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Parvin Razavi – Es ist Zeit, die Gemüseküche neu zu denken

Aktualisiert: 27. Sept.

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TEXT & INTERVIEW: CHRISTINE KLIMASCHKA



Parvin Razavi
Parvin Razavi | Foto: Florence Stoiber

Da ist es wieder, dieses strahlende Leuchten in den Augen der Frau, die mir gegenüber sitzt. Und das Timbre der Begeisterung in ihrer Stimme, wenn sie von Melanzani, Karotten und Steinobst spricht. Wäre Parvin Razavi eine Komponistin, man könnte glauben, dass sie gerade die Ode an das Gemüse verfasst. Tatsächlich komponiert Parvin Razavi Speisen – das Leitmotiv: Gemüse! Die Liste der kulinarischen Auszeichnungen der Mutter zweier Töchter mit steiler Selfmade-Karriere ist mittlerweile formatfüllend. Geboren im Iran, aufgewachsen in Österreich, ist sie die einzige Haubenköchin, die als Autodidaktin mit Migrationshintergrund auf der kulinarischen Bühne ganz vorne mitspielt. Wir haben Parvin getroffen und mit ihr über ihr neuestes Projekt „Ein Fest für Gemüse” gesprochen, die Wichtigkeit einer vegetarischen Koch-Ausbildung und über Kommunikation mit Respekt. Be our guest!


Ich weiß nicht, warum sich viele Menschen, die Fleisch essen, so angegriffen fühlen von denen, die kein Fleisch essen."

Parvin Razavi mit myGiulia Co-Herausgeberin Christine Klimaschka vor dem &Flora in Wien
Parvin Razavi mit myGiulia Co-Herausgeberin Christine Klimaschka vor dem &Flora in Wien


Bei unserem letzten Interview hast du mir erzählt, wie wichtig es für dich ist, in deinem Beruf auch kreativ tätig zu sein. Nun habe ich gehört, dass du jetzt hier im &Flora Creative Head Chef(in) bist. Was hat sich da getan?


Wir haben jetzt einen Küchenchef, der operativ das Team leitet. Damit bin ich freigestellt, mich wirklich um die kreativen Agenden zu kümmern. Also die Karte und auch das Boutique-Catering voranzutreiben. Damit wollen wir noch eine weitere Schiene aufmachen.


Wie spürst du dich in deiner neuen Position? Macht dich das glücklicher? Macht Kreativ-sein-Dürfen noch kreativer? 


Es ist befreiend, weil ich nicht mehr unter so einem Druck stehe, sondern Zeit dafür habe, die Dinge zu entwickeln und sie erst quasi im Kopf durchzuspielen, dann auszuprobieren und dann mit Richard Hering, der jetzt die operative Führung hat, zu besprechen. Ich finde diese Art der intensiven Zusammenarbeit sehr schön.

 

Was ist das Geheimrezept für gelungene Kommunikation?


Nicht impulsiv zu sein, durchzuatmen, also nicht aus dem Impuls heraus zu reagieren. Nicht direkt in seine Abläufe einzugreifen. Ich würde ihn nie vor seinem Team kritisieren, da geht es immer um Respekt. Ja, (lacht), wir haben zusammen auch schon Krisen überstanden, aber jetzt geht es uns gut! 


Fotos: Florence Stoiber



So wie ich dich kennenlernen durfte, habe ich dich immer als Neudenkerin erlebt und du hast deinen Schwerpunkt immer schon auf neue Perspektiven in der Gastronomie gelegt. Seit Juli gibt es in Österreich – und das ist bislang weltweit einzigartig – eine vegetarische Kochlehre. Du hast dich sehr dafür eingesetzt und ihr bietet im &Flora dafür auch einen Ausbildungsplatz an.


Unsere Auszubildende hat gestern begonnen, sie heißt Alexandra, ist 30 Jahre alt, hat also schon viel Erfahrung, hat sogar ein eigenes Bistro geführt. Ihre Eltern sind Vegetarier, sie ist mit Gemüse aufgewachsen und möchte ihr Know How mit der Ausbildung professionalisieren. Ich finde es in der Gesamtdebatte nur sehr schade, dass diese Diskussion so auf der emotionalen Ebene geführt wird, oft nicht sachlich ist und manchmal polemisch, dass es halt schade ist, weil wir eigentlich hier eine Ausbildung haben, die finde ich, total zeitgemäß ist. Das ist die Zukunft. Und was ich schade finde, ist, dass es getrennt geführt wird von der Ausbildung zum Koch und zur Köchin. Es ist eine eigene Lehre. Aber grundsätzlich ist das ein super Schritt, ich finde, das ist ein Meilenstein. Man muss es nur als ein offenes System verstehen. Ein offenes System, das offen für Veränderungen ist, für Innovation, damit es perfekt wird. Und dann sind wir, glaube ich, damit schon echte Vorreiter in Österreich, das ist wirklich weltweit die erste vegetarische Kochausbildung, die es gibt.


Du meinst, das Thema regt so auf, weil die Leute Angst haben, dass man ihnen das Schnitzel wegnimmt? 


Ich weiß nicht, warum sich viele Menschen, die Fleisch essen, so angegriffen fühlen von denen, die kein Fleisch essen.


Aber das ist ja gar nicht der Zugang. Du hast beispielsweise gesagt, die Rindsrouladen jetzt einfach auf vegan/vegetarisch umzuschnitzeln – (lacht) Achtung Wortspiel –, das bringt ja überhaupt nichts, sondern man muss diese ganze Küche einfach neu denken, oder?


Genau, und das Gemüse in den Mittelpunkt stellen und das, was man damit machen kann. Ich verstehe schon, dass es Menschen gibt, die sagen, wir essen kein Fleisch aufgrund einer ethischen Entscheidung, trotzdem aber diesen Geschmack, die Textur möchten. Da gibt es eine ganze Industrie, die sich darum kümmert. Und das ist ein ganzer Markt geworden. Das ist für mich auch der Punkt. Beides hat seine Berechtigung. Aber es ist nicht etwas, das ich in unserer Küche so haben möchte, das hat nichts mit Kochen zu tun. Das sind industriell hergestellte Nahrungsmittel, das sind keine Lebensmittel. Das heißt, ich differenziere hier. Wir wollen mit Lebensmitteln kochen und nicht mit industriell hergestellten Nahrungsmitteln. 


Mich inspiriert einfach Gemüse am allermeisten."

Fotos: Florence Stoiber



Apropos echte Lebensmittel. Du hast Gemüse immer weitergedacht und Gemüse hat bei dir in deiner Küche immer die Hauptrolle gespielt. Jetzt hast du dein drittes Kochbuch veröffentlicht und sagst darüber, dass du damit auch deine Identität als Köchin feierst. Was bedeutet das? 


Die ersten zwei Kochbücher, die ich geschrieben habe, waren eine Abhandlung von existierenden Rezepten. Dieses Kochbuch ist deswegen mein persönlichstes und ein Ausdruck meiner Identität als Köchin, weil es zum ersten Mal meine eigenen Rezepte sind und weil das im Mittelpunkt steht, was mich inspiriert, nämlich Gemüse. Wir haben es „Ein Fest für Gemüse“ genannt, nicht nur weil Gemüse gefeiert gehört, sondern weil Feste feiern für mich an sich etwas Wunderschönes ist. Also Menschen zusammenbringen. Das sind zwei Keywords für mich. Feste feiern, Gemüse feiern. Und damit ist es für mich einfach ein perfekter Titel geworden. Mich inspiriert einfach Gemüse am allermeisten. Für mich ist es viel herausfordernder, mir ein schönes Gericht zu überlegen, das Gemüse im Mittelpunkt hat, als Gemüse als Beilage von einem Protein zu definieren. Wir haben so viele tolle Gemüsesorten in Österreich. Und wenn man sich auf Gemüse konzentriert, dann kommt ja auch der Aspekt Saisonalität und Regionalität in den Mittelpunkt. Was gibt mir die Saison, was gibt mir die Natur zu welcher Zeit? Und ab wann kriege ich das in bester Qualität? Ich habe auch Tipps im Buch, wie man die verschiedenen Gemüse lagern kann, wie sie sich gut kombinieren lassen und was meine liebsten Kochmethoden mit den jeweiligen Produkten sind. Und dann ist es in Gemüsesorten unterteilt. Warum? Weil ich mir denke, aus meiner Perspektive, wenn ich zu Hause bin, schaue ich nicht zuerst ins Kochbuch und suche mir ein Rezept, sondern ich schaue in den Kühlschrank. Ja, okay, ich habe ein Kilo Karotten übrig. Was kann ich daraus machen? Und ab da, finde ich, fängt die Inspiration an! Also ich finde ja auch nicht, dass Rezepte dazu da sind, eins zu eins nachgekocht zu werden. Kann man machen, aber Rezepte sind auch dazu da, um verändert zu werden. 


Hast du ein Lieblingsgemüse? 


Das ist wirklich schwer zu sagen. Also es ist an erster Stelle mit Sicherheit das Wurzelgemüse, ich liebe Rüben, und die Melanzani ist eines meiner Lieblingsgemüse. Und im Sommer natürlich, das ganze Steinobst, Tomaten und Gurken. So genial alles, man kann es eigentlich nicht reduzieren auf eines. Jede Zeit hat ihr Lieblingsgemüse.


Das Thema Inflation und Preissteigerung auch im Bereich Lebensmittel betrifft uns alle derzeit. Gemüse, vor allem Qualitätsgemüse, ist davon natürlich auch betroffen. Kann man sich noch gesundes Essen leisten?


Natürlich spüren wir das hier im Restaurant. Und ich spüre das natürlich auch zu Hause, wenn ich einkaufen gehe. Also die Sachen sind ja gefühlt über Nacht um das x-Fache teurer geworden. Trotzdem glaube ich, wenn man schlau einkauft und wenn man sich etwas überlegt, dann kann man doch mit Gemüse und Hülsenfrüchten einer gesunden, nachhaltigen und nicht so teuren Ernährungsweise nachgehen. Wenn wir über Qualität sprechen, wird es richtig teuer, wenn Fisch und Fleisch ins Spiel kommt. Ich bin echt neugierig, wann die Mechanismen der Politik hier endlich greifen wollen und man damit die Menschen entlastet. 


Parvin Razavi im Interview
Parvin Razavi im Interview

Weil du das Thema Politik ansprichst: Du warst ein Testimonial der AI-Kampagne „I ran from Iran”, bist mit deiner Familie 1985 aus Teheran nach Wien gekommen. Schon bei unserem letzten Gespräch haben wir uns über die Lage der Frauen im Iran ausgetauscht. Es ist in der Zwischenzeit viel passiert, inklusive der Bombardierung iranischer Nuklearanlagen, aber es hat sich grundsätzlich im Land offensichtlich wenig geändert. Oder?


Es hat sich gar nichts geändert, die Leute sind stiller geworden, es gibt weniger Informationen aus dem Iran. Ich glaube, jeder ist beschäftigt mit Überleben. Die Menschen haben kein Geld, leiden immer noch unter den starken Sanktionen, die Ärmsten hat es am härtesten getroffen, über Nacht ist alles um das Fünffache teurer geworden. Aber ich habe überhaupt das Gefühl, dass auch global alles, was wir über Jahrzehnte erreicht haben, in Sachen Demokratie oder Rechte von Minderheiten, das alles über Nacht in Frage gestellt wird. Dass es dafür keine Garantien mehr gibt. Ich mache mir Sorgen, dass die Mechanismen, die dazu da sind, die Demokratie zu sichern und zu festigen, nicht mehr greifen. Das ist total beängstigend für mich. Ich finde das so schlimm für unsere Kinder, die haben ja überhaupt keine Perspektiven aus ihrer Sicht. Ich bin ein sehr politischer Mensch, aber ich habe mir auch einfach einen Schutzmechanismus aufgebaut und lasse nicht mehr alle Nachrichten an mich ran. Und ich sehe auch Social Media sehr kritisch, die haben uns nicht zusammengebracht, sondern auseinander. Damit hat eine gefährliche Spirale nach unten begonnen, denn der Algorithmus hält die Menschen fest in ihren Wahnvorstellungen. 


„Es ist ein wirklich starkes Frauenprojekt entstanden – eine Symbiose aus Kreativität, Professionalität und Leidenschaft. Für mich ist es das perfekte Beispiel für Frauenpower im besten Sinne."

Ich stimme dir zu bei dieser Beobachtung. Aber du bist ja auch ein Role Model für deine Töchter und lebst ihnen ein sehr fortschrittliches Frauenbild vor, ich glaube, sie sind sehr stolz auf dich. Und in diesem Zusammenhang muss ich immer an den Satz von Albert Einstein denken: „Auf Veränderung zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun, ist wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten.“ Ich spüre jedenfalls bei ganz vielen Frauen das Bedürfnis nach echter Verbindung jenseits der digitalen Echokammern. Dein neuestes Kochbuch ist ein echtes Frauenprojekt, gemeinsam mit Sarah Satt, Florence Stoiber und Luisa Franz Kleopatra ist da ein echtes Prachtstück entstanden. Du legst immer Wert auf Zusammenarbeit mit anderen Frauen. Warum?


Besonders wichtig war mir die Arbeit mit Florence Stoiber, die seit vielen Jahren alles bebildert, was ich koche. Wir vertrauen uns blind: Ich gebe ihr den Teller, sie macht das Foto, und ich kann schon am nächsten Gericht weiterarbeiten. Sie fängt in Bildern genau das ein, was ich ausdrücken möchte.

Mit Sarah Satt, die Texte beigesteuert hat, verbindet mich ohnehin eine lange Geschichte – wir haben uns bei Biorama kennengelernt, gemeinsam gebloggt, und sie hat meine Kochwelt von Anfang an begleitet. Sie weiß genau, wo ich herkomme und welche Werte mir wichtig sind, und bringt das in ihren Texten perfekt auf den Punkt. Deshalb war für mich von Beginn an klar: Bei diesem Buch wollte ich unbedingt mit Sarah und Florence arbeiten.

Luisa Franz Kleopatra Klobassa hat das Buch großartig gesetzt und die Stimmung im Layout geschaffen, Magdalena Burghardt hat das Lektorat souverän gemeistert. Zusammen mit Stephanie Brandstätter und dem Verlag ist so ein wirklich starkes Frauenprojekt entstanden – eine Symbiose aus Kreativität, Professionalität und Leidenschaft. Für mich ist es das perfekte Beispiel für Frauenpower im besten Sinne.


All women Team für das neue Kochbuch von Parvin Razavi
All women Team für das neue Kochbuch von Parvin Razavi




Buchcover Ein Fest für Gemüse von Parvin Razvi

In kreativen veganen und vegetarischen Rezepten bringt Parvin in ihrem neuen Kochbuch EIN FEST FÜR GEMÜSE die Vorzüge von saisonalem Gemüse mit orientalischen und asiatischen Aromen zur Geltung und lädt ein, altvertraute Gemüsesorten immer wieder neu zu entdecken.


Erschienen im Brandstätter Verlag






*Kooperation | Mitglied auf der Piazza

 
 

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