von Eszter Ambrózi
Alleinsein, Zeit für sich, nur nach der eigenen Uhr ticken - das klingt nach Luxus.
Es ist oft schwer, im Alltag Momente zu finden, die nur einem selbst gehören.
Momente, in denen man allein bestimmt, was man tut, in denen man nur seine eigene Stimme hört und seine Bedürfnisse wirklich wahrnehmen kann. Denn unsere Zeit ist gefüllt mit Verpflichtungen, dem Erfüllen gesellschaftlicher Erwartungen, dem Verwirklichen von Träumen. Natürlich sind das Dinge, die uns meist Freude bringen und uns in Bewegung halten, aber es ist nicht immer leicht, in Balance zu bleiben und ein Gefühl der inneren Verankerung im Alltag aufrechtzuerhalten.
Hallo, ich bin Eszter und oute mich als begeisterte Alleinreisende! “Ist das nicht gefährlich?” kriege ich oft zu hören. Denn alleine zu verreisen, diesen Luxus des Ausstiegs, der Einsamkeit auf Tage, Wochen oder mehr auszudehnen, ist für viele unvorstellbar.
Ich stelle hier heute die Gegenfrage: “Ist nicht alles gewissermaßen gefährlich?”
Solo-Travel für Anfänger*innen
Mit 18 bewarb ich mich für ein “Gap Year” Programm und hatte nicht damit gerechnet, akzeptiert zu werden. Es war eine ziemliche Überraschung, als ich erfuhr, dass ich ein Jahr in Australien verbringen werde. Allein.
Ich versuche oft, mich an das Gefühl im Flugzeug unterwegs ans andere Ende der Welt zu erinnern. Ich hatte keine Angst, kein bisschen. Ich fühlte mich dankbar, aufgeregt über die neuen Herausforderungen und… befreit.
Seit dieser Erfahrung ist das alleine Reisen ein fixer Bestandteil meiner Freizeitplanung und hat mich an die schönsten Orte geführt.
Ich kann es jeder Person nur empfehlen, sich einmal selbst an die Hand zu nehmen, über den eigenen Schatten zu springen und einfach sein Ticket zu buchen.
Eine ganz neue Seite der Freiheit wartet darauf, entdeckt zu werden.
Raus aus der Komfortzone und über sich hinauswachsen
Ich möchte es nicht beschönigen: alleine zu Reisen bringt uns aus der Komfortzone heraus. Aber für manche Menschen, mich eingeschlossen, findet persönliches Wachstum genau dort statt. Man ist gewissermaßen gezwungen, sich zu öffnen, in sich hineinzuhören.
Ich werde oft gefragt, wie ich Gefahren aus dem Weg gehe, wenn ich alleine reise, besonders als Frau* und an Orten, die einen schlechten Ruf haben, was die Sicherheit betrifft.
Ein wichtiger Teil davon ist die Vorbereitung und Recherche, ein weiterer Teil der Hausverstand. Aber ein dritter, fast noch wichtigerer Teil ist: der Instinkt. Das alleine Reisen ist die perfekte Gelegenheit, unsere Instinkte zu schärfen und unsere Verbindung zu ihnen zu stärken. Wenn sich etwas nicht richtig anfühlt, lernen wir in Situationen, in denen wir nur uns selbst zu Rate ziehen können, auf dieses Gefühl zu hören und für uns einzutreten. Diese gestärkten Instinkte können auch lange nach einer Reise in unserem Alltag hilfreich sein.
Ich habe nie nur Souvenirs aus einem Urlaub mitgenommen, jede Reise hat mich mit etwas beschenkt, das mich dauerhaft verändert hat.
Australien hat mir gezeigt, dass ich eine Familie am anderen Ende der Welt finden und mich dort geborgen fühlen kann. Paris, dass es zwar teuer ist, ich aber auch wochenlang mit Reis und Sriracha Sauce auskomme und dass ich trotz eines Fünfers in Französisch die Sprache meistern und über meine Grenzen hinauswachsen kann. Marokko hat mir bewiesen, wie belastbar und organisationsfähig ich auch nach langen Tagen in der Wüstenhitze bin. Qatar, dass ich mit Sicherheit “Nein” sagen kann, wenn sich etwas nicht gut anfühlt. Und aus Brasilien durfte ich neben der portugiesischen Sprache viele, lange-währende Kontakte zu lieben Menschen und einen wertvollen Einblick in die Geschichte und die Kultur dieses Landes mitnehmen.
Mein Fazit: Ich wäre bestimmt nicht die Person, die ich heute bin, wenn ich nicht allein den Rucksack gepackt und in die Welt hinausgegangen wäre.
Aber wieso alleine reisen?
Viele Menschen bevorzugen es, alleine die Koffer zu packen und einen neuen Ort für sich zu entdecken, obwohl sie Freunde und Familie haben. Die Präferenz liegt also nicht unbedingt an Einsamkeit oder mangelnder Reisebegleiter*innen. Viel eher bietet eine Solo-Reise die Möglichkeit, den Fokus auf sich zu richten, sich selbst kennenzulernen und sich herauszufordern. Man betritt einen neuen, fremden Ort und nimmt alles zum ersten Mal wahr. Man hat die Chance auf einen kleinen Neustart, ein weißes Blatt Papier, das man ganz nach den eigenen Vorstellungen gestalten kann. Die Straßen warten nur darauf, dass wir unsere eigenen Geschichten in ihnen schreiben. Unsere Bereitschaft, sich auf Unbekanntes einzulassen, ist viel größer, wenn wir alleine sind. Man wird plötzlich mit unerwarteten Situationen konfrontiert, muss sich schnell Lösungen überlegen und überrascht sich dabei meist selbst, wie gut man mit einem Problem umgegangen ist. Manchmal ist man allein in bester Gesellschaft.
UNSER TIPP
Tolle Begleiter sind die Reisebücher von Vera & Katharina, die beide selber sehr gerne auch mal alleine verreisen und diese wunderschönen und kessen Bücher verlegen.
Mehr Informationen findest du hier
Anfang 2020 kündigte ich meinen Job und flog mit einem One-Way Ticket zum ersten Mal nach Brasilien. Ich wollte den Karneval sehen, das Land erleben und Portugiesisch lernen. Als Covid kurz darauf seinen Weg nach Europa fand, stand ich allein am Strand im Norden von Brasilien und telefonierte mit meiner Mutter, die mir vom ersten Lockdown in Wien erzählte. Ich war fassungslos. Flüge wurden gecancelt, niemand war sich sicher, was auf uns zukommen würde. Ich hatte zum ersten Mal Angst, alleine so weit weg von zu Hause zu sein. Selbst in dieser absurden Situation, haben sowohl ich als auch alle anderen Solo Reisenden, die ich unterwegs kennengelernt habe, einen kühlen Kopf bewahrt, als es darauf ankam und es sicher wieder nach Hause geschafft. Sind wir Menschen nicht erstaunlich resiliente Wesen? Wir haben nur selten die Gelegenheit, es uns so demonstrativ zu beweisen.
Ich habe auf meinen Reisen gelernt, dass ich mich immer auf mich selbst verlassen kann.
Entfaltung auf dem Weg zu sich selbst
Sich auf sich selbst zu verlassen bedeutet auch, sich gelegentlich selbst an die erste Stelle zu setzen und in sich hineinzuhören. Auf Reisen schenken wir uns ganze Tage, an denen wir uns fragen dürfen: “Wie sieht ein idealer Tag für mich aus? Was würde mir gut tun? Was brauche ich? Möchte ich den Tag am Strand verbringen oder durch die Stadt schlendern?”
Jeder Moment kann so zum Geschenk an sich selbst werden, ein Aufenthalt - ein Liebesbrief an das eigene innere Kind, das von der Ferne träumt. Hinter den Risiken, allein in die weite Welt zu ziehen, verbirgt sich so viel Freude und Möglichkeiten zur persönlichen Entwicklung und Entfaltung.
Als ich mir in den Kopf gesetzt habe, aus purem Interesse in Brasilien Portugiesisch zu lernen, waren die Reaktionen zumindest überrascht, meistens schockiert: “Brasilien ist doch gefährlich, allein. Noch dazu als Frau*, bei all der Kriminalität dort, bist du wahnsinnig?” Diese Stimmen haben sich so tief in mein Bewusstsein gearbeitet, dass ich vor meiner ersten Reise tatsächlich dachte, ich müsste selbst bei Tageslicht alleine auf der Straße Angst haben. Ich habe mich von den Aussagen von Menschen beeinflussen lassen, die noch nie einen Fuß in dieses Land gesetzt haben. Ich war nervös, als ich am Flughafen ankam, denn es war dunkel. Beim Aussteigen aus dem Taxi wollte ich sichergehen, dass wir so nah wie möglich an meinem Hostel hielten, am Besten keine drei Schritte davon entfernt.
Heute muss ich darüber schmunzeln.
Natürlich ist man vorsichtiger, recherchiert, geht nachts nicht alleine in abgelegene Gegenden oder trägt auffälligen Schmuck - das gehört zum Hausverstand, überall. Aber je mehr ich Brasilien vertraut habe, desto mehr hat es mich in seine Arme geschlossen.
Ich hätte mir nicht erwartet, mit so viel Wärme, Freundlichkeit und Offenheit empfangen zu werden, selbst an den unerwartetsten Orten.
Einmal verließ ich ein winziges Café versehentlich ohne zu zahlen. Als ich zwei Stunden später zurückkam, peinlich berührt meinen Fehler gestand und bezahlen wollte, sagte der alte Herr hinter der Theke: “Ach, das ist doch kein Problem! Sie hatten so ein verträumtes Gesicht, als Sie rausgegangen sind, ich wollte Sie in Ihren Gedanken nicht stören. Ich war mir sicher, dass Sie zurückkommen!”
Vielleicht hatte ich Glück, aber ich habe mich kein einziges Mal in diesem Land unsicher gefühlt. Dieser Schritt aus meiner Komfortzone hat mir so viel über mich selbst beigebracht und einen Einblick in die Kultur und die Geschichte eines gesamten Kontinents gegeben, der in unseren Geschichtsbüchern fast kaum Erwähnung findet. Ich bin unendlich dankbar, nicht auf die ängstlichen Stimmen gehört zu haben.
Einfach loslegen
Man muss nicht gleich ans andere Ende der Welt reisen, um über sich selbst zu lernen.
Wer mit dem Gedanken spielt, sich aber noch nicht ganz traut, kann mit einem Wochenende in einer nahegelegenen, unbekannten Stadt anfangen. Ängste und Unsicherheiten sollten uns nicht von einer Solo-Reise abhalten. Es gibt zu viel zu sehen und zu erleben, als dass man sich davon zurückhalten lassen sollte. Mit der richtigen Vorbereitung und Umsicht kann nicht viel schief gehen, was zu Hause nicht auch schief gehen könnte.
Egal mit welchem Ziel; alleine reisen wird uns immer ein neues Stückchen von uns selbst schenken. Und wer weiß, vielleicht ist es genau jetzt das, was wir brauchen?
Unsere Autorin:
Eszter Ambrózi wuchs zwischen Wien, Budapest und dem Plattensee auf, bevor es sie in die weite Welt hinauszog. Nach einigen Jahren im Ausland und einer abgeschlossenen Ausbildung als Übersetzerin und Dolmetscherin, geht sie nun ihrem Kindheitstraum eines Schauspielstudiums nach.
Sie engagiert sich mit ihrem Podcast “Wiener Melange” für Gleichstellung innerhalb der Gesellschaft.
Wenn am Rande noch Zeit bleibt, arbeitet Eszter als Fotografin, Regisseurin und Model an kreativen Projekten in Wien und Paris.