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Geht nicht gibt’s

TEXT: BEATRICE FRASL

FOTOGRAFIE: PAMELA RUSSMANN


Die Autorin, Podcasterin und Kolumnistin Beatrice Frasl hat beschlossen, Auftraggeber*innen nicht mehr länger ihre psychische Erkrankung zu verheimlichen. Hier erklärt sie, warum sie sich zu diesem Schritt entschlossen hat.

 


Foto von Pamela Rußmann I Herz in der Hand I Gesundheit und Depressionen I myGiulia

 

Psychische Gesundheit ist politisch. Über sie zu sprechen auch.


Die Anfrage für diesen Text zum Überthema „Geht nicht, gibt’s nicht“ erreichte mich ironischerweise, als gar nichts mehr ging. Ich lag nämlich im Bett mit einer schweren Depression, nach einer langen und anstrengenden Lesereise und dem Versuch, meine Antidepressiva nach neun Jahren abzusetzen (ein Versuch, der offenkundig scheiterte) und einer COVID-Infektion, die alles noch schlimmer machte.


Als Selbstständige krankheitsbedingt auszufallen ist an und für sich schon nicht einfach, mit einer psychischen Erkrankung auszufallen doppelt schwer. Einerseits, weil psychische Erkrankungen oft chronische Erkrankungen sind und man deshalb sich wiederholende Ausfälle einkalkulieren muss (die manchmal monatelang dauern können), andererseits aber auch, weil es nicht ganz ohne Risiken ist, Auftraggeber*innen die Wahrheit zu sagen. „Ich liege mit Gastritis im Bett“ ist schließlich immer noch mit wesentlich weniger Stigma behaftet als „Ich liege mit Depressionen im Bett.“ Die Entscheidung, wie offen man mit einer psychischen Erkrankung umgeht, ist meist mit einer Reihe an Sorgen verbunden: Wird man vielleicht für unzuverlässig gehalten? Für schwach? Führt es dazu, dass dieser Auftrag der letzte ist? Und in aller Regel fällt die Entscheidung auf Verheimlichung. Schließlich kann es sich niemand leisten, in einer Situation, in der man ohnehin schon nicht so leistungsfähig ist, wie man gerne wäre und deshalb auch dementsprechend weniger verdient als man eigentlich sollte, seine ökonomische Lebensgrundlage zu riskieren. Die meisten Selbstständigen in meinem Umfeld (wie auch die meisten Menschen in Anstellungen) lügen also aus Angst vor dem Urteil ihrer Arbeitgeber*innen und daraus möglicherweise resultierenden wirtschaftlichen Konsequenzen über ihren psychischen Gesundheitszustand. Im Notfall muss eine erfundene „schwere Grippe“ oder die besagte „Gastritis“ herhalten, um das Verschieben einer Deadline zu erbitten oder zu erklären, warum man gerade nicht so recht, nicht so gut oder nicht so schnell kann.

 


Die Entscheidung, wie offen man mit einer psychischen Erkrankung umgeht, ist meist mit einer Reihe an Sorgen verbunden: Wird man vielleicht für unzuverlässig gehalten? Für schwach? Führt es dazu, dass dieser Auftrag der letzte ist?

 

Ehrlichkeit


Ich versuche in aller Regel, und das durchaus mit aktivistischem Hintergedanken und um etwas zur Enttabuisierung beizutragen, so ehrlich wie möglich mit meiner Depression umzugehen. Nicht selten ist die Antwort auf den Satz „Ich kann gerade nicht, weil ich in einer Depression hänge“ oder „Ich brauche etwas mehr Zeit, da ich in einer depressiven Episode bin“ dann auch ein „Danke, dass du so offen damit umgehst. Ich kämpfe selbst mit Depressionen und finde ein offenes Sprechen darüber sehr schwierig“.


Ehrlicherweise muss ich sagen: Bei mir ist der Zug der Verheimlichung schon lange abgefahren. Ich gebe Interviews zum Thema, schreibe Texte und Bücher darüber. Wer mit mir arbeitet, weiß in der Regel also, dass ich eine chronische psychische Erkrankung habe. Trotzdem hege ich die leise Hoffnung, mit meinem offenen und durchaus sehr schambefreiten Umgang mit meiner Depression anderen ein Stück weit ihre eigene Scham nehmen zu können, und etwas zu einem aufrichtigeren Umgang mit der eigenen Verletzlichkeit, mit vermeintlicher Schwäche, mit Erschöpfung, mit Nicht-Mehr-Können beitragen zu können.

Schließlich sind psychische Erkrankungen keine Seltenheit und vor allem sind sie keine Seltenheit mehr.

 


Foto von Pamela Rußmann I Frau von hinten im Kleid mit offenem Rücken neben Baum I Gesundheit und Depressionen I myGiulia

 

Es geht uns allen nicht gerade blendend


Spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie ist psychische Gesundheit in aller Munde. In regelmäßigen Abständen macht eine neue Studie Headlines, die den schlechten und verschlechterten psychischen Gesundheitszustand der Gesamtbevölkerung oder verschiedener Bevölkerungsgruppen beschreibt: von Frauen, von Schüler*innen, von jungen Menschen, denen vor kurzem attestiert wurde, sich in einer „Dauerkrise“ zu befinden, sowieso und zuletzt: von Studierenden. Die Situation lässt sich zusammenfassen mit: Es geht uns allen nicht gerade blendend. Und manchen noch schlechter als anderen.

 

Letzteres hängt eng mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen und Verteilungsfragen zusammen. So wissen wir beispielsweise seit langem, dass Frauen etwa doppelt so häufig von Depressionen und Angsterkrankungen betroffen sind als Männer – und das auch außerhalb von Krisen und bereits vor COVID. Der Gender-Gesundheitsbericht mit Schwerpunkt Depression und Suizid nennt eine Reihe von sozioökonomischen Gründen, die dafür ausschlaggebend sind: die höhere Armuts- und Ausgrenzungsbetroffenheit von Frauen im Vergleich zu Männern, prekäre und atypische Beschäftigungsverhältnisse (die in Österreich ein überwiegend weibliches Phänomen sind), die Mehrfachbelastung durch bezahlte und unbezahlte Arbeit. Dazu kommen noch einengende Schönheitsnormen und negative Körperbilder, eine Sozialisierung, die zur Internalisierung von Konflikten, zu Gefälligkeit und Versöhnlichkeit anderen gegenüber erzieht und die wesentlich größere Betroffenheit von männlicher Gewalt (vor allem in Form von Gewalt in Paarbeziehungen und sexueller bzw. sexualisierter Gewalt).

 


Rekordinflation, Teuerung und die daraus resultierende Tatsache, dass immer mehr Menschen immer schlechter über die Runden kommen, verheißt für die psychische Gesundheit von uns allen nichts Gutes.

 


Die Situation von Frauen


Dass in allen Studien zur psychischen Gesundheit der österreichischen Bevölkerung während der Covid-Pandemie eine drastischere Verschlechterung bei Frauen im Vergleich zu Männern festgestellt wurde, ist vor diesem Hintergrund nicht überraschend, schließlich hat sich insbesondere während der Lockdowns die Situation von Frauen noch weiter prekarisiert. Auch dass in jüngeren Studien die psychische Gesundheit von Menschen umso schlechter ist, je schlechter ihre ökonomische Situation ist, ist lediglich eine Bestätigung von wissenschaftlicher Evidenz von vor Corona, denn Armut und Armutsgefährdung waren immer schon zwei der wesentlichsten Risikofaktoren für die Entwicklung von Depressionen und Angsterkrankungen.

 


Leben an und für sich ist schon schwierig genug


Rekordinflation und Teuerung und die daraus resultierende Tatsache, dass immer mehr Menschen immer schlechter über die Runden kommen und viele überhaupt verarmen, verheißt deshalb auch für die psychische Gesundheit von uns allen nichts Gutes. Denn nachdem bereits die COVID-Pandemie und die Maßnahmen ihrer Eindämmung die psychische Gesundheit breiter Bevölkerungsteile massiv beeinträchtigt hat, sind wir nun mit einer Reihe weiterer Krisen konfrontiert, die uns noch weiter und noch umfangreicher zusetzen: Kriege, Inflation, Zukunftsangst, Klimakrise. Und dabei machen ja auch noch die ganz alltäglichen Lebensprobleme, persönlichen Krisen und Katastrophen keine Pause: Krankheit, Tod, Trennungen, Beziehungsprobleme. Leben ist ja an und für sich und ohne die niederschmetternde Weltlage bereits schwierig genug.

Es sollte niemanden überraschen, dass es vielen tatsächlich gerade viel zu viel ist. Und dass für viele von uns gerade tatsächlich nichts mehr geht.

 


Foto von Pamela Rußmann I Frau alleine am Strand I Gesundheit und Depressionen bei Frauen I myGiulia

 

Was nun?


Es gäbe einige Lehren, die man aus alledem ziehen könnte, wenn man wollte und eine Reihe politischer Maßnahmen, die man setzen könnte, wenn man wollte, und das sowohl in der Gesundheitsversorgung als auch in der Vorsorge. Wir warten in Österreich beispielsweise immer noch und das seit Jahrzehnten darauf, dass Psychotherapie zu einer Kassenleistung wird (und das an und für sich und nicht nur in seltenen Ausnahmefällen). Andererseits ist es höchst an der Zeit, Systeme so umzubauen, dass Menschen nicht mehr an und in ihnen erkranken. Von der höheren Besteuerung von Vermögen und der geringeren Besteuerung von Arbeit, dem Einführen eines bedingungslosen Grundeinkommens, dem Verringern des Gender Pay-, Gender Wealth- und Gender Pension Gaps, einer Arbeitszeitverkürzung bis hin zu Maßnahmen gegen Gewalt gegen Frauen gäbe es eine Reihe an positiven Schritten, die politische Verantwortungsträger*innen setzen könnten, um gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen so zu verändern, dass sie uns nicht mehr krank machen. Das Veränderungspotential ist in der Tat ein großes: Das Abbauen ökonomischer Ungleichheiten und das Schließen der Schere zwischen Arm und Reich sind hier ebenso zu nennen wie eine gerechtere Verteilung von Arbeit – bezahlt und unbezahlt - oder ein Abbauen patriarchaler Gewalt- und Unterdrückungsverhältnisse.

 


Foto von Yoal Desurmont I Düsterer Ausblick I Gesundheit und Depressionen I myGiulia
© Yoal Desurmont

 

Das Private ist politisch


Über die eigene psychische Gesundheit zu sprechen ist also ein wesentlich politischerer Akt, als man auf den ersten Blick vielleicht denken mag. Mein „Ich kann gerade nicht, weil ich mit einer Depression im Bett liege“ beinhaltet ebenso eine Kampfansage an unsere spätkapitalistische Leistungsgesellschaft, wie es Bewusstsein darüber vermitteln soll, dass diese Depression auch sehr konkret damit in Zusammenhang steht, dass ich als Frau in patriarchalen Verhältnissen lebe. „Ich kann gerade nicht, weil ich mit einer Depression im Bett liege“ verweist darauf, dass wir in einer Gesellschaft leben, die uns von uns selbst und anderen entfremdet hat und die es uns verunmöglicht, unsere Grundbedürfnisse zu befriedigen, weil wir unsere Leben nach Erwerbsarbeit und Leistung ausrichten müssen anstatt sie an jenen Dingen auszurichten, die uns (psychisch) gesund halten.

 

Ein Leben führen zu können, das sich an eigenen Bedürfnissen orientiert und deshalb die notwendigen Voraussetzungen für psychische Gesundheit bietet, ist im derzeitigen System keine Selbstverständlichkeit, sondern ein seltenes Privileg. „Selbstfürsorge“ muss deshalb auch immer beinhalten, politische Änderungen zu fordern, die ein solches Leben – das „gute Leben für alle“ nämlich, möglich machen können.

 

 


 

Unsere Autorin


Beatrice Frasl im Gespräch mit myGiulia über Depressionen bei Frauen I Foto von Pamela Rußmann I myGiulia

Beatrice Frasl hat Anglistik und Amerikanistik mit kulturwissenschaftlichem Schwerpunkt und Gender Studies studiert. Sie ist freie Autorin, Kolumnistin und Podcastern und arbeitet vorrangig zu den Themen Feminismus und psychische Gesundheit.

 


Interview mit Beatrice Frasl zu ihrem Buch „Patriarchale Belastungsstörung”


Beatrice Frasl im Gespräch mit den beiden myGiulia-Herausgeberinnen Christina Kaiser und Christine Klimaschka und Chefredakteurin Pamela Rußmann.


 


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