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Parvin Razavi | Ohne Filter

Lebensrezept „Ich kann, ich will, ich werde.”


TEXT: CHRISTINE KLIMASCHKA
FOTOS: PAMELA RUSSMANN

Die erste Assoziation: Zwiebellook. Meine vorlaute innere Stimme, im lautlosen Dialog mit mir, grinst mich an und meint: „Naja, nicht mal so weit hergeholt für die Newcomer-Köchin 2023.” Besagte Köchin schält sich an dem kalten Aprilmorgen aus ihrem warmen, gelb-schwarzen Mantel und wird mich dann nach unserem Interview in ihrer schwarzen Köchinnen-Uniform ( „The Boss Bitch”, Copyright ihre Töchter) einen Blick in die Küche des Hotelrestaurants „&flora” am Wiener Spittelberg werfen lassen.


Im Gespräch davor enthüllt sich eine faszinierende Frau: 44 Jahre alt, zwei Töchter, eine steile selfmade Karriere, die seit November letzten Jahres mit 3 Gault Millau-Hauben gekrönt wird. Eine Frau, die genau weiß, wer sie ist und was sie will. Warmherzig, willensstark, klug, fordernd, vor allem sich selbst gegenüber. Wenn sie den Geruch von Heimat beschreibt, denkt sie an die Orangenblüten im Garten ihrer Großeltern am Kaspischen Meer. Sie ist Arbeitstier und Vollblutmutter, geboren im Iran, aufgewachsen in Österreich, die einzige Haubenköchin, die als Autodidaktin mit Migrationshintergrund auf der kulinarischen Bühne ganz vorne mitspielt.

Lust auf ein Kennenlernen mit Parvin Razavi, jenseits von Kochrezepten und Küchentalk?

Be my guest!



"Sehr viel Vorbereitungsarbeit passiert hauptsächlich im Kopf. Und ich habe leider nicht so viel Zeit, kreativ zu sein, wie ich es mir wünschen würde. Also die Idealform wäre, ich arbeite vier Tage in der Küche und einen Tag kreiere ich."



Kochen auf deinem Niveau ist ein Knochenjob. Du investierst da jeden Tag ganz viel Kraft. Wie schaut dein Arbeitstag eigentlich aus? Stehst du gleich mal um fünf Uhr auf, gehst auf den Markt und kaufst ein?

Ich wache schon manchmal mitten in der Nacht auf, weil mir noch etwas eingefallen ist, das ich vergessen habe zu bestellen. (grinst)

Aber nein, das mit den Bestellungen funktioniert alles Gott sei Dank digital. Wie schaut mein Tag aus? Also im Schnitt arbeite ich Minimum zehn Stunden am Tag. Normalerweise fange ich um 11:00 an und bin bis 21:00 da, manchmal auch bis 22:00. Ich versuche davor manchmal noch eine halbe Stunde Sport zu machen – das mache ich auch hier im Haus, mein Radius ist klein. Sehr viel Vorbereitungsarbeit passiert hauptsächlich im Kopf. Und ich habe leider nicht so viel Zeit, kreativ zu sein, wie ich es mir wünschen würde. Also die Idealform wäre, ich arbeite vier Tage in der Küche und einen Tag kreiere ich. Das schaffe ich aber nicht, weil natürlich immer wieder jemand krank ist im Team und weil wir so ausgelastet sind. Wir unterscheiden uns von den anderen Drei Hauben-Restaurants in Wien, die meistens sehr klein aufgebaut sind. Die arbeiten mit Menüs, mit 20 bis 30 Sitzplätzen und sehr stark auf den Gast hin. Sie wissen anhand ihrer Reservierungen ganz genau, was sie produzieren. Bei uns kann man das nicht so abschätzen, wir haben Frühstück, wir haben Lunch, wir haben Abendessen und da kann es schon sein, dass wir an einem Samstag mit 236 Reservierungen über den Tag verteilt starten. Und ich finde, da die Qualität zu halten, ist ein wesentlich höherer Aufwand als bei 30 Personen. Man darf nie vergessen: Wir sind ein Hotel, wir sind ein Sieben-Tage-Betrieb und die Gäste wollen zum Beispiel sieben Tage die Woche ein tolles Frühstück haben. Also das ist schon eine andere Dimension.


Und bleibt bei so viel Kraftanstrengungen noch Zeit und Liebe für Dinge neben dem Job? Hast du Hobbys? Ich habe gesehen, du hast daheim eine ziemlich coole Plattensammlung samt Plattenspieler.

Ja, ich höre viel Musik, wenn ich Zeit habe. Und wir hören auch hier in unserer Küche Musik. Die hat man immer wieder mal versucht abzudrehen. Aber es funktioniert nicht (lacht), weil wir sind unsere eigene Insel! Wir hören viel Jazz und Hip Hop. Vormittags mag ich philosophisches Radio oder Deutschlandfunk. Ich arbeite ganz gern ohne Musik, wenn es nur um Schneidearbeiten geht. Aber wenn wir ins Service gehen, also wenn die Show beginnt, dann hören wir Musik.

Apropos Show, also – ich gestehe – eine Liebe, die wir beide – wie ich auf deinem Insta-Account gesehen habe – teilen, sind High Heels. Aber wann kommst du denn überhaupt dazu, die mal zu tragen?

Ja (lacht), ich wünschte öfter! Als ich Anfang 20 war, da hatte ich mehr Gelegenheiten. Quasi jedes Wochenende. Jetzt suche ich mir die Gelegenheiten aus, wann ich die Schuhe trage. Stell dir vor, letztens habe ich doch tatsächlich ein Paar Balenciaga in einem Taxi liegen lassen und ich bin auch erst zwei Monate später draufgekommen.

Aber dann musst du eine große Sammlung haben?

Nein, leider, aber ich trage sie eben nie! Es war Weihnachtsgeschäft und ich hatte so viel gearbeitet. Im Februar hatte ich dann ein Event, da wollte ich die Schuhe anziehen. Als ich sie nicht fand, dachte ich mir, meine Tochter hat sich sicher die Schuhe genommen. Ich habe gesagt: Rück meine Balenciaga raus! Aber sie hatte sie nicht, und dann hat das noch einmal eine Woche gedauert, bis mir eingefallen ist, wann und wo ich sie das letzte Mal gesehen habe. (seufzt) Also, im Ernst, ich würde natürlich gerne öfter solche Schuhe tragen, aber ich hatte letztes Jahr im Juni einen Bandscheibenvorfall und da ist das natürlich auch nicht so gesund.





"Die Kinder nehmen das schon wahr, dass die Mama unabhängig ist, dass die Mama the Boss Bitch ist. Das finden sie cool und darauf sind sie stolz."


Jetzt kamen wir über das Thema Schuhe auf deine Töchter, wie alt sind die beiden?

Anahita ist 17 Jahre und Anais ist 13.

Du bist Alleinerzieherin, mit Familie, mit einer unglaublichen Karriere. Wie kriegt man das alles unter einen Hut? Bist du super organisiert, helfen die Kinder mit? Wie hat sich das entwickelt?

Wir haben uns ganz gut eingespielt und die Kinder kommen damit halbwegs klar, dass ich eben nicht immer da bin. Meine Mutter kommt, wenn wirklich Not am Mann ist und die Kinder eigentlich mich bräuchten, ich aber nicht kann.

Sie ist der Fels in der Brandung?

Ja, sie ist eine Ikone für meine Kinder. Wenn sie da ist, ist es quasi so, wie wenn ich da bin, aber noch besser.



"Beruflich mache ich das, wozu ich mich berufen fühle. Ich mache nichts nur des Geldes wegen, sondern ich mache den Job, weil ich den Job machen will – machen muss, fast schon. Es erfüllt mich."



Ich habe das auch in einem deiner Interviews gelesen, dass du den klaren Standpunkt vertrittst, dass man nicht nur eine gute Mutter ist, wenn man ausschließlich bei den Kindern ist, sondern ein Job, der einen erfüllt, der gehört für dich dazu.

Schon, ja, das muss man vorleben! Ich muss arbeiten, weil ich für unser Leben sorge. Nach der Scheidung habe ich auf Unterhalt verzichtet und die Alimente sind wirklich nicht der Rede wert. Mein oberstes Ziel nach der Scheidung war ganz klar: Ich will unabhängig sein. Und ich will vor allem die Familienwohnung behalten. Das war mir ganz wichtig, dass die Kinder in der Wohnung, in der sie groß geworden sind, weiterhin bleiben können, auch wenn sie teuer ist. Beruflich mache ich das, wozu ich mich berufen fühle. Ich mache nichts nur des Geldes wegen, sondern ich mache den Job, weil ich den Job machen will – machen muss, fast schon. Es erfüllt mich. Und das sehen die Kinder. Sie sehen das bei mir, aber auch bei ihrem Vater, dass wir beide dem Beruf nachgehen, für den wir uns berufen fühlen als Künstler. Und ich finde, Kochen ist ja auch eine Form von Kunst, es ist ein schöpferischer Akt für mich, es kommt aus mir heraus. Deswegen würde ich mir wünschen, dass ich stärker in den kreativen Prozess gehen kann. Aber jetzt in meiner Position hier in einem Hotel als Abteilungsleiterin, bin ich verantwortlich für mehr als den kreativen Prozess. Ich habe zwölf Mitarbeiterinnen, ich kann mich nicht zurückziehen und sagen, ich koche nur. Das geht leider nicht. Und die Kinder nehmen das schon wahr, dass die Mama unabhängig ist, dass die Mama the Boss Bitch ist. (lacht)

Das finden sie cool und darauf sind sie stolz. Und natürlich freuen sie sich.

Manchmal ist es ihnen – und auch mir – zu viel, was passiert. Also, diese enorme Aufmerksamkeit, die ich seit einem Jahr erlebe, ist kaum zu verarbeiten.




"Jeder kann sich bei mir entfalten. Ich finde das schön und ich fördere das. Aber es gibt neben denen, die kreativ sind und sein wollen, auch den Typ Umsetzer. Man braucht beide im Team. Kochen ist ein kreativer Prozess und manchmal funktionieren die Dinge erst richtig gut, wenn wir miteinander in den Prozess gehen."



Ich möchte nochmal zurückkommen auf das Thema Familie. Du hast einmal rund um den Muttertag den Begriff Wertschätzung gepostet. Findest du, dass man als Frau und Mutter davon genug bekommt? Bekommst du sie zu Hause, in deinem Umfeld? Kriegst du sie im Job?

Wertschätzung im Job? Mittlerweile ja. Anerkennung auch im Mutterdasein? Also für uns hört ja der Tag nicht auf, wenn wir nach der Arbeit nach Hause gehen, sondern ich schaue, was mich dort erwartet. Eine volle Küche zum Beispiel, ich hatte nämlich jetzt zwei Monate keinen Geschirrspüler. Ich habe am Wochenende einen neuen gekauft und bin so glücklich darüber, dass der jetzt endlich geliefert wird.


Meine jüngere Tochter, die will Thai Box-Profi werden, trainiert extrem viel, hat immer wieder Turniere und muss dann kurz vor den Turnieren auf ein bestimmtes Gewicht runter. Da mache ich dann zum Beispiel Ernährungspläne für sie und manchmal muss ich sie am Abend massieren. Wir haben eine sehr offene Beziehung miteinander. Wir sprechen eigentlich über fast alles. Und das ist wirklich schön, da ist ganz viel Vertrauen und ich weiß, was in ihrem Leben passiert. Und auch wenn ich wenig anwesend bin, weiß ich trotzdem viel besser über meine Kinder Bescheid, als manche andere Eltern über ihre Kinder.

Gibt es gewisse Grundpfeiler in der Erziehung deiner Töchter, die du eingeschlagen hast?

Vertrauen ist schon ein richtig wichtiger Aspekt. Aber ich denke mir auch, wenn mal etwas nicht klappt, hat es überhaupt keinen Sinn, weiter Druck auszuüben, weil ich will sie ja nicht demotivieren. Sie sollen auch wissen, dass wir sie, egal was sie machen, natürlich immer, immer lieben. Ich tendiere dazu zu sagen, die Menschen müssen ihre Stärken herausholen können. Man muss den Stärken Raum geben und nicht in alles eingreifen.


Im Kindergarten und in der Volksschule waren die Kinder auf einem alternativen Bildungsweg, erst danach wollten sie von sich aus auf eine Regelschule gehen. Auch da haben wir die Kinder sehr stark unterstützt, um die Wissenslücken zu füllen, die sie aufgrund der freien Schule hatten, zum Beispiel in der dritten Klasse Volksschule noch nicht ordentlich lesen und schreiben und kein Einmaleins zu können. Und natürlich denkt man sich schon: Mein Gott, werden die das je lernen? Aber ja, der Knopf geht auf, und er geht rechtzeitig auf. Und sie haben es dann begriffen. Das ist einfach der Unterschied, Wissen wirklich zu begreifen. Denn wenn man Wissen nur reinpumpt, das ist dann irgendwann verloren. Die Kinder sind übrigens der Meinung, dass der Start auf einem alternativen Bildungsweg verschwendetes Geld war. (lacht) Aber ich bin nicht dieser Meinung. Ich bin der Meinung, dass dieser Prozess, also auch dieser basisdemokratische Prozess, den sie gelernt haben, sie zu den Menschen gemacht hat, die sie heute sind. Sie können sich ausdrücken, sie können ihre Gefühle mitteilen, sie können in den Diskurs gehen. Das ist mir wichtig. Manchmal sind sie so klar in ihren Formulierungen, dass es mich fast schon schockiert. Ich denke, dass wir dann doch einiges richtig gemacht haben.


Und auch beim Arbeiten sehe ich das so: Hier im &flora wurde meiner Entfaltung Freiraum gegeben, ohne in meine Ideen einzugreifen. Und man sieht, dass das funktioniert. Und dasselbe mache ich gegenüber meinen Mitarbeiter*innen, wenn sie Ideen haben. Jeder kann sich bei mir entfalten. Ich finde das schön und ich fördere das. Aber es gibt neben denen, die kreativ sind und sein wollen, auch den Typ Umsetzer. Man braucht beide im Team. Kochen ist ein kreativer Prozess und manchmal funktionieren die Dinge erst richtig gut, wenn wir miteinander in den Prozess gehen.




Noch eine weitere Frage zum Thema Töchter. Wenn du irgendwann in ganz ferner Zukunft vielleicht einmal selber Großmutter wirst, was würdest du deinen Töchtern als Tipp mit auf den Weg geben? Liebe?

Sich zu lieben und viel Nähe zu den eigenen Kindern aufbauen. Ich habe von meinen Eltern sicherlich als Kind auch viel Liebe bekommen, aber ganz wenig körperliche Nähe, es wurde nie gekuschelt bei uns. Persische Eltern sind nicht so.

Das habe ich mit meinen Kindern ganz anders gemacht. Wir haben ein extrem nahes Verhältnis

und kuscheln bis heute noch immer wieder miteinander und ich liebe es sehr!


Wenn ich mir vorstelle, ich wäre Großmutter, in hoffentlich sehr, sehr ferner Zukunft, da wäre ich gerne wie meine Mutter und hätte gerne so eine Rolle, die sie im Leben meiner Kinder eingenommen hat. Dann möchte ich ganz klassisch die persische Großmutter sein, die für sie kocht, sie umsorgt und immer für sie da ist.


"Ich bin das Kind politischer Flüchtlinge. Die Revolution im Iran hat einen signifikanten Einschnitt in das Leben meines Vaters und meiner Mutter gebracht. Wir alle wünschen uns, dass das zu Ende geht."


Eine Frage zur aktuellen politischen Situation im Iran, wo du ja geboren wurdest. Deine Töchter werden das ja sicher auch mitverfolgen. Diskutiert ihr die aktuelle Situation?

Wir kriegen das schon sehr stark mit und das ist auch immer in der Familie ein Thema. Die Kinder waren ja auch mit mir im Iran ( Anmerkung: 2017 zur Recherche für das Kochbuch „Teheran“). Meine ältere Tochter musste dort schon ein Kopftuch tragen. Also da war der Unterschied schon zu spüren. Was bedeutet es, wenn ein Mädchen zur Frau wird und wie kleidet man sich und wie einengend ist das in deiner Freiheit, in deiner Ausdrucksform? Ich bin das Kind politischer Flüchtlinge. Die Revolution im Iran hat einen signifikanten Einschnitt in das Leben meines Vaters und meiner Mutter gebracht. Wir alle wünschen uns, dass das zu Ende geht. Wir wissen aber auch, dass die alles daran setzen, d