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Feldforschung in Ecuador: Nina Kolowratnik über Gebietskonflikte und visuelle Mediationsarbeit

von Christina Kaiser



Nina Valerie Kolowratnik begibt sich in schwer zugängliche und konfliktreiche Territorien, unter anderem den tiefen Amazonas, um an einem Rechtsstreit rund um eine in Isolation lebende indigene Volksgruppe zu arbeiten. Die österreichische Architektin forscht im Bereich Menschenrechte und unterstützt indigene Völker dabei, ihr Wertesystem in unserem westlichen Rechtssystem darzustellen. In den letzten 15 Jahren hat sie grafische Methoden entwickelt, um Konflikte zwischen Völkern und unterschiedlichen Rechts- und Wertesystemen aufzuzeigen.


Indigenes Waorani Territorium, Amazonas Regenwald, Ecuador; Photo: Nina Kolowratnik, July 2022.
Indigenes Waorani Territorium, Amazonas Regenwald, Ecuador

Die UN-Arbeitsgruppe über indigene Bevölkerungen definierte 1982 indigene Völker als Bevölkerungsgruppen, die sich als Nachkommen der Bewohner eines bestimmten räumlichen Gebietes betrachten, die bereits vor der Eroberung, Kolonisierung oder Staatsgründung durch Fremde dort lebten, die eine enge (emotionale, wirtschaftliche und/oder spirituelle) Bindung an ihren Lebensraum haben und die über eine ausgeprägte ethnisch-kulturelle Identität als Gemeinschaft mit eigenen sozio-politischen und kulturellen Traditionen verfügen. Laut dem deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit leben in rund 90 Staaten der Welt an die 5.000 indigene Völker, denen insgesamt mehr als 476 Millionen Menschen angehören. Diese Menschen werden weitgehend vom politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben ausgeschlossen und haben Marginalisierung, Enteignung und Unterdrückung erfahren müssen.


Warum sich eine junge Frau dazu entschließt, die Architektur mit Menschenrechten zu verbinden, was sie von den Begegnungen mit indigenen Stammesführern gelernt hat und weshalb sie gerade in Ecuador auf Feldforschung ist, verrät uns Nina Kolowratnik in unserem Gespräch.



Du hast ja schon viele unterschiedliche Gegenden bereist. Kannst du das mal so grob aufzählen, wo du schon überall gearbeitet hast?


Meine erste Forschungsarbeit im Bereich erzwungene Migration und sozio-kulturelle Ansprüche auf Land und Eigentum war in Israel/Palästina. Mit Studentengruppen der Columbia University habe ich im Nahen Osten, in Jordanien, dem Westjordanland und dem Golan und in Griechenland und der Türkei über mehrere Jahre zur Visualisierung von Grenzen und Fluchtbewegungen gearbeitet. Im Kosovo habe ich zum Thema Rückkehr von Flüchtlingen und in Österreich zum Thema Ankunft und Beherbergung von Flüchtlingen geforscht. Letzteres auch an der TU Wien.


In Nordamerika habe ich mit den indigenen Stämmen Jemez Pueblo in New Mexico und Tohono O’Odham in Arizona gearbeitet. Auch hier habe ich, in enger Zusammenarbeit mit Stammesmitgliedern, räumliche Notationssysteme, Kartierungen, erstellt, diesmal um zu helfen, indigene Traditionen und Werte auf respektvolle Weise in westlichen Rechtsdokumenten darzustellen. Hier war es besonders wichtig, die Geheimhaltung von kulturellen Praktiken und traditionellem Wissen zu wahren.


In Ecuador arbeite ich jetzt zu einem indigenen Stamm, der in totaler Isolation lebt. Das ist noch eine Stufe komplexer und stellt wohl die höchste Stufe dieser traditionellen Geheimhaltungspflicht dar. Der Fokus auf Formen der kulturellen Geheimhaltung, die visuelle Darstellung von ‘Geheimnissen’, und Übersetzung von indigenen Kosmovisionen in westliche Rechtsforen ziehen sich also auch in meinem Doktorat fort.


Von der Architektur zu Menschenrechten. Wie bist du überhaupt zu dem Thema “soziokulturelle Ansprüche auf Land und Eigentum” gekommen, und warum bist du dabei geblieben?


Architektur besteht ja nicht nur aus dem Ergebnis eines gebauten Hauses. Architektur ist vielmehr ein Prozess, der viele verschiedene gesellschaftspolitische Aspekte berücksichtigen muss. Nehmen wir zum Beispiel an, man plant ein neues Wohnbauprojekt. Da würde man sich zu Beginn genau anschauen, in welchem sozialen Kontext es gebaut wird. Welche Personen werden dieses Gebäude nutzen? Wer sind die Nachbarn? Fehlt momentan etwas in der Nachbarschaft? Wie kann man das neue Gebäude am besten in die Umgebung einfügen, und wie kann man Beziehungen zwischen den neuen Bewohner und Nachbarn herstellen? Also, im besten Fall passiert vorab ganz viel Recherche zum räumlichen und gesellschaftlichen Umfeld. Und das hat mich immer viel mehr interessiert, als der Bau an sich.


Natürlich habe ich mir während des Studiums auch ein gutes Raumverständnis aneignen können und auch sehr viele unterschiedliche visuelle Darstellungstechniken. Die räumliche Perspektive, die visuelle Darstellung und die enge Zusammenarbeit mit Menschen, die Räume auf verschiedene Weisen nutzen - grundlegende Werkzeuge einer Architektin - sind das, was ich von der “traditionellen” Architektur mit in den Bereich der Menschenrechte nehme. Ich setzte also diese Techniken bewusst in Kontexten ein, in denen Menschenrechte verletzt werden.


Wie zum Beispiel in Palästina, wo ich mit meinem Projekt mehr über eine mögliche Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge in ihre ursprünglichen Dörfer im Norden von Israel verstehen wollte. Die Flüchtlinge erinnern sich an ihre ursprünglichen Dörfer, deren ursprüngliches Zuhause und so habe ich angefangen, ihre Erinnerungen anhand ihrer Erzählungen gemeinsam mit ihnen zu zeichnen. Danach habe ich diese Karten mit dem heutigen Zustand verglichen, mit der heutigen Bebauung. Es ist ein sehr, sehr schwieriges Thema, über das nur sehr wenig gesprochen wird und das sehr viele belastet. Durch diese Zeichnungen wurde es möglich, Fragen aufzuwerfen und ein neues Licht auf die Situation zu werfen. Ich habe meine Technik, durch räumliche Analysen und graphische Darstellung Diskussionen zu starten, danach immer weiter verfeinert.


Bild 1: Surveillance Tower Radii on Tohno O’Odham Indigenous Territory, Ausschnitt, Zeichnung: Caitlin Blanchfield und Nina Kolowratnik, 2016.

Bild 2: Hemish Spiritual Path Zeichnung, in: Nina Kolowratnik, The Language of Secret Proof: Indigenous Truth and Representation (Berlin-New York: Sternberg Press, 2019); Photo: Sternberg Press.



Das klingt wie eine Art Mediatorin für räumliche Konfliktsituationen. Bist du das?


Das kommt sehr gut hin. Es ist schwierig zu erklären, was ich mache, weil es zwischen den Disziplinen ist, dafür gibt es keine Jobbeschreibung. Ich suche mir oft selbst meine Projekte und muss mich stark selbst einbringen.


Jetzt bist du ja momentan für dein Doktorat in Menschenrechten in Ecuador. Woran arbeitest du konkret?


Meine Doktorarbeit, die ich an der Rechtsfakultät der Ghent University in Belgien mache, untersucht indigenes traditionelles Wissen im rechtlichen Kontext. Ich versuche die Schwierigkeiten offenzulegen, auf die indigene Stämme treffen, wenn sie ihr traditionelles Land in westlich-orientierten Gerichtshöfen einklagen. Besonders interessiert mich, wie indigenes Wissen in eine westliche Rechtssprache und in Beweismaterial übersetzt wird. Wer übersetzt? Was geht dabei verloren? Was wird von westlichen Richtern als Wahrheit akzeptiert?

Die meisten westlichen Gerichte lassen zum Beispiel keine “oral histories” als legitimes Beweismaterial zu. “Oral histories” sind die meist verbreitete Form traditioneller Wissensübertragung in indigenen Kulturen. Sie stellen rein mündliche und über Generationen übertragene Erzählungen dar, die oft von ihrer Verbindung zur Natur und ihrem traditionellen Territorium handeln. Auch traditionelle Regeln, wer im Stamm zu welchen Aspekten des traditionellen Lebens sprechen darf, werden von westlichen Gerichten oft übergangen. Diese Aspekte stellen ernstzunehmende Probleme für indigene Kläger dar, die einerseits ihren Zugang zu Menschenrechten erschweren, und andererseits, wenn sie sich für einen westlichen Rechtsweg entscheiden, oft ihre traditionelle Kultur unwiderruflich verändern.


In meinem Doktorat fokussiere ich auf indigene Landrechtsfälle vor dem Inter-American Court of Human Rights, dem Äquivalent zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der für die Amerikas zuständig ist. Dort können Privatpersonen oder -gruppen einen Staat verklagen, der ihre Menschenrechte verletzt. Ich bin nun für insgesamt 13 Monate in Ecuador auf Feldforschung und beschäftige mich hier mit zwei konkreten Fällen, in denen illegaler Erdöl-und Holzabbau indigene Territorien und traditionelle Lebensweisen im Amazonas-Regenwald bedroht.



Wie kommt es überhaupt dazu, dass sie ihr Land einklagen?


Seit dem Eintreffen der Kolonialmächte Ende des 15. Jahrhunderts wurde die indigene Bevölkerung Südamerikas systematisch und gewaltsam verringert und der Großteil ihres traditionellen Landes besetzt. Heute stellt der Abbau natürlicher Ressourcen wie Erdöl und Holz die größte Gefahr für indigene Völker und ihren Lebensraum dar. In Ecuador befinden sich große Erdölvorkommen im Amazonasgebiet, viele davon in indigenen Territorien. Sowohl illegaler Erdöl- als auch Holzabbau verringern den traditionellen Lebensraum indigener Stämme, indem sie Grundwasser und Flüsse verschmutzen, Tiere durch Bohrlärm und Rodung vertreiben und spirituelle Orte zerstören. Einer der Rechtsfälle vor dem Inter-American Court, mit denen ich mich hier beschäftige, handelt vom Lebensraum der Tagaeri Taromenane, dem letzten Stamm in Ecuador, der in freiwilliger Isolation und ohne Kontakt mit der Außenwelt lebt. Obwohl diesem Stamm im Jahr 1999 ein Schutzgebiet zugesprochen wurde, wurden die Tagaeri Taromenane in den letzten Jahren mehrmals dazu gezwungen, ihr Territorium vor Erdöl- und Holzabbau Firmen zu verteidigen. Diese Auseinandersetzungen führten zu zahlreichen Todesfällen, vor allem auf der Seite des in Isolation lebenden Stammes. Dies war schließlich der Auslöser für die Klage gegen den Staat Ecuador vor dem Inter-American Court – laut den Klägern hatte der Staat unter anderem versäumt, das Gebiet der Tagaeri Taromenane zu schützen.


Waorani Stammesmitglied im Zeugenstand, Public Hearing Pueblos Indígenas Tagaeri y Taromenane v. Ecuador, Inter-American Court of Human Rights; Photo: Nina Kolowratnik, August 2022.
Waorani Stammesmitglied im Zeugenstand am Inter-American Court of Human Rights | Photo: N. Kolowratnik August 2022.

Wer brachte die Beschwerde dann ein, wenn der Stamm in Isolation von der Außenwelt lebt?


Genau das ist sehr spannend an diesem Fall. Da der Tagaeri Taromenane Stamm in Isolation lebt, kann er die Beschwerde natürlich nicht selber einbringen. Der Stamm weiß mit ziemlicher Sicherheit gar nichts von diesem Gerichtsfall. Die Klage wurde zunächst von einem Biologen und zwei Rechtsanwälten eingebracht, etwas später dann traten noch die nationale Vertretungsorganisation indigener Stämme in Ecuador CONAIE, the Umweltorganisation YASunidos und eine junge Taromenane Frau, die nach einem der Konflikte vom Nachbarstamm aufgezogen wurde, als Kläger bei. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass der Nachbarstamm der Tagaeri Taromenane, die Waoranis, nun vor Gericht als Zeugen aussagen. Die Waoranis sind seit den späten 1960er Jahren in Kontakt mit der Außenwelt und erfahren eine ähnliche Bedrohung durch Firmen, die Erdöl- und Holzabbau abbauen. Sie bilden in diesem Gerichtsfall die “Stimme” für ihre Nachbarn in Isolation. Dies war sehr interessant mitzuerleben.


Welche Rolle spielst du in dieser ganzen Situation?


Meine Rolle ist die einer aufmerksamen Beobachterin. Unter anderem habe ich mich für diesen Fall entschieden, da er in diesem Moment verhandelt wird und ich in Echtzeit und vor Ort mitverfolgen kann, wie dieser Fall sozusagen konstruiert wird, welche Schritte notwendig sind und welche Schwierigkeiten auftreten. Wie bereits erwähnt, interessiert mich, wie indigene Kosmovisionen zu westlichem Beweismaterial werden. Dies konnte ich nun anhand der Arbeit an Zeugenaussagen von Waorani Stammesmitgliedern beobachten. Dieser Prozess war extrem spannend für mich. In einem weiteren Schritt konnte ich dann auch bei der Anhörung des Falles in Brasilien, dem public hearing, dabei sein und mitverfolgen, wie die Waorani Delegation vor Ort diese streng hierarchische und nach westlichen Protokollen choreographierte Anhörung erlebte.

Meine Beobachtungen dokumentiere und verarbeite ich dann sowohl schriftlich, als auch visuell, in Form von Raum- und Beziehungsdiagrammen.


Also, im Endeffekt bist du Dolmetscherin zwischen zwei unterschiedlichen Wertesystemen?


Ja, im besten Fall gelingt mir das. Oft bin ich aber auch schon zufrieden, wenn ich es schaffe, die Konflikte aufzuzeigen, die entstehen, wenn diese unterschiedlichen Wertesysteme in einem Gerichtssaal aufeinanderprallen.


Hast du das Gefühl, dass die Leute, mit denen du arbeitest, Interesse haben zu diskutieren? Wie geht es dir damit, wenn es eben um sehr ernsthafte Dinge wie Migration und Lebensraum geht?


Es ist meist nicht schwierig, ein Gespräch anzufangen zu Themen, die sich im Jetzt befinden, weil die Menschen, die diese Situation direkt betrifft, die Schwierigkeiten auch gerne ansprechen. Oft auch nur weil sie hoffen, dass es irgendeine Art von Hilfe in Aussicht gibt. Meine Gesprächspartner wissen, dass ich darüber publiziere und dass dies eine Hilfe für sie sein kann. Anders ist es, wenn es dann um persönliche und familiäre Umstände oder traditionelle Lebensweisen geht. Im Migrationskontext, zum Beispiel, wenn es um die Gründe geht, warum sie geflüchtet sind und in der Arbeit mit indigenen Stämmen, warum es zum Beispiel schwierig ist, ihr traditionelles Wissen preiszugeben. Das sind Fragen, die man erst langsam erarbeiten muss. Es braucht viele Treffen, Vertrauen kann man nur langsam aufbauen. Deswegen bin ich auch immer längere Zeit in den Gebieten, in denen ich forsche. Vor allem mit indigenen communities ist es immer ein längerer Prozess, bis man ihr Vertrauen gewinnt. Ich bleibe auch immer nach dem Ende der Projekte in Kontakt. Die Beziehungen, die ich in meiner Arbeit aufbaue, enden zum Glück nicht mit den Projekten.


Bild 1: Indigene Delegation (v.l.n.r. Gilberto Nenquimo, Zenaida Yasacama, Alicia Cahuiya, Mencany Patricia Nenquihui) und Nina Kolowratnik bei der öffentlichen Anhörung Pueblos Indígenas Tagaeri y Taromenane gegen Ecuador, Inter-American Court of Human Rights, Photo: Anonym, August 2022.

Bild 2: Indigene Waroani Stammesmitglieder überblicken ihr traditionelles Territorium, Photo: Nina Kolowratnik, Juli 2022.



Wie gehst du auf die Menschen zu? Was hast du aus diesen Begegnungen gelernt?


Ich habe definitiv gelernt, andere Arbeitsweisen, ein anderes Gefühl für Zeit und andere Prioritäten, als meine eigenen zu erkennen und zu akzeptieren. In Mitteleuropa wollen wir immer alles im Vorhinein organisieren und alles möglichst schnell und effektiv erledigen. Indigene Völker, aber auch viele südliche Kulturen haben ein anderes System, mit der Zeit und mit der Zukunft umzugehen. Es passiert da vielmehr im Hier und Jetzt und dies erlaubt eine ungeheure Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Das habe ich durchaus zu schätzen gelernt.


Du bist ja eine von wenigen, die mit Stammesführern sprechen können. Wie begegnen sie dir als Forscherin und vor allem als Frau?


Vor allem in der Arbeit mit indigenen Communities war das extrem spannend. In vielen indigenen Kulturen, sowohl matriarchal als auch patriarchal organisiert, sind es die Frauen, die am stärksten in der Öffentlichkeit für ihre Rechte und den Respekt der Natur eintreten. Sie sind dann auch oft wegen ihrer politischen Arbeit in ihrem Stamm hoch angesehen. In hatte das Privileg, mit einigen dieser extrem starken Frauen eng zusammenzuarbeiten und von ihnen zu lernen. Aber auch männliche Stammesführer sind mir stets mit größtem Respekt und auch Interesse an meiner Arbeit begegnet.


Empfindest du da manchmal Angst oder siehst du diese Reisen eher nüchtern und als nötige Recherche. Wie geht es dir da davor, wenn du das erste Mal auf jemanden triffst?


Ich suche an sich nicht das Abenteuer, aber meine Arbeit bringt das mit sich und oft ist auch ein mulmiges Gefühl dabei. Aber ich habe wohl gelernt, dieses anfängliche mulmige Gefühl in Respekt umzuwandeln und in eine Art von Vorsicht. Man eignet sich mit der Zeit ein sehr feinfühliges Gespür für Gefahren an. Sodass man sehr schnell erkennen kann, ob man in diese Gegend besser nicht geht oder ob man etwas besser nicht erwähnt. Also es geht sowohl darum, ein Gespür für räumliche Situationen zu entwickeln, also ob die jetzt gefährlich sind, aber auch für Menschen und was in der Situation angemessen ist, zu fragen. Manchmal ist es auch ausschlaggebend, wer am Gespräch teilnimmt, also ist eventuell eine 1:1 Situation besser. Ich glaube, dass ich da ganz viel dazugelernt habe, um mich einfach auch wohler zu fühlen in neuen oder unbekannten Situationen und um sicherer auftreten zu können.

Meine letzte Frage ist eine, die vielleicht auch gar nicht so leicht zu beantworten ist. Was wünschst du dir für die kommenden Monate, für deinen Aufenthalt in Quito?


Am meisten wünsche ich mir wohl, dass ich noch viele interessante Gespräche führen kann. Es besteht die Möglichkeit, dass die Richter des Inter-American Court bald in das Waorani Gebiet reisen, um die Situation vor Ort besser einschätzen zu können. Dies wäre ein ganz besonderes Ereignis, welches ich gerne miterleben und dokumentieren möchte. In einem oder zwei Tagen würde der Stamm dann versuchen, die Bedrohung, die von der Ausbeutung natürlicher Ressourcen ausgeht, aufzuzeigen und den Richtern verständlich zu machen. Dabei hätten sie auch die Möglichkeit, ihre traditionelle Lebensweise und die enge Verbundenheit mit der Natur darzustellen - an dem Ort, in der Reihenfolge und durch die Personen, die ihre kulturellen Normen dafür vorsehen. Diese Besuche von indigenen Territorien von Seiten des Inter-American Court sind recht einzigartig - ich kenne bis dato keinen anderen Gerichtshof, der dies praktiziert. Diese Besuche können als Schritt verstanden werden, um indigenen Stämmen auf Augenhöhe zu begegnen - und das ist eine sehr sehr wichtige Entwicklung.

Des Weiteren freue ich mich besonders, dass meine Familie, mein Mann und mein kleiner Sohn, in Kürze nach Ecuador nachkommen und mich bis Ende des Jahres bei meiner Feldforschung begleiten.



 

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Wir lieben es, Frauen medial sichtbar zu machen und wählen unsere Interviewpartner*innen immer aus Überzeugung, unabhängig und in Absprache mit unseren Journalistinnen aus. Unsere Interviews und Artikel sind niemals bezahlt, keine der Marken hat uns dazu beauftragt.

 

Im Gespräch mit


Nina Valerie Kolowratnik ist Architekturforscherin und Beraterin für räumliche Dokumentation und befasst sich mit der Fragen der erzwungenen Migration und soziokulturellen Ansprüchen auf Land und Eigentum und entwickelt räumliche Systeme, die in Rechts- und Menschenrechtsdebatten eingesetzt werden.


Nina studierte Architektur an der Technischen Universität Graz in Österreich (M.Arch 2010) und hat einen Abschluss in Critical, Curatorial and Conceptual Practices in Architecture von der Columbia University GSAPP (MS.CCCP 2013), wo sie Fulbright-Stipendiatin war und den CCCP-Thesispreis erhielt.


Zwischen 2013 und 2017 unterrichtete Nina Masterkurse mit den Schwerpunkten Grenzgebiete, Migration und Menschenrechte als außerordentliche Assistenzprofessorin an der Columbia University GSAPP und als Lehrbeauftragte an der Technischen Universität Wien, Österreich. Von 2013 bis 2014 arbeitete sie als Assistenz des Ausstellungskoordinators und Assistenz-Kuratorin an der Arthur Ross Architecture Gallery an der Columbia University GSAPP.


2016 wurde Nina Kolowratnik mit dem Deborah J. Norden Stipendium der Architectural League of New York und dem Outstanding Artist Award for Experimental Tendencies in Architecture des Bundeskanzleramtes Österreich ausgezeichnet. Zuletzt wurden ihre Arbeiten auf der Architekturbiennale in Venedig, der Architekturtriennale in Oslo, UN Habitat III in Quito, im Stacion – Centre for Contemporary Art Prishtina, <rotor> Zentrum für zeitgenössische Kunst in Graz, Kunsthalle Exnergasse in Wien, Annenstrasse 53 in Graz und BAK in Utrecht ausgestellt.


Seit 2020 promoviert Nina in Rechtswissenschaften am Menschenrechtszentrum der Universität Gent in Belgien. Dort ist sie Teil des ERC-finanzierten Forschungsprojektes ‘DISSECT: Evidence in International Human Rights Adjudication’.



Kürzlich erschienene Publikationen:


Caitlin Blanchfield and Nina Valerie Kolowratnik, “Significant Impact,” E-flux Architecture (April 2020).

Nina Valerie Kolowratnik, The Language of Secret Proof: Indigenous Truth and Representation (Berlin: Sternberg Press, 2019).

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