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Femtech: Ein milliardenschwerer Nischenmarkt


von Elisabeth Oberndorfer


Das Stigma bei Frauengesundheit ist groß, doch immer mehr Jungunternehmer*innen revolutionieren den Markt und schaffen mit innovativen Femtech-Produkten Lifestyle-Marken. Trotzdem fehlen Geld und Forschung für frauenfokussiertes Gesundheitswesen.


The Future is Female Spruch auf Kissen

Es dauerte Jahre, bis Kathrin Folkendt die richtige Diagnose bekam: PCOS, Polyzystisches Ovar-Syndrom. Die Unternehmerin wunderte sich, warum Frauen häufig falsch oder spät diagnostiziert werden, bei vielen unterschiedlichen Krankheiten. Dieser Gedanke fiel Folkendt wieder ein, als sie vor einigen Jahren auf einen Bericht der Marktforschung “Frost & Sullivan” stieß. Laut der Prognose aus dem Jahr 2018 könnte der Femtech Markt, also technologische Lösungen für Frauengesundheit, ein Marktpotenzial von 50 Milliarden US-Dollar haben.


“Es gab aber keine Plattform, die sich mit dem Markt im Detail befasste”, erinnert sich Folkendt und verweist auf die zig Medien, die über Tech-Startups schreiben.


“Dabei sprechen Unternehmen für Frauengesundheit 50 Prozent der Bevölkerung an, welches Software-Unternehmen kann das schon von sich behaupten?”

Deshalb startete Folkendt vor mehr als zwei Jahren den Newsletter Femtech Insider, der mittlerweile zum Must-Read der Investor:innen und Startups in der Branche geworden ist.


Ein Begriff für mehr Bekanntheit


Blättert man durch die Studien, so klingt es tatsächlich so, als wäre Frauengesundheit ein langsam wachsender Nischenmarkt. 2017 lag das Marktvolumen weltweit bei einer Milliarde US-Dollar und war geprägt von Apps, 2027 soll es laut dem im Januar 2022 veröffentlichten "Global Women's Digital Health Market"-Bericht auf 4,7 Milliarden Dollar steigen. Dabei werden in den kommenden Jahren neben Apps vor allem Wearables, also tragbare Geräte, und Diagnosetools in den Markt drängen.


Der Begriff Femtech stammt von der dänischen Gründerin Ida Tin, die mit Clue eine der ersten Apps für Menstruations-Tracking entwickelte. Als Femtech beschreibt sie alle Unternehmen, die sich mit Frauengesundheit und -forschung beschäftigen: “Ich dachte mir, was wenn wir einen Begriff hätten, der alle in eine Kategorie zusammenfasst? Das fühlte sich befähigend an. Aber es könnte es auch einfacher für Investor:innen und Medien machen, diese Unternehmen zu finden.” Tins Idee zeigte Wirkung: 2016, dem Ursprungsjahr des Wortes Femtech, wurden rund 500 Millionen US-Dollar in Femtech-Startups investiert, vergangenes Jahr waren es laut Zahlen der Startup-Datenbank Pitchbook erstmals mehr als eine Milliarde Dollar.


Wenig Forschung für Frauen


Katrin Folkendt am Laptop
Katrin Folkendt - Gründerin des Femtech Insider

Auf die Frage, warum Frauengesundheit so lange ein unentdeckter Markt war, spricht Branchenkennerin Folkendt ein größeres Problem an: “Es gibt bisher zu wenig Gesundheitsdaten. Frauen waren lange von klinischen Studien in den USA ausgeschlossen. Das heißt, die Wissenschaft hinkt nach und wir haben eine Gender Health Gap.” Auch Daten zum wirtschaftlichen Einfluss von Erkrankungen bei Frauen gibt es laut Folkendt kaum. Zudem werde Frauengesundheit noch immer stigmatisiert. Warum das Interesse an Startups in dem Bereich in der Risikokapitalszene bisher überschaubar war, erklärt Folkendt so: “Die Investor:nnen sind noch immer großteils Männer, und diese verstehen oft die Produkte, die ihnen vorgestellt werden, nicht. Und das Investmentgeschäft ist sehr datengetrieben, und da es so wenige Zahlen dazu gibt, herrscht Skepsis.”



Nicht zuletzt sei Frauengesundheit auch immer noch stigmatisiert. Darunter fallen chronische und Stoffwechselerkrankungen wie Endometriose und PCOS, aber auch Menopause. "Frauen haben viel mehr unterschiedliche Lebensphasen. Von der Pubertät bis zur Menopause ergeben sich Probleme in Punkto Menstruation, Schwangerschaft, Stillen, Verhütung, etc. Durch den weiblichen Zyklus, wo sich alle vier Wochen die Hormone massiv ändern, und dann die Menopause, wo das Östrogen fast gegen null geht: all diese Themen gibt es beim Mann nicht." sagt Univ. Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer im Interview. Sie leitet seit 10 Jahren die Abteilung für Gendermedizin an der Meduni Wien. In erster Linie wird Frauengesundheit allerdings mit Fertilität verbunden.


Darauf hat sich auch Jenny Saft konzentriert – wie Kathrin Folkendt zuerst persönlich, dann auch professionell. Die Idee für ihr Startup Apryl hatte sie, als sie selbst ihre Eizellen einfrieren hat lassen. Während in San Francisco, wo Saft lebte, das Social Freezing bereits ein Massenmarkt ist, merkte sie zurück in Deutschland bei vielen Ärzt:innen eine Ablehnung, weil sie als Single ihre Fruchtbarkeit sicherstellen wollte. In Gesprächen mit hunderten Frauen merkte die Startup-Gründerin, das nicht nur das Stigma eine große Hürde ist, sondern auch die Kosten für Egg-Freezing.


Kostspielige Behandlungen


“Dementsprechend haben wir nach einer Lösung gesucht, um die Kostenbarriere aus dem Weg zu räumen. Gleichzeitig haben wir in den USA gesehen, dass der Markt für die sogenannten “Fertility benefits” enorm gewachsen ist. Dort haben Unternehmen wie Facebook und Google schon seit 2014 die Benefits eingeführt und mittlerweile bieten mehr als 50 Prozent der großen US Unternehmen irgendeine Form dieser Leistungen an. Und diese Welle schwappt nun auch nach Europa, denn auch hier werden Fruchtbarkeitsbehandlungen eben nicht oder nur unter höchst fraglichen Bedingungen von Versicherungen getragen.”



Jenny Saft im Office
Jenny Saft - Gründerin Apryl

Mit ihrem Unternehmen Apryl will Saft den europäischen Arbeitgebern als Dienstleister zur Verfügung stehen, um den Arbeitnehmerinnen diese Benefits anbieten zu können. Dabei sieht sie den Bereich Fertilität nur als einen Teil der gesamten Geschichte, es gäbe noch viele weitere Bereiche, in denen man die Unternehmen unterstützen kann, etwa Unterstützung bei der Elternschaft oder Menopause. Für ihre Geschäftsidee holte sich Jenny Saft im Frühling 2022 vier Millionen Euro Investment von Risikokapitalfonds.


Verglichen mit dem US-Markt ist das eine kleine Summe. Zu den bekanntesten Femtech-Startups zählt Maven Clinic. Das US-Unternehmen baut eine virtuelle Klinik für Frauen auf und ist das erste in seiner Branche, das mit mehr als eine Milliarde US-Dollar bewertet wird. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das französische Startup Nabla, das eine auf Machine-Learning-basierte Gesundheitsplattform entwickelt. Für Femtech Insider Herausgeberin Kathrin Folkendt sind virtuelle Kliniken und der Zugang zu Dienstleistungen im Frauengesundheitsbereich einer der großen Trends der Femtech-Branche: “Aber auch die Frage, wie virtuelle Kliniken mit physischen Standorten verbunden werden können.” So eröffnet die virtuelle Klinik Tia demnächst ihren ersten Standort in San Francisco.


Lifestyle statt Stigma


Neben komplexen Lösungen drängen auch immer mehr Consumer-Brands auf den Femtech-Markt. Angefangen bei Periodenbeschwerden und weiblichem Zyklus, bis hin zu Hormonbalance, weibliche Sexualität, oder Schwangerschaft, die Liste möglicher Themen ist lange.

Das Unternehmen Thinx hat Periodenunterwäsche in den Massenmarkt gebracht, mittlerweile gibt es im deutschsprachigen Raum zahlreiche Startups, wie z.B. OOIA, die ähnliche Produkte anbieten. Das deutsche Startup Nevernot vertreibt nachhaltige Tampons und Gleitmittel. Das österreichische Jungunternehmen Femitale hat mit dem Wärmeschal ein Accessoire für Menstruationsbeschwerden entwickelt. Und The Female Company positioniert sich rund um das Thema Periode und weibliche Gesundheit mit der Vision "einer Welt ohne Tabus um den weiblichen Körper". Alle haben eines gemeinsam, sie machen mit ihren Markenauftritten einst stigmatisierte Themen zu einem Lifestyle.


Dass immer mehr Frauen über ihre Gesundheit sprechen und Consumer-Marken Trends auf konservativen Märkten setzen, könnte schließlich auch mehr Investments und Forschung in dem Bereich fördern. “Wir brauchen mehr öffentlichen Diskurs, mehr Finanzierung und mehr Forschung”, appelliert Folkendt. Denn auch wenn sich die Investitionen in den vergangenen fünf Jahren verdreifacht haben, macht Femtech laut einer McKinsey-Studie nur drei Prozent aller Investitionen im Digital-Health-Segment aus. Wir stehen also erst am Anfang des Femtech-Hypes, die Studienautor:innen erwarten noch größere Disruption am Markt.


Übrigens ist der Begriff Femtech nicht unumstritten: “Vor einigen Jahren wurde sehr kontrovers darüber diskutiert. Der Vorwurf lautet, dass dieser Begriff erst recht eine Nische schafft. Sollten wir nicht über Gesundheit allgemein reden? Manche finden auch, dass Femtech nicht inklusiv genug ist.“


Femtech für Männer


Das spricht auch Jenny Saft mit Apryl an: “Grundsätzlich sind wir kein Femtech-Startup, da wir unsere Services nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer anbieten.“ Denn die Unfruchtbarkeit liegt in vielen Fällen beim Mann und nicht bei der Frau. Da die Last des Themas aber noch sehr oft an den Frauen liegt, versteht Saft, dass ihr Unternehmen als Femtech-Startup kategorisiert wird.


“Mittlerweile haben schon viele verstanden, dass Femtech keine Nische ist – sondern, dass es sich hierbei um eine der stärksten Käufer:innengruppen handelt“

erklärt Saft. Außerdem merkt sie, dass die Skepsis bei den Investor:innen langsam abnimmt, da immer mehr Frauen in Risikokapitalfonds Entscheidungen treffen: “Das stimmt mich sehr optimistisch und wird sich absolut positiv auf den Femtech Markt auswirken.“


 

Unsere Autorin


Elisabeth_Oberndorfer
Elisabeth Oberndorfer

Elisabeth Oberndorfer liefert mit ihrem Smart Casual Newsletter täglich die wichtigsten Nachrichten aus Wirtschaft und Technologie. Ihr Unternehmen Smart Maguire informiert die Entscheiderinnen der Zukunft über Business- und Lifestyle-Themen.


Als Wirtschafts- und Technologiejournalistin berichtete sie unter anderem aus dem Silicon Valley für deutschsprachige Medien wie Wired Germany. Sie lebt als Schnittstelle zwischen Redaktion, Technologie und Produkt den unternehmerischen Journalismus vor und gibt dieses Wissen in Form von Beratungen und Kursen weiter.


Sie gründete außerdem das Frauennetzwerk Digitalista, das von der Stadt Wien und dem Medium Futurezone Awards erhielt.


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