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Schönheitsideal Smart: die neue Sehnsucht nach Tiefe

Aktualisiert: 23. Okt.

TEXT: KATJA HORNINGER


Drei weiße Marmorstatuen posieren eng aneinander, vor rosa Hintergrund. Eine Figur hält Rosen, emotionale und harmonische Szene.
Foto: Allyssa Olaivar | Unsplash


Müde vom allseits grassierenden Selbstoptimierungswahn, genervt von unrealistischen Schönheitsidealen, gestresst von ständiger Beurteilung auf Grund des Aussehens? Auf der Suche nach Bereicherung des eigenen Lebens durch nicht digital erzeugte Reizüberflutung? Wie wäre es damit, etwas zu lernen, sich grundlegend neues Wissen anzueignen?


Sie sind so alt wie die Menschheit: Schönheitsideale. Und auch wenn sie sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert haben, eines blieb doch gleich: dass besonders Frauen von diesen Idealen und Ansprüchen betroffen sind. „Frauen werden mehr als Männer aufgrund ihres Aussehens beurteilt“, betont Cherie Blair, führende internationale Menschenrechtsanwältin und Gründerin der Cherie Blair Foundation for Women. Kein Wunder also, dass Frauen und Mädchen nach wie vor sehr um ihr Aussehen besorgt sind. 


Weltweit ist allerdings ein Trend zu erkennen, der zeigt, dass Frauen zunehmend müde sind vom Schönheitsdruck, unrealistische Perfektionsnormen ablehnen und vielmehr im Lernen, über kulturelle Inspiration und in tiefen persönlichen Erfahrungen neue Wege zur Selbstfürsorge und Selbstermächtigung entdecken. 


„Ich bin so neidisch auf meine männlichen Co-Stars, die einfach ein T-Shirt anziehen können, ohne sich erst mühsam darum kümmern zu müssen, vor der Kamera akzeptabel auszusehen“ Emma Watson


Frau drückt Hände gegen Wangen, zieht Grimasse. Trägt graues Shirt, Hintergrund unscharf. Gesichtsausdruck verspielt oder nachdenklich.
Wann bin ich schön? Foto: Sajad Karbalaei | Unsplash

Mit zweierlei Maß gemessen


Eine Jugendstudie aus Österreich bestätigt den stärkeren Druck bei Mädchen und jungen Frauen: Demnach würden rund 60 Prozent der weiblichen Befragten gerne etwas an ihrem Aussehen bzw. Körper ändern, bei den männlichen Befragten sind es hingegen rund 43 Prozent. Und auch eine Repräsentativstudie des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit aus Deutschland fand heraus, dass Jungs und junge Männer in der Regel eine deutlich positivere Haltung zu ihrem eigenen Körper haben als Mädchen und junge Frauen.


Besonders deutlich zeigt sich der größere Fokus auf das Äußere bei Frauen, die im Rampenlicht stehen: Gerade bei Schauspielerinnen und Musikerinnen werden oft Outfit, Make-up und der Alterungsprozess mehr kommentiert als die künstlerische Leistung – bei den männlichen Kollegen steht diese permanente Bewertung von Äußerlichkeiten deutlich weniger im Zentrum. „Ich bin so neidisch auf meine männlichen Co-Stars, die einfach ein T-Shirt anziehen können, ohne sich erst mühsam darum kümmern zu müssen, vor der Kamera akzeptabel auszusehen“, sagte erst kürzlich die Schauspielerin Emma Watson in einem Podcast-Interview. Sie spricht darüber, dass sie sich als Schauspielerin unter Druck gesetzt fühlt, schön zu sein und schön zu bleiben.  


Aber auch in der klassischen Business-Welt kommen diese doppelten Maßstäben zum Tragen: So ergab eine Umfrage unter 1.000 weiblichen und 1.000 männlichen Angestellten im Vereinigten Königreich, dass insgesamt 90 Prozent der Frauen und 68 Prozent der Männer glauben, Frauen werden am Arbeitsplatz stärker nach ihrem Aussehen beurteilt als nach ihrem Intellekt. Und eine Studie der Washington State University belegt sogar, dass Mitarbeitende ihrer weiblichen Führungskraft umso weniger vertrauen, je attraktiver sie ist. Ein Effekt, der laut der Studie nur bei Frauen auftritt. Attraktivität kann für Frauen also sogar zum Nachteil werden. 



„Es ist verrückt. Die Erwartungen sind wahnsinnig. Es ist unmöglich.” Emma Watson 

Die Messlatte für Perfektion wird höher


Die Philosophieprofessorin Heather Widdows von der Universität Birmingham in England beschreibt in ihrem Buch Perfect Me: Beauty as an Ethical Ideal, dass der Druck auf Frauen, immer schlanker, jünger und straffer auszusehen, stärker denn je ist. Bedingt durch Schönheitstrends und Filter auf Social Media, darunter sogar ein Schlankmacher-Filter auf TikTok, sowie durch KI-erzeugte Idealbilder werden die Schönheitsmaßstäbe immer absurder, die Messlatte für Perfektion immer höher, der Blick in den Spiegel oft sogar zur Enttäuschung. Das beschreibt auch eine Studie der University of London bei der 95% der befragten Mädchen zugeben, einen Filter für ihre Fotos zu verwenden. Mit dem zunehmenden Druck werden von Frauen auch immer häufiger Schönheitseingriffe als notwendig empfunden. Gleichzeitig bietet die Kosmetik- und Schönheitsindustrie immer mehr massentaugliche Produkte und Behandlungen an. 

Die Body Positivity-Bewegung, die durch die kommerzielle Vereinnahmung zuletzt ohnehin schon an Impact verloren hatte, scheint durch diese Trends überlagert zu werden. Die einstige Bewegung für Selbstakzeptanz und Vielfalt wird durch neue Schönheitsideale erneut in den Hintergrund gedrängt.


Doch die Ideale sind einfach nicht erreichbar. „Ich weiß nicht, wie ich meinem eigenen Aussehen auf dem Cover eines Magazins gerecht werden soll“, zeigt sich Harry Potter-Darstellerin Watson in ihrem Podcast-Interview Ende September frustriert. „Es ist verrückt. Die Erwartungen sind wahnsinnig. Es ist unmöglich. Die Schönheitsideale sind so schwer zu erreichen und die Messlatte wird ständig höher gelegt, sodass man sich ständig wie in einer Reality-Show auf einer Überlebensinsel befindet – ein Albtraum für die Schönheit“, so Watson.





Die Rückeroberung der Natürlichkeit


Viele Frauen sind müde. Müde vom permanenten Schönheitsdruck. Müde vom Anspruch nach laufender Selbstoptimierung, die oft unter dem Deckmantel von Self-Care daherkommt. Immer mehr Frauen widersetzen sich daher unrealistischen Schönheitsidealen und akzeptieren ganz bewusst ihren Körper genau so, wie er ist. Unter ihnen auch Prominente wie Selena Gomez, die bereits 2022 in einem TikTok-Clip mit einer Aufnahme im Badeanzug verkündete, dass sie keine Lust mehr habe, ihren Bauch einzuziehen und damit ein Statement für mehr Realität in den sozialen Netzwerken setzte. Schon 2016 verzichtete die Sängerin Alicia Keys bei öffentlichen Auftritten bewusst auf Make-up als Akt der Rückeroberung ihrer natürlichen, ungefilterten Schönheit. Die Bewegung inspirierte andere Frauen, sich ebenso ohne Make-up zu zeigen. „Hut ab vor Pamela Anderson, die das kürzlich gemacht hat. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viel Mut man dafür braucht“, zeigt sich Emma Watson von solchen Schritten beeindruckt. 

Nicht nur Prominente und Stars lehnen die sich verschärfenden Schönheitsideale und nicht erreichbaren Ziele zunehmend ab, sondern auch Frauen abseits des Rampenlichts, Influencer*innen und vor allem: Frauen quer über den Globus. So berichten etwa die nigerianische Marie-Claire oder auch The Times of India über die Ablehnung unrealistischer Perfektionsnormen. Der Schönheitsdruck auf Frauen und die Auseinandersetzung damit sind eindeutig ein globales Phänomen. 


„Ich empfinde es als unglaubliches Privileg, meine Zeit einfach nur dem Lernen widmen zu können“ Noor Mohammed

Eine Person liest ein Buch in einem hellen Raum vor einem Spiegel. Im Hintergrund steht eine rosa Lampe auf einer weißen Kommode. Entspannte Atmosphäre.
Schönheitsideal Smart - Foto: Lucia Macedo | Unsplash


Lernen als Selbstfürsorge und Privileg


Mit der Ablehnung von oberflächlichen Schönheitsidealen und permanenter Selbstoptimierung wird Self-Care neu definiert. Schaumbäder, Duftkerzen und Beauty-Routinen rücken in den Hintergrund, das Echte, Tiefe und Sinnhafte wird wichtiger. Auch qualitätsvolle zwischenmenschliche Begegnungen und Beziehungen werden als Form der Selbstfürsorge erkannt, denn – so wie eine Harvard-Studie herausgefunden hat – die Qualität von zwischenmenschlichen Beziehungen wirkt sich direkt auf unsere Gesundheit aus. 


Und auch etwas Neues zu lernen wird zunehmend zu einem Akt der Selbstfürsorge. Denn Lernen hilft uns dabei, zu wachsen, uns zu entwickeln und uns erfüllt zu fühlen und stärkt damit auch das Selbstbewusstsein. Neue Erfahrungen erhöhen zudem den Dopaminspiegel und fördern die Neuroplastizität, also die Fähigkeit unseres Gehirns, sich strukturell sowie funktionell anzupassen. Das ist wiederum wichtig, um auch im Alter geistig fit zu bleiben.

Der Wunsch nach mehr Tiefe statt ständig am Handy zu scrollen, wird bei der Generation Z sowie den Millennials durch das virale Phänomen des „Fall Curriculums“ spürbar: eine Bewegung, die von Elizabeth Jean gestartet wurde. Alle, die dabei mitmachen, legen einen auf ihre Interessen zugeschnittenen Unterrichtsplan für die Herbstsaison fest – mit Themen, die sie schon immer tiefer erkunden wollten. Dabei geht es um Struktur, aber vor allem auch um die Freude, das Lernen um seiner selbst willen wiederzuentdecken. „Wenn ich zu viel Zeit mit meinem Handy verbringe, fühle ich mich danach aufgedreht und nicht entspannt, sondern unruhig. Nachdem ich ein gedrucktes Buch gelesen habe, werde ich müde“, erzählt die Berliner Galleristin Noor Mohammed, die auf den Trend aufgesprungen ist. Die Bildschirmpause wird zur Belohnung. „Ich empfinde es als unglaubliches Privileg, meine Zeit einfach nur dem Lernen widmen zu können“, so Mohammed.


„Wenn ich mich alleine fühle oder nicht weiß, was ich mit mir machen soll – dann gehe ich ins Museum.“  Kirsten Dunst


Das Comeback der Buch-Clubs


Auch Bücherlesen ist wieder im Trend. Auf TikTok hat sich die Subcommunity „BookTok“ zu einer treibenden Kraft in der Verlags- und Marketingbranche entwickelt. Unter dem Hashtag #booktok veröffentlichen Leser*innen Rezensionen, Empfehlungen und tiefgehende Analysen. Allein in Deutschland wurden im Jahr 2024 20 Millionen Bücher über BookTok verkauft. Auch Buch-Clubs feiern ein Comeback. Neben queeren, feministischen oder ganz klassischen Lese-Clubs mit persönlichen Treffen gibt es Instagram-Buch-Clubs wie etwa jene der Schauspielerinnen Reese Witherspoon oder der Sängerin Dua Lipa. In Silent Book Clubs treffen sich Menschen zum gemeinsamen stillen Lesen. 





Diese Buch-Clubs sind im Vormarsch, weil sie Menschen zusammenbringen und Nähe zu anderen schaffen. So überrascht es wenig, dass Buch-Clubs auch im Dating-Kontext wichtiger werden. Eine Studie unter 2.000 US-amerikanischen Buchclub-Mitgliedern ergab, dass fast ein Viertel in ihrem Club bereits jemanden kennengelernt haben, an dem sie romantisch interessiert waren. Ein weiterer Effekt: Lesen als Mittel gegen den Alltagsstress. In der Untersuchung stimmten fast alle Befragten (93 %) zu, dass das Treffen mit einer Lesegruppe therapeutisch gewirkt hat und sogar 98 Prozent gaben an, dass sich ihre psychische Gesundheit verbessert hat.


Die positive Wirkung von kulturellen Erfahrungen auf die psychische Gesundheit wurde in Großbritannien bereits vor über zehn Jahren erkannt. Dort gibt es seit 2014 Museumsbesuche auf Rezept. 2018 folgte Kanada, 2021 Brüssel und auch in Frankreich wird die Idee landesweit umgesetzt. Nun wird das Projekt auch in  Deutschland erprobt. Laut Studien regt das Betrachten von Kunst das Wohlbefinden an und kann die Symptome von Depressionen, Demenz und Einsamkeit lindern. Kulturelle Erfahrungen wirken tief und erreichen uns auf einer Ebene, die kurzfristige Belohnungen wie Likes auf Social Media nicht bieten können. Die Kunsthistorikerin Nathalie Bondil, Leiterin des Institut du Monde Arabe in Paris, erklärt dazu: „Der Mensch ist biologisch darauf ausgelegt, von Schönheit berührt zu werden und dadurch Wohlbefinden zu empfinden." Und Schauspielerin Kirsten Dunst beschreibt es ganz praktisch: „Wenn ich mich alleine fühle oder nicht weiß, was ich mit mir machen soll – dann gehe ich ins Museum.“ 



Person steht vor Wandkunst mit mehreren grünen Skulpturen. Neutrale Farben, ruhige Atmosphäre, hellbrauner Pullover, schattenreiche Umgebung.
Von Kunst inspiriert - Lucrezia Carnelos | Unsplash

Wissen, das wir in uns tragen


Neues zu lernen und unser Wissen zu erweitern, wird gerade in Zeiten von Künstlicher Intelligenz immer relevanter. Die Bildungswissenschafterinnen Margaret Blackie und Kathy Luckett betonen, wie wichtig die menschliche Intuition und Vorstellungskraft sowie die Fähigkeit, in einem größerem Zusammenhang zu denken und Dinge in einen Kontext einzuordnen, sind. Es braucht Wissen, das wir auch tatsächlich in uns tragen. Denn rein externes Wissen wie etwa der Output einer KI-Recherche reicht nicht. Wissen bekommt erst dann Wert und Bedeutung, wenn es von einer Person verarbeitet und integriert wurde. Umso wichtiger ist das vor dem Hintergrund, dass Künstliche Intelligenzen natürlich ihre Fehler mit sich bringen – etwa in Form von Halluzinationen, Bias oder Botsplaining, dem etwas anderen Mansplaining. Damit wird Lernen nicht nur zu einem Akt der Selbstfürsorge, der den Fokus vom Außen ins Innen holt und uns nachhaltig erfüllt, sondern auch zu einer Form der Selbstermächtigung: Es schärft unsere Urteilskraft, schützt uns vor Manipulation und ermöglicht es, Künstliche Intelligenz als wertvolles Werkzeug einzusetzen – ohne sie mit der eigentlichen Quelle von Wissen zu verwechseln. 




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Unsere Autorin


Dr Katja Horninger
©Marianne Lämmel

Dr. Katja Horninger ist Kommunikationsmensch aus Leidenschaft. Nach ihrem Studium der Kommunikationswissenschaften war sie viele Jahre in der PR tätig. Heute arbeitet sie als freie Autorin, Kommunikationsbeauftragte an der Uni, Porträtfotografin sowie Yoga- & Polarity-Lehrerin. Als ewig Lernende liebt sie es, in ihrem vielfältigen Tun zu erforschen, wie Worte uns berühren und bewegen, wie wir uns durch die Sprache mit anderen verbinden und wie wir unsere Innenwelt über Bilder und unseren Körper zum Ausdruck bringen können. Katja lebt in Wien.



 
 

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