Ein Reiseessay mit Gäst*innen, in dem alles mit allem zu tun hat
TEXT, FOTOS & INTERVIEWS: CHRISTINE KLIMASCHKA
Wo fange ich an? Vielleicht damit, dass ich mich heute noch genau an das Kennzeichen unseres ersten Familienautos Ende der 1960er-Jahre erinnere. Ein blassgelber VW Käfer, D-PU 112, der kurz vor Reiseantritt von meinem Vater bis in den letzten gewölbten Käferwinkel ausgestopft wurde mit Gepäck, haltbarem Essen sowie der einen oder anderen Klopapierrolle. Und daran, wie es war, nach dem Aufbruch knapp vor Morgengrauen, gemeinsam mit meinem Bruder zu zweit auf dem halben Rücksitz meist mehr als 16 Stunden später im Süden Österreichs, dem Sommerparadies meiner Kindheit, anzukommen.
Diese Kindheitssommer waren endlos und frei und kamen Jahr für Jahr wieder. Meine schönsten Kindheitserinnerungen sind untrennbar damit verbunden. Diese Wochen führten uns raus aus der heißen Stadt, der Enge der sehr kleinen Wohnung, die von Juni bis September auch über Nacht nie abkühlte, rein in den Wald, den frischen, kühlen türkisfarbenen See, die Wiesen, den Heustadl, den großen alten Kirschbaum. Meine Eltern hatten ein etwas altmodisches Wort für dieses wiederkehrende sommerliche Reiseritual: Sie nannten es Sommerfrische. Ihr Sehnsuchtsland war Österreich.
Unsere Autorin mit ihrem Bruder Bernd auf Sommerfrische, fotografiert von Mama Klimaschka.
Jetzt, sehr viele Jahre später, schließt sich der Kreis. Nicht nur bin ich irgendwann ganz in Österreich geblieben, bin mit einem Österreicher verheiratet, sondern ich habe mit meiner Familie seit fünf Jahren mein eigenes Sommerfrischezuhause gefunden. Wobei, vielleicht sollte ich mich fragen, ob es nicht eher mich gefunden hat. Jedenfalls wurde es gefunden, und zwar nicht in dem lange auf Platz 1 rangierenden und beglückenderweise ausführlichst bereisten Sehnsuchtsland Italien, sondern im Salzkammergut, nahe dem Traunsee.
Das Sommerfrischehaus von unserer Co-Herausgeberin Christine Klimaschka am Traunsee
Alles ist mit allem verbunden
Unsere oberösterreichische Sommerfrische ist ein kleines Haus mit großer Geschichte. Errichtet von einer bedeutenden Frau. Rosa Jochmann (1901-1994) war eine österreichische „Grande Dame“ der Sozialdemokratie, Zeitzeugin, ehemalige Widerstandskämpferin und Überlebende des NS-Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück. 1948 errichtete sie für sich und die große Liebe ihres Lebens, Cäcilie Helten, die sie im KZ Ravensbrück kennengelernt hatte, hier das „Mooshäuschen“, einen sommerlichen Rückzugsort am Land für eine Dame aus der Stadt.
Meine Tochter hat das kleine alte Holzhäuschen, das verschlafen auf einem sanften Obstwiesenhang liegt und um das man rundherum nur die Hühner im Garten des Nachbarn und die Grillen in den Wiesen hört, „das Träumchen“ getauft. Kleines Haus. Großes Glück.
Der Wissenschaftler und Forschungsreisende Alexander von Humboldt, der vor 250 Jahren den Menschen und die Natur erforschte, kam zu folgender Erkenntnis: „Alles ist mit allem verbunden.“ Geschichte und Geschichten, Menschen und Kultur, Kunst und Natur vermischen sich auch in den folgenden Betrachtungen, die ich hier sitzend mit Blick auf den Traunstein jetzt gerade noch in den ersten Augusttagen zusammentrage, bevor auch diese Sommerfrische, von der man – wie damals als Kind – jedes Jahr aufs Neue glauben möchte, dass die Zeit darin wunschgemäß einfach stehen bleibt, unglaublich schnell wieder vorbei sein wird. „Sommer stürzen, Winter stehen“, so hat Heimito von Doderer uns diese Erkenntnis ins Herz geschrieben.
Ich habe mich in den letzten Wochen mit Menschen getroffen, die hier, wo ich als Zugereiste immer wieder Zeit verbringen darf, leben und arbeiten, die von Berufswegen mehr über das Thema Tourismus im Jahr 2024 wissen als ich, die die Begeisterung für dieses besondere Stück Österreich und die Idee der Sommerfrische mit mir teilen und hier nicht erst fünf, sondern bereits 50 Sommer verbracht haben.
Ein Sommer wie damals
In einem Brief aus dem Jahr 1797 nach einer Reise von Linz ins Salzkammergut schrieb Alexander von Humboldt: „Wir sind der schönen Gegend wegen so langsam gereist, dass wir erst zwei Tage hier sind.“ Der Wunsch nach Rückkehr zur Langsamkeit beginnt in meinen Sommerfrischeritual bereits beim Packen, denn es ist gelinde gesagt herausfordernd, die gesamte Familie samt Hund und 2 Katzen für die Dauer der Sommerferien der Kinder und der Theaterferien meines Mannes von der Stadt auf das Land zu übersiedeln. Liebevoll denke ich an meinen Vater und den VW Käfer.
Sommerfrische ist Ankommen im Vertrauten, wenn die Uhren anders ticken und das Leben auf leicht schaltet, wenn sich der Wäschehaufen mit Blick auf den malerischen See schon etwas beschwingter wegbügeln lässt, der Einkauf beim ganz kleinen Supermarkt im Nachbardorf immer eine Freude ist, das selbstgekochte Essen in der kleinen Küche sowieso am besten schmeckt und man das Chaos im Kinderzimmer einfach durch das Schließen der Türe ausblendet. Es ist das Versprechen auf Wiederholung und Wiederkehr im nächsten Jahr. Es ist die Erinnerung an einen selbst im Lachen seiner Kinder, die um die Wette vom Steg ins klare Wasser springen. Sommerfrische ist Sehnsuchtsort und Lebensgefühl zugleich.
Sehnsucht und Lebensgefühl
Sommerfrische und Österreich gehören mindestens so fix zusammen wie die zwei Teile eines Twinni-Eislutschers. Als ein Begriff, der im kollektiven österreichischen Bewusstsein definitiv positiv verankert ist, wenngleich leicht verstaubt, hat sie – liebevoll wiederbelebt – erneut Saison. Der Tourismus in Österreich ist traditionell von drei großen Herkunftsmärkten abhängig: Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Rund zwei Drittel der 152,7 Millionen Nächtigungen entfielen 2023 auf Gäste aus Deutschland (57,4 Millionen) und Österreich (39,9 Millionen). Sommerfrische ist daher für viele Österreicher*innen auch Urlaub daheim. Die Österreich Werbung bewirbt aktuell Urlaub in Österreich als Lebensgefühl. Astrid Steharnig-Staudinger, ÖW-Geschäftsführerin, erklärt mir, dass es darum geht, gerade das hervorzuheben, was Österreich von anderen Destinationen abhebt: „Mit ‘Lebensgefühl Österreich’ wollen wir Gelassenheit, Leichtigkeit und Genuss in den Vordergrund rücken, wie es nur in Österreich erlebbar ist. Und dabei gehen wir auch weg von klassischen Landschaftssujets, sondern rücken die Menschen in den Vordergrund. Denn sie sind es, die einen Aufenthalt in Österreich so einzigartig machen.”
In einzigartiger Weise beschreibt der Begriff Sommerfrische übrigens sowohl die Aktion an sich als auch den Ort, an dem diese ausgeführt wird. Der vor allem im 19. Jahrhundert verbreitete Begriff „Sommerfrische“ wird im Wörterbuch der Gebrüder Grimm als „Erholungsaufenthalt der Städter auf dem Lande zur Sommerzeit“ oder „Landlust der Städter im Sommer“ definiert.
Die Sommerfrische hat in Österreich eine lange Tradition, war in gehobenen Gesellschaftsschichten zugleich ein Statussymbol und ist historisch verbunden mit dem Brauch des Adels und der Künstler, im Sommer von der Stadt auf das Domizil am Land umzusiedeln.
Bekannte österreichische Sommerfrischen im Fin de Siècle waren das Salzkammergut, der Wörthersee, die Regionen um den Semmering, den Schneeberg und die Rax, Baden bei Wien und Bad Vöslau. Der Aufstieg dieser Orte war zumeist mit dem Bau der Eisenbahn verbunden. So waren sie zum Beispiel durch die Südbahn (ab 1838), die Semmeringbahn (1854), die Westbahn (1858), die Salzkammergutbahn (1877), die Salzkammergut-Lokalbahn (1893) und die Außenlinien der Wiener Stadtbahn (1898) gut erreichbar geworden, während der Großteil des österreichischen Alpenraums erst relativ spät durch die Automobilisierung und den Ausbau von Gebirgsstraßen erschlossen wurde.
Bad Ischl und der Kaiser
Die Sommerfrische wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Lieblingsurlaub der Städter*innen im Salzkammergut. Und der Grund dafür hatte vor allem einen Namen: Der österreichische Kaiser Franz Josef I. ging samt seiner Gemahlin, der Kaiserin Sisi, auf Sommerfrische nach Bad Ischl. Hofstaat, Würdenträger, Künstler, Industrielle und der Adel folgten ihm. Sie verbrachten die gesamte warme Jahreszeit in ihrer Sommerwohnung – in Bad Ischl und Gmunden, aber auch in Bad Goisern, in Bad Aussee, am Wolfgangsee, am Attersee oder am Mondsee. Die heute noch erhaltenen Villen, Parks und Flaniermeilen aus dieser Zeit prägen mit ihrem historischen Charme die lokale Architektur.
1823 eröffnete das erste Heilbad mit Salzwasserkuren in Bad Ischl; sogleich fanden sich prominente Kurgäste ein. Kaiser Franz Joseph verbrachte hier 82 Sommer. Mit seiner Gemahlin Sisi bezog er ein neoklassizistisches Sommerschloss, die Kaiservilla, mit englischem Park, das heute als Museum zugänglich ist. 1914 unterschrieb er hier die Kriegserklärung an Serbien, die zum Ersten Weltkrieg führte.
Das Who is Who des 19. Jahrhundert
Für Bad Ischl wurden ab 1842 wöchentlich Listen mit den angekommenen Gästen veröffentlicht. In den „Ischler Bade Listen“ finden sich Besucher*innen nicht nur aus allen Teilen der Habsburgermonarchie, sondern auch aus London, Edinburgh und St. Petersburg. Manche Adelige waren so verbunden mit dem Kurort, dass sie sich dort begraben ließen, wie Fürstin Marie Liechtenstein, die in Bad Ischl ruhen wollte, wo sie viele schöne Sommer erlebt hatte. Im Archiv der Bad Ischler Kaiservilla kann man nachlesen, wie beschwerlich der Weg in die Sommerfrische zunächst noch war: „Damals dauerte eine Reise von Wien in das abgelegene Gebirgsstädtchen mehrere Tage. Sie bot faszinierende Landschaftseindrücke, war aber zermürbend. Man fuhr in der Kutsche oder ritt bis Gmunden am Traunsee, fuhr mit dem Schiff nach Ebensee über und setzte die Reise nach Ischl auf schlechten Landstraßen zwischen himmelhohen Bergen fort. Eine erste Erleichterung brachte die Pferdebahn, immerhin ein Schienenweg, zwischen Linz und Gmunden Ende der 1830er Jahre. In den 1840er Jahren kam der Dampfschiffverkehr auf der Donau dazu: Man konnte nun trotz der starken Strömung stromaufwärts reisen. 1867 fuhr die Eisenbahn zwischen Wien und Salzburg, aber erst Mai 1877 war die Zweiglinie nach Ischl fertig, sodaß man schließlich und endlich nur einen Tag von Wien bis Ischl brauchte.“
Das Salzkammergut: das 10. Bundesland
Das Salzkammergut bietet eine hohe Dichte an spannenden Geschichten, Orten und Menschen, und ist in eine eindrucksvolle Landschaft eingebettet. Dazu gehören die acht Regionen des Salzkammerguts: Attersee-Attergau, Ausseerland, Bad Ischl, Dachstein-Salzkammergut, Fuschlsee, Mondsee-Irrsee, Traunsee-Almtal und Wolfgangsee. Namensgeber der Region, die zwischen Dachsteinmassiv, Totem Gebirge und Höllengebirge in den Bundesländern Oberösterreich, Salzburg und Steiermark liegt, ist das Salz, das hier seit jeher abgebaut wird.
Das von der Salzgewinnung geprägte Gebiet stand als „Kammergut“ im Besitz der habsburgischen Landesfürsten. In einem Artikel des Nachrichtenmagazins Profil wurden die Auswirkungen dieses Abhängigkeitsverhältnisses auf die Menschen wie folgt beschrieben: „Jahrhunderte wurden die Bewohner dieser Hofdomäne der Habsburger in faktischer Leibeigenschaft gehalten (. . .) sie verfügten nur über die sehr eingeschränkte Lebensperspektive, entweder Salzsieder oder kaiserlicher Förster zu werden. Ein dumpfer, rebellischer Oppositionsgeist gedieh in den Tälern am Fuße des Dachsteinmassivs.“
„Griaß di!”
Ein wenig freundlicher würde ich die hier durchaus stark ausgeprägte Liebe zu alten Traditionen jedenfalls einordnen. Der Titel „Das Salzkammergut, das 10. Bundesland“ (für alle Nicht-Österreicher*innen, das Land Österreich hat nur 9 Bundesländer ) trifft es ganz gut und das mir allseits freundlich entgegenschallende „Griaß di“ deute ich eher als neuzeitlichen Audiohashtag, mit welchem man freundlich, aber bestimmt auch allen Zugereisten sagen möchte: #österreichischer als hier wird’s nicht.
Geprägt durch die Elemente Salz, Wasser und Holz entstand hier eine vielschichtige Region, in der vor 7.000 Jahren in Hallstatt die Geschichte des Salzabbaus begann. Der Salzhandel hat die Region ernährt, bereichert und international vernetzt, es hat Vermögende und Mächtige ins Land gezogen. Mit der Sommerfrische ist das Salzkammergut zu einem Sehnsuchtsort geworden, und die historische Kulturlandschaft im inneren Salzkammergut ist heute Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Über 70 Badeseen gibt es in der Region – kleine und große, tiefe und flache, grünliche und türkisblaue.
Impressionen aus Bad Ischl / Fotos: C. Klimaschka
„Aus dem Salz entstanden, durch das Salz reich geworden und mit dem Salz geht es in die Zukunft: Kultur ist das neue Salz.“ So heißt es in der Vision der aktuellen Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024. Im Jahr 2024 trägt das Salzkammergut mit Bad Ischl als Bannerstadt von 23 Gemeinden den Titel Kulturhauptstadt Europas. Erstmals in der Geschichte findet sie im inneralpinen Raum statt. Dr. Elisabeth Schweeger will als Leiterin des Kulturhauptstadtjahres 2024 die Region in einen „Möglichkeitsraum“ verwandeln.
„Die Auswirkungen der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut zeigen sich durch das steigende Interesse der Gäste und internationaler Medienvertreter*innen”, weiß die Geschäftsführerin der Österreich Werbung, Astrid Steharnig-Staudinger, zu berichten. Seit September 2023 wurden bereits knapp 400 internationale Journalist*innen begrüßt. „Die Nachfrage nach Kultur bei den Gästen ist da, das sehen wir eindrucksvoll an den aktuellen Ergebnissen der Gästebefragung”, sagt mir Astrid im Gespräch.
In seinen vier Programmlinien (Macht und Tradition, Kultur im Fluss, Sharing Salzkammergut – Die Kunst des Reisens und GLOBALOKAL – Building The New) holt Bad Ischl Salzkammergut 2024 die Vielfalt aus historisch verwurzelter und zeitgenössischer Kunst und Kultur vor den Vorhang. „Das Programm stellt in vier Schwerpunktsetzungen ein Gleichgewicht zwischen diesen Spannungsfeldern her und zeigt mit einer Vielzahl an Projekten die Möglichkeiten zur aktiven Gestaltung unserer Zukunft auf”, heißt es in den Infos der Kulturhauptstadt.
Eine Künstlerin, die wesentlich dazu beigetragen hat, ist die Fotografin Sophie Köchert. Sie hat die gesamte Fotokampagne für die Europäische Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024 umgesetzt und ihre zwei großen fotografischen Themen – Landschaft und Menschen – in diesen Fotografien verbunden. „Ich bin im Salzkammergut aufgewachsen, aber ich kannte trotzdem viele Ecken eigentlich gar nicht”, erzählt mir die 36-Jährige bei unserem Treffen bei der gmunden.photo. „Also dachte ich mir, du suchst dir jetzt einfach alle 23 Gemeinden raus, die mit dabei sind und fährst zu all diesen Orten hin. Ich bin etwa mal auf eine Sonntagsmesse nach Aussee gefahren oder habe wichtige regionale Festtage besucht”, erzählt sie über den Arbeitsprozess, „aber der Zugang war eher spielerisch.” Sie habe schon ein Konzept gehabt, aber eben dann auch wieder nicht: „Ich kann schon grob planen, aber ich will auf jeden Fall etwas wahrnehmen! Das ist ein künstlerischer Prozess. Ich habe das Endergebnis nicht vorher fixiert.” Fix war nur, dass das Gesamtprojekt analog fotografiert wird.
Fotokampagne für die Europäische Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024 von Sophie Köchert
„Wir haben uns einfach so sehr daran gewöhnt, dass wir mit unserem Handy abdrücken und sofort das Ergebnis am Display sehen”, sagt Sophie. „Bei der analogen Fotografie muss man warten, bis der Film entwickelt ist. Und darum geht es mir, gerade in diesen heutigen Zeiten, wo alles so radikal und schnell ist, dass ich mich beim Arbeiten und in diesem Prozess nicht noch schneller machen muss. Vielmehr muss ich geduldig sein.” Es sei natürlich immer ein Risiko dabei, denn natürlich kann im Prozess auch mal etwas schiefgehen. „Aber das finde ich schön! Ich finde es einfach großartig, dass so ein gewisses Überraschungsmoment dabei ist.”
Für ihre Arbeit wurde Sophie Köchert dieses Jahr vom Creativ Club Austria in der Kategorie Fotografie gemeinsam mit der Linzer Werbeagentur Gruppe am Park mit Bronze ausgezeichnet. Eines ihrer Sujets, eine döneressende Goldhaubenfrau, hatte schon 2023 für eine veritable Aufregung im Spannungsfeld von Tradition und Moderne gesorgt. Und von wegen Humboldt und seinem Alles-mit-allem: Sophie ist eine direkte Nachfahrin des Kaiserlich Königlichen Hofjuweliers Jacob Heinrich Köchert, der 1865 für Kaiserin Elisabeth die weltberühmten Diamantensterne angefertigt hat.
Das Salzkammergut und die Künstler
Das Salzkammergut inspiriert Kunstschaffende seit jeher zu großen Werken. Gustav Klimt, Anton Bruckner und Gustav Mahler, um nur einige zu nennen. Zahlreiche Künstler kamen nach Bad Ischl: von Stefan Zweig bis Franz Lehár, der zahlreiche Operetten in seiner Ischler Villa am Kai der schäumenden Traun schrieb. Ein weiterer treuer Sommergast war Johannes Brahms. Namhafte Maler wie Ferdinand Georg Waldmüller, Jakob Alt, Rudolf von Alt, Franz Steinfeld kamen, um die wunderschöne Landschaft am Fuße des Dachsteins zu porträtieren.
In den Künstlerkreisen rund um Altaussee traf man Anfang des 20. Jahrhunderts das Who is Who des kreativen österreichischen und jüdischen Geisteslebens. Jakob Wassermann, ein Autor aus den 1930er-Jahren, wird in Sachen Altaussee wie folgt zitiert: „Altaussee ist kein Dorf, sondern eine Krankheit, die man nie mehr los wird.“ Hugo von Hofmannsthal, gemeinsam mit Max Reinhardt einer der Gründerväter der Salzburger Festspiele und Autor des „Jedermann“, war hier mit seiner Familie ansässig. Mit Hofmannsthal kamen auch die Literaten der österreichischen Moderne um die Jahrhundertwende hierher – Arthur Schnitzler, Felix von Salten, Raoul Auernheimer, Richard Beer-Hofmann, Hermann Bahr. Aber auch Theodor Herzl, Johannes Brahms, Gustav Mahler, Richard Strauss, Hermann Broch, Friedrich Torberg, Siegmund Freud, Frank Thiess, Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Manes Sperber und viele andere genossen immer wieder die Idylle der herrlichen Berglandschaft.
Künstlerkolonie Traunkirchen
Kunsthistoriker behaupten, es gebe keinen Ort im Salzkammergut, der öfter gemalt wurde als Traunkirchen. Einer der Gründe: Die kleinste Traunseegemeinde war zwischen 1900 und 1930 eine Künstlerkolonie. Nicht nur Maler wie Richard Gerstl verbrachten ihre Sommer hier. Auch Arnold Schönberg, Hugo Wolf, Rainer Maria Rilke und andere Vertreter der Moderne waren hier zu Gast.
Krisenresistente Optimist*innen im Traditionsbetrieb
Ganz viel Kunst und Belle Époque-Zitate unter dem Claim „release your inner artist“ gibt es seit Kurzem auch im Restaurant von Monika und Wolfgang Gröller im mit Architekt Arkan Zeytinoglu neu gestalteten Hotel Post am See. In der Belétage kocht Haubenkoch Lukas Nagl, seit mehr als zehn Jahren Küchenchef im 4-Hauben-Restaurant Bootshaus. Nagl ist am Attersee geboren. Das Salzkammergut ist für ihn offensichtlich nicht nur Heimat, sondern auch Inspiration. Er kocht mit regional frischen Zutaten und legt einen Schwerpunkt auf die regionale Fischküche.
Monika Gröller, Gastgeberin in der dritten Generation, hat mit mutigen Entscheidungen zukunftsweisende Konzepte in einem Haus mit 700 Jahren Tradition umgesetzt. „Wir haben nach wie vor keinen Meeresfisch, unser Gemüse kommt von Biobauern aus St. Florian, die Bäuerin ruft an und schickt eine Liste, was sie hat und das kommt auf den Tisch”, erzählt sie mir stolz.
Noch ein Gedanke zum Thema Anziehungskraft des Salzkammerguts von Monika: „Es sind vor Kurzem Freunde aus Hamburg hierher gezogen. Ich habe sie gefragt: Warum? Er hat ein sehr großes Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit und er hat gesagt: wegen des Klimas und wegen des Wassers. Wir haben hier diese Naturlandschaft mit den unzähligen Seen und auch eine gewisse Abkühlung ist dadurch hier immer im Sommer noch garantiert. Das wird ein großer Anziehungspunkt werden in der Zukunft”, ist sich Monika Gröller sicher. Die beiden Töchter Marie und Josefine stehen schon in den Startlöchern der „Gröller Hospitality”, wie die Dachmarke seit Kurzem heißt. „Wir wollten bewusst in die Zukunft schauen, auch unserer Kinder wegen”, erklärt mir Monika. „Es war eine Familienentscheidung, weil diese Investition, die wir jetzt gemacht haben, natürlich auch die Kinder noch betreffen wird. Und schließlich müssen sie da mitziehen. Wir sind Optimisten, weil wir einfach glauben, du kannst nur mit einem guten Produkt punkten, und du musst dich abheben vom Rest. Und wir wollten definitiv etwas Neues hier schaffen.”
Interieur Hotel Post am See / Fotos: C. Klimaschka
Das neue Hotel und auch die Belétage tragen in Sachen Interior Design Monika Gröllers Handschrift. Es gibt ganz viel Farbe, Belle Époque-Zitate und wahrscheinlich nicht die erste Unisex-, aber mit Sicherheit die schönste Toilette am Traunsee. „Für die Unisex-Toilette, die ich auch sehr schön finde, habe ich übrigens einen Codenamen im Haus: der Einser Raum”, lacht Monika. „Ich bin ein farbenfroher Mensch. Hier ist alles nach meinen Wünschen angefertigt worden!”
Geistreiches und überaus Kunstsinniges über Hochprozentiges gibt es zusätzlich noch von Marcus Volsa, Chef-Mixologist der Belétage, der coolsten Bar im Salzkammergut. Volsa macht aus Cocktails Kunst. „Ich fand es immer schon faszinierend, wie sich intellektuelle Bewegungen in den verschiedenen Künsten auswirken”, sagt er mir. „Egal, ob es die Romantik, der Impressionismus oder die Klassik sind, alle hatten und haben ihren Einfluss in der bildenden Kunst, der Musik, der Literatur und so fort. Dabei hat jede dieser Kunst- bzw. Ausdrucksformen eigene Grenzen und Möglichkeiten in ihrem Interpretationsspielraum. Grundsätzlich beschäftige ich mich schon länger damit, wie man so eine konzeptuelle Übertragung auf die Kulinarik schaffen kann.”
Marcus Volsa in der Bar Belétage und Auszüge aus der Cocktailkarte / Fotos: C. Klimaschka
Das süße Versprechen der Wiederholung
Via Hofmannsthal führt mich meine Reise durch das Salzkammergut an den nächsten See. „Für mich ist er doch immer die Landschaft der Landschaften.“ Mit diesen Worten verlieh der Schriftsteller seiner Liebe zum Salzkammergut und zum Wolfgangsee Ausdruck. Und fasste in Worte, was viele Menschen für dieses Stückchen Erde empfinden. Seit über 20 Jahren komme ich mit meiner Familie mindestens einmal im Sommer hierher an den Wolfgangsee, um meine Freundin Susanne Athanasiadis, die – wenn sie nicht gerade auf Sommerfrische in Abersee ist – die Marketing- und Kommunikationschefin der Wiener Staatsoper ist, zu besuchen. Und jahrein, jahraus kann ich mein Glück nicht fassen. Denn nicht nur gibt es, egal ob 30 Grad Sonnenschein oder Salzkammergut-Schnürlregen, den besten Marillenfleck, sondern auch die Aussicht auf das vom gegenüberliegenden Ufer herüberlachende berühmte „Weisse Rössl“. Und ja, ich gestehe es: Das 1930er-Singspiel von Ralph Benatzky hat mich in der Version mit Peter Alexander aus dem Jahr 1960 an diesen Ort gebracht, bevor ich jemals selber dort war. Seit ich denken kann, lief der Film – den deutschen öffentlich-rechtlichen TV-Sendern sei es gedankt – mindestens ein Mal pro Jahr über die Familienflimmerkiste und ich konnte alle Songs mitsingen.
C. Klimaschka mit Susanne und Laura Athanasiadis am Wolfgangsee; Das Weiße Rössl / Fotos: C. Klimaschka
Familientradition Sommerfrische seit 1954
Auch das war eine Annäherung an meine Idee von Sommerfrische: Susanne verbringt heuer bereits den 50. Sommer am Wolfgangsee. „Meine Mutter kam mit ihren Eltern und ihrem Bruder im Jahr 1954 das erste Mal hierher”, berichtet Susanne aus ihrer Familienchronik, „da war sie 14 Jahre alt. Die Familie hat ein ‘Sommerfrische-Zimmer’ gesucht und in genau diesem Haus auch gefunden. Die Küche hat den Hauseigentümern gehört, es war ein klassisches Fremdenzimmer mit einem Waschbecken drinnen und ansonsten gemeinsamer Nutzung der Räume. Nach einigen Jahren als Sommerfrischegäste haben meine Großeltern den ursprünglichen Eigentümern das Haus abgekauft, so kam es in Familienbesitz. Sie haben von da an jeden Sommer hier verbracht.”
Für Susanne gibt es auf der ganzen Welt keinen Ort, an dem man so zur Ruhe kommt wie hier. „Es ist, als wäre die Zeit stehengeblieben. Es gibt hier keine Hektik, kein Muss oder ‘man sollte’… Das Leben ist quasi ein langer ruhiger Fluss, die Tage ziehen so dahin. Da ist die Familie, da kommen Gäste, Jahr für Jahr zumeist dieselben, man kennt alle Gasthäuser, Wege, Wandertouren. Manchmal kommt etwas Neues dazu, aber im Grunde ist es vollkommen unaufgeregt. Und das ist auch gut so!”
Susanne und ihre Tochter Laura, Schauspielerin und aktuell mit Nesterval und der Produktion „dirty faust“ in Hamburg, haben für mich am Ende meiner Reise durch die Sommerfrische das alte Gästebuch aufgeschlagen und den Zauber der Erinnerung mit mir geteilt. „Für mich waren die Sommer einfach großartig”, erinnert sich Susanne. „Wir waren die gesamte Schulferienzeit hier, vom Tag der Zeugnisverteilung an bis ungefähr 1-2 Tage vor Schulbeginn. Mein Bruder und ich sind fast gleich alt, somit waren wir hier ein eingeschworenes Team. Wir hatten ‘Anwesenheitspflicht’ zum Frühstück und zum Abendessen. Danach und davor waren wir einfach unterwegs.”
Aus dem Erinnerungsalbum der Familie von Susanne Athanasiadis
Im Film „Die wilden Hühner“ gibt es eine Sequenz, in der eine der Hauptdarstellerinnen sagt: „Ich würde diese Zeit manchmal gerne in Marmeladengläser einfüllen und zuschrauben, so dass ich sie an schlechten Tagen einfach öffnen kann.“ Für Susanne beschreibt das dieses Sommerfrische-Gefühl sehr gut: „Es ist einfach eine perfekte Zeit!”
Mit dem Wunsch, dem ich mich total anschließe, all das, was diese Zeit in der Sommerfrische ausmacht, am liebsten in Marmeladegläser abzufüllen, beende ich meinen Reiseessay. Und mit einer Selbstbeobachtung der Malerin Georgia O`Keeffe: „I have done nothing all summer but wait for myself to be myself again.”
Draußen im Garten hängen schon die ersten Äpfel im alten Apfelbaum, die Wiesen rund ums Haus wurden in diesem Urlaub bereits das zweite Mal gemäht und wenn ich nachher noch mit einem Glas Wein auf den noch sonnenwarmen Steinstufen vor dem Haus sitze, kann ich mir etwas wünschen, während ich den Sternschnuppen der Perseiden beim Fallen zuschaue. Was ich mir wünsche? Darf ich nicht verraten. Aber es fängt mit Sommerfrische an und hört mit dem Versprechen auf Wiederkehr auf. Alles hat mit allem zu tun.
Unsere Autorin
Co-Herausgeberin Christine Klimaschka ist ein Medienprofi mit langjähriger Erfahrung sowohl auf Redaktionsseite als auch im Medienmanagement und in der Öffentlichkeitsarbeit. So leitete sie vor ihrem Auslandsaufenthalt in Berlin die Öffentlichkeitsarbeit von Hitradio Ö3 und danach auch der gesamten ORF Radios. Bevor sie wertvolle Erfahrungen als Pressereferentin & Pressesprecherin, unter anderem für Erhard Busek und LH Dr. Christof Zernatto, sammelte, arbeitete sie als freischaffende Journalistin bei der Kleine Zeitung, APA und Antenne Austria Süd.
Comments