen bei Cranz (heute Selenogradsk, Russland) geboren. Sie wächst zusammen mit zwei älteren Geschwistern auf und besucht die reformpädagogische „Schule am Meer" auf Juist und das Internat Odenwaldschule im hessischen Heppenheim.

 


Beate mit 14 Jahren bei Ebbe auf Bahnschienen balancierend in Ostfriesland I myGiulia
Beate mit 14 Jahren bei Ebbe auf Bahnschienen balancierend in Ostfriesland

 

Dank ihrer fortschrittlich denkenden Mutter wird sie schon früh über Sexualität und Sexualhygiene aufgeklärt. Die gesamte Familie hat ein progressives Weltbild. So unterstützen ihre Eltern die junge Beate bei ihrem damals für ein Mädchen unkonventionellen Berufswunsch Pilotin. In einer Flugschule in Berlin wird sie tatsächlich zur Pilotin ausgebildet und erwirbt als einzige Frau unter 60 Flugschülern den Pilotenschein. Sie beginnt als Praktikantin in der Firma Bücker Flugzeugbau in Rangsdorf zu arbeiten und wechselt 1938 als Testpilotin zum Flugzeugwerk Alfred Friedrich in Strausberg. Mit 18 Jahren ist sie die jüngste Pilotin Deutschlands – später sogar eine der einzigen weiblichen Kunstpilotinnen im Land. Zudem wirkt sie als Stuntpilotin in Filmen der UFA-Studios in Babelsberg mit, teilweise allerdings auch in Propagandafilmen des NS-Regimes. In den Kriegsjahren arbeitet sie ebenfalls für das Deutsche Reich – ein Fakt, den sie später kaum reflektiert oder öffentlich bespricht und der oft kritisiert wurde. Noch in viel späteren Jahren spricht sie persönlich stolz über ihre Leistung: „Ich wurde als einzige Frau in die zweite Staffel meines Geschwaders versetzt, die Jagdflugzeuge und Stukas überführte.“


Die Zeitschrift „EMMA" fällt in einem Porträt 2019 ein hartes Urteil: „Beate Uhse ist eine Emanze. Eine, die sich auf Kosten von Frauen emanzipiert und es mit Kerlen hält. Eine, die alles kann und alles tut. Eine, die immer dabei ist. An vorderster Front. Seite an Seite kämpft sie mit den Kameraden. Im Nazi-Krieg wie im Sex-Krieg. Gestern mit Bomben. Heute mit Pornos." Auf die Frage, warum sie für Hitlers Luftwaffe Bomber geflogen habe, antwortete sie ebenda: „Das war einfach mein Beruf, den ich liebte. Stellen Sie sich einmal vor: Sie sind eine begeisterte Journalistin, und Sie gehen völlig in Ihrem Beruf auf. Würden Sie ihn in einer solchen Situation aufgeben?“

 



Beate Köstlin als Testpilotin beim Flugzeughersteller Bücker (1937) I © Hans-Jürgen Uhse I myGiulia
Beate Köstlin als Testpilotin beim Flugzeughersteller Bücker (1937) I © Hans-Jürgen Uhse

 


Beates Schicksal nimmt eine Wendung, als ihr Mann Hans-Jürgen Uhse, ihr Fluglehrer, den sie bei der Ausbildung kennengelernt hat, im Zweiten Weltkrieg fällt und sie mit ihrem einjährigen Sohn zurückbleibt. Nach einer erfolgreichen Flucht mit ihrem Sohn vor der Roten Armee gerät sie sechs Wochen in britische Kriegsgefangenschaft nahe der deutsch-dänischen Grenze. Im Mai 1945 werden sie und ihr Sohn in einer zur Flüchtlingsunterkunft umfunktionierten Schulbücherei des dänischen Dorfes Braderup untergebracht.


Der Krieg beendet ihre Karriere, denn die Besatzungsmächte verbieten der deutschen Bevölkerung jegliche fliegerische Tätigkeiten. Mit Kriegsende wird Beate auf den harten Boden der Tatsachen geholt: Sie hat nicht nur ihren Ehemann, sondern auch ihre Einkommensquelle verloren und muss sich als alleinerziehende Mutter den Herausforderungen der Nachkriegszeit stellen.

 


Aus der Not Ideen schöpfen


Nach dem Krieg und ihrer Flucht bemerkt sie im Austausch mit den Frauen im Flüchtlingsheim schnell den schockierenden Mangel an Aufklärung über Sexualität und Verhütung, der um sie herum herrscht. Anfangs führt sie Einzelgespräche mit ihren Mitbewohnerinnen, die ihr vertrauen und sich mit ihren damals als „unzüchtig” gesehenen Fragen an sie wenden. Die meistgestellte Frage ist dabei stets die nach der Schwangerschaftsverhütung.

 


Es sollte das selbstverständliche Recht jedes Menschen sein, die Größe seiner Familie je nach seinen sozialen Verhältnissen zu bestimmen." - Beate Uhse

 


Doch sehr schnell übersteigt die Nachfrage ihre Möglichkeiten und sie fängt an, ihr Wissen aufzuschreiben. Mittels der selbst verfassten Handzettel, die sie für 2,70 Reichsmark verkauft, klärt sie tausende Frauen in Deutschland über die Kalendermethode auf (eine Methode zur Berechnung der fruchtbaren Tage im Zyklus, die jedoch nicht zur Gänze verlässlich ist, worüber Beate die Frauen ebenfalls informierte) und bietet ihnen somit eine zumindest teilweise sichere Verhütungsmethode und die Möglichkeit zur Selbstbestimmung und Kontrolle über ihre Fruchtbarkeit. Dazu eine historische Einordnung: 1950 kostete ein Kilo Brot ca. 50 Pfennig. Zu dieser Zeit lernt sie ihren späteren zweiten Ehemann, Ernst-Walter Rotermund, kennen, der sie bei ihren Unternehmungen unterstützt und dazu ermutigt, ihre Niederschriften zu verkaufen. So entsteht 1947 die Schrift X, deren erste Ausgabe 30.000 Kopien verkauft und Beate somit das Startkapital für ihr Unternehmen verschafft. „Es sollte das selbstverständliche Recht jedes Menschen sein, die Größe seiner Familie je nach seinen sozialen Verhältnissen zu bestimmen", schreibt sie darin.

 


Foto Leuchtschrift Firmenzentrale Beate Uhse AG in Flensburg, Deutschland I  Foto: fleno.de I myGiulia
Die Firmenzentrale der Beate Uhse AG in Flensburg I © fleno.de


Geschäftsmodell des andauernden Freiheitskampfes


Die Zeiten, in denen Beate Uhse ihr Unternehmen gründet, sind allerdings ganz andere als heute. Die Nachkriegszeit stellt Menschen vor unvorstellbare Herausforderungen, eine davon ist die Empfängnisverhütung. Besonders für Frauen, die mit Wohnungslosigkeit und Zukunftsängsten kämpfen, ist der Wunsch nach einer kontrollierten Familienplanung überlebenswichtig. Obwohl der Bedarf nach einem offenen Diskurs über Sexualität und Verhütung also eindeutig vorhanden ist, verbieten die Konventionen und gesellschaftlichen Normen der damaligen Zeit einen Austausch. Beate Uhse füllt diese Lücke mit ihrem Unternehmen namens „Spezial-Versandhaus für Ehe- und Sexualliteratur und für hygienische Artikel” geschickt. Aus ihren Schriften werden Bücher. Ihre Mission ist es, den Sexualtrieb streng von der Zeugung zu trennen.

 


 


Die Spannungen dieser Zeit machen das Geschäft allerdings äußerst kompliziert: In der Öffentlichkeit trauen sich aufgrund des gesellschaftlichen Klimas anfangs die wenigsten zuzugeben, dass sie sich für das Thema Sexualität und Sexualhygiene interessieren. In einer Gesellschaft, die von patriarchalen Normen und Vorstellungen geprägt ist, wird Beate oft als Bedrohung für das moralische Gefüge angesehen. Verhütung und Familienplanung werden zudem noch von der Kirche beeinflusst und als unzüchtig und verwerflich gesehen. Doch hinter den Kulissen sind die Menschen natürlich hungrig nach diesem Wissen.

 




 

Die Anzahl der Kund*innen von Beate Uhse wächst stetig und sie erweitert ihr Sortiment mit Kondomen und anderen Produkten. Geschickt reagiert sie dabei auf das Feedback ihrer Kund*innen und passt ihr Angebot an. Was nicht läuft, wird gestrichen. Beate ist durch und durch Geschäftsfrau und beweist sich ein weiteres Mal in einem männerdominierten Feld. Bald hat die Pionierin der Erotikbranche 14 Mitarbeiter*innen und Anfang der 60er-Jahre bereits fünf Millionen Kund*innen deutschlandweit.

 


Beate Uhse feiert die Eröffnung eines Sexshops 1971 in Amsterdam I Foto Anefo I myGiulia
Beate Uhse feiert die Eröffnung eines Sexshops 1971 in Amsterdam I © Anefo


Bedrohung der moralischen Ordnung


Doch Beates Unternehmen erregt nicht nur die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, sondern auch die der Justiz. Die deutsche Staatsanwaltschaft sieht sie als Bedrohung der moralischen Ordnung. Während die zielstrebige Geschäftsfrau ihre Firma weiter aufbaut und neben Versandhäusern in Flensburg auch das erste „Geschäft für Ehehygiene” eröffnet, wird sie immer wieder mit Anzeigen überhäuft. Dank des berüchtigten Paragraphen 184 des Strafgesetzbuches, der Unzucht unter Strafe stellte, findet die konservative Staatsanwaltschaft immer wieder neue Angriffsflächen.

 


 


Tante Sex


Aber die ehrgeizige Unternehmerin gibt nicht nach. Sie verteidigt sich nicht nur gegen jede einzelne der über 2.000 Anzeigen, sondern hinterfragt auch die Relevanz des Paragraphen 184, da sie ihn als veraltet sieht. Auch aufgrund Beates sturem und konstanten Widerstandes wird dieser Paragraph im Jahr 1973 nach einem weiteren von ihr gewonnenen Gerichtsverfahren umgeschrieben und modernisiert.

 


Hier steht der Orgasmus vor Gericht." – Beate Uhse

 

Mit dieser Gesetzesänderung wird ein fundamentaler Grundstein zur sexuellen Befreiung gelegt. Als eine der Ersten trifft Uhse den Nerv der Zeit und trägt zur Liberalisierung der Sexualmoral in der Bundesrepublik bei, aber auch zur Pornografisierung der Gesellschaft. Trotz der vielen Widerstände wächst ihr Geschäftsfeld unaufhaltsam. Was einst als kleines Versandhaus begonnen hat, entwickelt sich zu einem der größten Erotikunternehmen. Eine Entwicklung, die öffentlich immer wieder auch sehr kritisch betrachtet wurde. In einer patriarchalen Gesellschaft muss ein Erotikunternehmen, das kommerziell erfolgreich sein wollte, männliche Bedürfnisse vor weiblichen ansprechen: das Erfolgskriterium war die Befriedigung des männlichen Auges. Hier hätten sich viele Chancen zur wahren Emanzipation der weiblichen Sexualität geboten, die Beate – laut Kritiker*innen – zugunsten des Profits nicht wahrnahm, denn ihr Unternehmen befriedigte mit gewaltverherrlichender und frauenfeindlicher Pornografie Männerfantasien und fuhr damit Millionengewinne ein.

 


Foto Beate Uhse Sexshop Flughafen Taiwan I © Jason Wu I myGiulia
Ein Beate Uhse-Sexshop am Flughafen Taiwan I © Jason Wu


Ein kompliziertes Erbe der Freiheit


Heute, mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Gründung ihres ersten Sexshops, ist die Frage nach dem Vermächtnis der 2001 in der Schweiz verstorbenen Beate Uhse eine Einladung zu einer Diskussion, die man sehr kontrovers führen kann. Trotz der berechtigten Kritik ist nicht zu leugnen, dass ihr Unternehmen Tabus gebrochen und einen Raum geschaffen hat, in dem Menschen freier über ihre Sexualität sprechen konnten. Ihr unerschütterlicher Einsatz für sexuelle Aufklärung und Selbstbestimmung hat Generationen von Frauen und Männern dazu inspiriert, für ihre Rechte einzustehen. Sie riskierte dafür immer wieder ihr gesamtes Hab und Gut. Mit welcher Motivation? Darüber lässt sich streiten.

 


Buchtipp myGiulia I Katrin Rönicke I Beate Uhse - Ein Leben gegen Tabus I myGiulia

Buchtipp


Katrin Rönicke

Residenz Verlag


 

 








Filmtipp myGiulia I Beate Uhse - Das Recht auf Liebe I Filmcover I Franka Potente I myGiulia

Filmtipp



Obwohl an der Regie des Filmes einiges bemängelt werden könnte, erzählt er einfühlsam die Geschichte des Unternehmens von Beate Uhse, geht allerdings auch nicht näher auf ihre NS-Vergangenheit ein.


 





Quellen und weiterführende Links


 



 

Unsere Autorin

 

Eszter Ambrózi I Foto in der Natur I Podcast Wiener Melange I Autorin myGiulia

Eszter Ambrózi wuchs zwischen Wien, Budapest und dem Plattensee auf, bevor es sie in die weite Welt hinauszog. Nach einigen Jahren im Ausland und einer abgeschlossenen Ausbildung als Übersetzerin und Dolmetscherin, geht sie nun ihrem Kindheitstraum eines Schauspielstudiums nach.


Sie engagiert sich mit ihrem Podcast “Wiener Melange” für Gleichstellung innerhalb der Gesellschaft.


Wenn am Rande noch Zeit bleibt, arbeitet Eszter als Fotografin, Regisseurin und Model an kreativen Projekten in Wien und Paris.



Mehr Infos zu Eszter findest du hier @eszterjules 

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