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Grace Jones: eine zeitlose Ikone


Text von Eszter Ambrózi

Erstveröffentlichung: März 2021, adaptiert: Mai 2023


Grace Jones ist ein Name, der in den Siebzigern und Achtzigern gar nicht aus der Popkultur wegzudenken war. Als Model, Sängerin und Schauspielerin schrieb sie mit ihrem mächtigen, kühlen Auftreten, ihrem androgynen Aussehen und einer zuvor noch nie gesehenen Ästhetik nicht nur Geschichte, sondern legte neben anderen Künstler*innen den Grundstein für die Diskussionen und Erkenntnisse über Gender und Sexualität, die wir heute haben. Die Neunziger Jahre hindurch zog sie sich jedoch etwas aus dem Rampenlicht zurück, was darin resultierte, dass ihr Name in meiner Generation, den Kreisen der Nineties Kids, fast komplett in Vergessenheit geriet. In den Neunzigern war nicht viel Neues von ihr zu hören und so entkam sie auch fast meiner Aufmerksamkeit, hätte es da nicht die Platten meiner Eltern in meiner Kindheit gegeben.


Grace Jones on stage source: Wikicommons

Das erste Mal, als mir Grace Jones wieder buchstäblich vor Augen geführt wurde, war 2015 bei der Dernière von „Man and Superman” im Londoner National Theatre. Ich stand am Bühnenausgang und wartete auf meinen Lieblingsschauspieler, um den sich eine Menschentraube aus Fans gebildet hatte. Geduldig wollte ich mir eine Zigarette anzünden, um die Wartezeit zu verkürzen, hatte kein Feuerzeug und tippte eine große Dame neben mir an. „Sorry, do you have a lighter?” Sie trug eine Kapuze, war sehr groß und ihre Augen blickten mich pechschwarz an, als sie sich umdrehte. „Of course, honey, here you go”, sagte sie mit ihrer donnernden Stimme und zündete schwungvoll meine Zigarette an, die mir vor Staunen fast aus dem Mund fiel. Ich brachte nicht mehr als ein „Thank you…” heraus, da lächelte sie schnell und drehte sich auch schon wieder um. Grace Jones hatte mir gerade die Zigarette angezündet.

Enttäuscht stellte ich fest, dass viele aus der Generation Z Grace Jones nicht mehr als die Ikone wahrnehmen, die sie ist.

Meine Geschichte darüber, dass meine Zigarette tatsächlich mit einem Feuerzeug aus der Hand Grace Jones’ höchstpersönlich angezündet worden war, wurde mit eher weniger enthusiastischen Kommentaren meiner Altersgenossen, wie „Oh, nice” oder „Hey, cool, von der hab ich mal gehört” empfangen. Je länger ich darüber nachdenke, desto absurder erscheint mir dieser Umstand. Wie kann denn meine Bubble nach Inklusivität strebender junger Menschen einen so wichtigen Teil der LGBTQIA+- und BPOC-Geschichte aus den Augen verloren haben? Über eine Frau wie Grace Jones heute zu schreiben ist nicht einfach, denn so viele ihrer Geschichten wurden bereits erzählt. Sie verbrachte Jahrzehnte im Rampenlicht, war auf den Titelblättern von glänzenden Modezeitschriften zu sehen, wurde von Paparazzi verfolgt, von Klatschblättern analysiert, stand auf den größten Bühnen der Welt und wird von tausenden Menschen bewundert. Vor kurzem aber entdeckte ich eine neue, bisher weniger erforschte Facette der vielschichtigen Grace Jones. Denn ein Blick in ihre Anfänge gibt eine andere Seite der Künstlerin zu erkennen, abseits des Rampenlichts und der Laufstege.


Bloodlight and Bami - eine Reise in die Karibik


Grace Beverly Jones wurde 1948 in Spanish Town, Jamaica, geboren und wuchs auf der Insel in der Karibik auf. In dem Dokumentarfilm „Grace Jones: Bloodlight and Bami” betont sie mit Regisseurin Sophie Fiennes den Einfluss ihrer Wurzeln auf ihre Kunst. Ihr Vater war Politiker, später Prediger, die gesamte Familie tiefreligiös. In den Fünfziger Jahren zogen die Eltern nach Syracuse, New York, wo ihr Vater die Apostolic Church of Jesus Christ gründete. Während dieser Zeit blieben Grace und ihre vier Geschwister bei ihrer Großmutter und deren Mann, Peart, in Jamaica. Hier steckt ein bestimmender Teil ihrer Entwicklung, denn die Zeit mit Peart, von der Familie „Mas P”, kurz für „Master”, genannt, war geprägt von einer strengen, religiösen Erziehung und brutalem Missbrauch bei Ungehorsam. Für Grace war es nicht einfach, unter solchen Umständen aufzuwachsen. Die Sehnsucht nach ihren Eltern und dem neuen, weit entfernten Land, das sie zu ihrer Heimat gemacht hatten, erschwerten das stille, gehorsame Ertragen des jahrelangen Missbrauchs. Doch genau aus diesen Jahren wurde eine dominante Facette von Grace Jones’ Auftritt geboren.


Die kühle, harte Erscheinung, der strenge Blick, die animalische, bedrohliche Mimik und Gestik, all das, sagt Jones, sei inspiriert von Mas P, ihrem grausamen Stiefgroßvater.


Neben dem offensichtlichen Problem des Missbrauchs entstand außerdem ein zunehmendes Spannungsfeld durch Jones’ exzentrische Persönlichkeit, ihrem Verlangen nach Selbstverwirklichung und der streng religiösen Mentalität ihrer Familie. Auch nachdem sie mit dreizehn Jahren ihren Eltern nach Syracuse folgte, lösten sich diese Spannungen nicht auf, sondern spitzten sich lediglich zu, bis Jones sich als junge Frau selbstständig machte und neben Jobs als Tänzerin ihre ersten Schritte in die Welt der Mode wagte. Zunächst wurde sie in New York als Model unter Vertrag genommen, bald darauf zog sie nach Paris, wo ihre Karriere im Rampenlicht, zuerst als Model, dann als Sängerin und schließlich als Schauspielerin, ihren Lauf nahm.



Der ständige Kampf einer “Diva”


Sich die Welt des Show Business in den Achtziger Jahren vorzustellen ist zugegebenermaßen etwas furchteinflößend. Sexismus, Rassismus, grenzüberschreitendes Handeln, Gewalt an Frauen* und Machtmissbrauch sind Probleme, die heute noch existieren, aber zumindest immer öfter angesprochen werden.

In den Achtzigern hingegen wurden diese Themen wenig, wenn überhaupt, diskutiert. Grace Jones sprach Sexismus, Rassismus und Missbrauch in der Branche in Interviews immer schon sehr offen an. So erzählte sie zum Beispiel in einem CNN Interview 2017 mit Christiane Amanpour, dass John Casablancas, Gründer des „Elite Model Management”, in Paris zu ihr sagte: „Trying to sell a black model in Paris is like trying to sell an old car that nobody wants to buy.”

Im selben Interview erzählte sie von einem Vorfall mit einem Produzenten. Unter dem Vorwand, sie persönlich kennenlernen zu wollen, bevor er eine endgültige Entscheidung über ihre Rolle träfe, lockte er sie zunächst zu sich nach Hause, wo er sie im Bademantel empfing, und dann mit Champagner in sein Schlafzimmer.

Diese Fälle sind damals, sowie heute, keine Einzelfälle und Situationen, mit denen Frauen in der Branche täglich zu kämpfen haben.


Es ist bemerkenswert, sich Grace Jones in den Achtzigern vorzustellen, die Männern, wie diesem Produzenten, den Champagner ins Gesicht schüttete und aus der Wohnung stürmte.

Die absolute Weigerung Jones’, sich Ungerechtigkeit und Respektlosigkeit gefallen zu lassen, verschaffte ihr allerdings den Ruf, „kompliziert” oder eine „Diva” zu sein.


Grace Jones 2015 Source Wikicommons

Ist dieser Ruf gerechtfertigt?


Besonders ein Interview mit dem Moderator Russell Harty aus dem Jahre 1980 festigte Jones Diva-Image in den Medien. Während des Gesprächs wird deutlich, dass die beiden einander nicht sonderlich mochten, die Situation wird aber im Laufe des Interviews zunehmend absurder. Nach einer Diskussion darüber, warum er ihr den Rücken zukehre, verliert Jones die Geduld und verpasst Harty einige Ohrfeigen vor laufender Kamera in seiner Live Sendung. Ungleiche Machtverhältnisse schienen ihr nie Angst zu machen, sie hielt sich auch vor der Kamera nicht zurück, wenn ihr Unrecht getan wurde.

Je mehr wir uns den Umgang mit Frauen und besonders Frauen aus der Black and People of Colour Community (BPoC) vor Augen führen, desto klarer wird, mit welchen Ungerechtigkeiten Frauen wie Grace Jones konfrontiert waren – und immer noch sind.

Jones stand auf und nahm kein Blatt vor den Mund. Sie ließ sich Ungerechtigkeit, Respektlosigkeit oder übergriffiges Verhalten nicht gefallen. Und zurecht; denn wenn man sich das Russell Harty-Interview heute ansieht, merkt man schnell, wie respektlos sich der Moderator von Anfang an gegenüber Jones verhält. Er dreht ihr den Rücken zu, spricht über sie in ihrer Anwesenheit in der dritten Person, fragt, ob sie ihn überhaupt verstehe und fordert sie herablassend auf, ruhig zu sein.

Obwohl all das heute offensichtlich erkennbar ist, wurde der Vorfall von der Presse allein auf Jones’ Reaktion und ihre Aggressivität reduziert.


Der bleibende Einfluss


Mit dem Namen Grace Jones schwingt meist etwas Bedrohliches mit, man denkt an eine „larger than life”-Kunstfigur, einen kreativen Wirbelwind, der alles mit sich zu reißen droht. Blickt man aber hinter die Kulissen und bedenkt, dass es sich um eine Frau handelt, die unter strengsten religiösen Regeln und brutaler Disziplin aufgewachsen ist, ändert sich das Bild langsam. Und zeigt eine Frau, die sich ihr Leben lang gegen Regeln aufgelehnt hat: zuerst gegen die Werte und Ideale ihrer Familie, später noch weiter gegen sexistische und rassistische Strukturen einer in goldenes Rampenlicht getauchten Welt.

Gegen Produzenten, die ihr Image bestimmen wollten, Männer, die sie unter Kontrolle bringen wollten – und all das in einer Zeit, in der diese Ungerechtigkeiten kaum öffentliches Interesse bekamen und vor den Augen aller, aber im Dunkel der Ignoranz, stattfanden.


Außer Frage steht, dass Grace Jones ein unübersehbares Zeichen für Frauen setzte und setzt, indem sie sich damals wie heute radikal selbst verwirklicht, ihre Kreativität ohne Scheu auslebt und sich frei in ihrer Kunst austobt, ohne sich von äußeren Einflüssen einschüchtern zu lassen. Wie oft werden Frauen offen aufgefordert, ihre unkonventionelle, exzentrische Seite zu zeigen und auszuleben? Normative Schönheitsstandards und der Druck, dem konventionellen Bild des Femininen zu entsprechen, sind auch heute präsent und bestimmen uns immer noch sehr.


Grace Jones ist eine Pionierin in vielerlei Hinsicht. In einer Zeit, in der es weder einfach war, eine Frau, noch eine Frau im Show Business und besonders nicht eine schwarze Frau im Show Business zu sein, lehnte sie sich gegen alle bis dato bekannten Strukturen auf: Sie ließ sich nicht in ein binäres Geschlechtersystem einordnen, rebellierte gegen das klassisch Maskuline und Feminine, erschuf sich ihr eigenes Auftreten, ihre eigene Persona und ließ sich in einer von weißen Männern dominierten Industrie nichts gefallen. Die Umstände, unter denen das Leben von Grace Jones begann, waren alles andere als wegebnend für eine internationale, schillernde Karriere. Dennoch schaffte sie es, sich gegen alle Widrigkeiten durchzusetzen und Geschichte zu schreiben.


Weshalb ist ihr Einfluss heute immer noch genauso bedeutungsvoll?


Viel zu oft habe ich in meinem Leben geschwiegen.

Viel zu oft über unangebrachte Kommentare hinweggesehen.

Viel zu oft alltäglichen Sexismus übersehen und übergangen.

Viel zu oft mein eigenes Image perfekt frisiert, um einem fremden Ideal zu entsprechen.


Ein Blick in die Geschichte und den Kampf von Grace Jones gibt mir persönlich nicht nur den Mut, sondern die aufrichtige Lust, meinen Mund aufzumachen, Missstände kompromisslos anzusprechen und zu handeln, auch mit dem Risiko, dass ich als empfindlich, kompliziert oder als Diva wahrgenommen werde.

Ich möchte dabei das herzhafte Lachen, das für Grace Jones ebenso so bezeichnend ist, wie ihr Diva-Image, immer beibehalten und die Frauen* in meinem Umfeld ermutigen, sich ebensowenig gefallen zu lassen wie sie.


 

Unsere Autorin


Eszter Ambrózi wuchs zwischen Wien, Budapest und dem Plattensee auf, bevor es sie in die weite Welt hinauszog. Nach einigen Jahren im Ausland und einer abgeschlossenen Ausbildung als Übersetzerin und Dolmetscherin, geht sie nun ihrem Kindheitstraum eines Schauspielstudiums nach.


Sie engagiert sich mit ihrem Podcast “Wiener Melange” für Gleichstellung innerhalb der Gesellschaft.


Wenn am Rande noch Zeit bleibt, arbeitet Eszter als Fotografin, Regisseurin und Model an kreativen Projekten in Wien und Paris.




 

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