Anna ist Freelancerin und berät ihre Kunden im Bereich Online Marketing. Als im März alle Geschäfte schließen müssen fasst sie einen Plan. Sie möchte eine Plattform schaffen um kleinen Boutiquen in ihrer Umgebung unter die Arme zu greifen. Mit ihren engsten Freundinnen, einer Webdesignerin und einer Filialleiterin im Modebereich startet sie quasi über Nacht ein Unternehmen. Viele Kontakte der drei Frauen helfen, die Idee anfangs zu verbreiten, und zu Annas Überraschung sind die Erstgespräche mit den Boutique Inhabern alle erfolgreich. Was hat Anna richtig gemacht?
Im Gespräch mit Netzwerkforscherin Dr. Julia Schönbrunn sind wir folgenden Fragen auf den Grund gegangen. Wie baut man sich ein gutes Netzwerk auf und wie können unsere Netzwerke uns in Krisen helfen?
Gibt es ein ideales Netzwerk?
Unser Netzwerk ist eine Art “Sozialkapital” (so wie es z. B. auch ein Finanzkapital gibt).
Ein ideales Netzwerk nennt man auch “Smart network”. Dieses Netzwerk besteht aus zwei Komponenten. Einerseits hat man vertrauenswürdige, starke Beziehungen (die Familie oder enge Freunde), die uns Sicherheit geben. Das ist sozusagen die Basis.
"Wenn du dich allerdings immer mit dieser “core” Gruppe umgibst und austauscht, dann drehen sich immer dieselben Gedanken im Kreis und man entwickelt “fast die gleiche Meinung”. Gruppen neigen dazu sich im Verlauf der Beziehungsentwicklung ihrer Mitglieder nach außen abzuschließen."
Beim "Smart network" bildet man jedoch gezielt noch weitere Beziehungen. Das heisst, dass man sich zusätzlich zu seinem "core" Netzwerk bewusst mit neuen Leuten verbindet, über bestehende Beziehungen oder gar neue Kontakte aufnimmt. Mark Granovetter beschreibt in seiner Studie zu “Strength of weak ties”, dass gerade diese neuen Kontakte das Potenzial haben uns vorwärts zu bringen. Sogenannte schwache Beziehungen (z.B. Bekannte von Freunden) ermöglichen, dass neue Informationen ausgetauscht werden können, da diese über ein anderes persönliches Netzwerk verfügen. Die Stärke dieser schwachen Beziehungen sieht Granovetter somit darin, dass einzelne Akteure plötzlich neue Perspektiven auf für sie wichtige Informationen bekommen.
Wie ist das nun in einer Krisensituation? Gibt es hier eine “perfekte Verhaltensweise”?
Das Sprichwort “Not bringt die Menschen zusammen”, hat sich auch jetzt wieder bestätigt. Viele nutzen automatisch und systematisch ihr Netzwerk. Allerdings stärkt der Einfluss von Aussen die Innovationskraft und so rücken zum Beispiel einzelne Akteure innerhalb einer Branche oder Region näher zusammen. Diese Zusammenarbeit nennt man Coopetition - der Vorteil ist, dass alle zusammen, auch wenn diese im gegenseitigen Wettbewerb stehen, gemeinsam ein viel größeres Netzwerk aktivieren können und der Effekt sich so multipliziert.
Hinzu kommt, dass derzeit eigentlich jeder von der Krise betroffen ist, und so die Menschen offener für neue Ideen sind, aber auch für neue Verbindungen. Die radikale Veränderung, bringt uns die Chance neue Kontakte suchen zu müssen. Da hilft eventuell auch sicher der Gedanke “Ich habe nichts zu verlieren”.
"Allerdings sollte man die Spielregeln hier nie vergessen, auch nicht in Krisenzeiten. Wenn du auf jemanden zu gehst und du Netzwerke ganz bewusst erschließen möchtest, dann solltest du das immer mit dem “win-win” Gedanken machen. Die Offenheit steigt beim Gegenüber, wenn man ein Angebot macht, ein Thema einbringt, oder eine konkrete Idee hat."
Was rätst du denen, die nicht gerade stark darin sind Verbindungen aufzubauen?
Hier würde ich raten sich zu überlegen, ob es privat in deinem engen Umfeld, oder beruflich Kollegen gibt, die Networking gerne machen, und dir dabei helfen können. Es gibt dazu die Theorie der Triaden, das sind Gruppen von drei Personen. A & B kennen sich gut. B kennt zusätzlich Person C und kann dann für A die Brücke zu C bauen.
Zum Beispiel auch in Teams gibt es idealerweise 1-2 dieser Brückenbauer (sogenannte “Broker”), die das Netzwerken lieben. So kann jede/r ganz individuell ihre/seine Stärken nutzen.
Man sollte sich auf jeden Fall die Frage stellen. “Muss ich das, will ich das?” Es gibt nämlich sehr wohl Menschen, die sich im kleinen Netzwerk wohl fühlen und eher Sicherheit schätzen - diese haben meist auch nicht das Bedürfnis neue Kontakte zu knüpfen.
Diese Brückenbauer unter uns fragen sich nun natürlich, wie bauen erfolgreiche Menschen Netzwerke auf? Wie sollte ich meine Kontakte richtig managen?
Aus der Sozialwissenschaft weiss man, dass Menschen regelmäßig bis zu 50 persönliche Kontakte gut halten können. Da kann man gerade noch einen guten Überblick bewahren. Diese sind in der Regel unsere strong ties. Darüber hinaus wird es dann sehr anstrengend.
Alle anderen Kontakte sind weak ties und sie sind dazu nötig uns neue Einblicke und Denkanstöße zu geben, weil wir ja nicht regelmäßig im Gedankenaustausch stehen können. Die gute Nachricht ist, vielen ist es bewusst, dass sie deine weak ties sind und dann hängt es eher davon ab, was du fragst und wie du formulierst, wenn du dich lange nicht gemeldet hast.
Was kann ich morgen tun um mich stärker zu fühlen, gibt es von dir konkrete Tips?
Um Netzwerke nachhaltig profitieren zu können sollte man unbedingt zu Beginn ein konkretes Ziel definieren. Was will ich eigentlich erreichen? Wo geht die Reise hin? Das ist sehr wichtig, damit du fokussieren kannst.
Mache dir eine Beziehungsliste. Angeblich hat das Barack Obama auch getan. Er hat eine Landkarte erstellt zu wichtigen Themen mit Fragen wie “Gibt es Schlüsselfiguren zu diesem Thema?” und “In welcher Beziehung stehe ich zu diesen Menschen?” Wer kommt mir in den Kopf um mein konkretes Ziel zu erreichen? Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen, Autoren etc. Wen davon kenne ich gut, wer könnte eventuell eine erste Brücke schlagen?
Tausche dich mit Freunden über deine Ziele und deine Beziehungsliste aus. Die Menschen mit denen du dich unterhältst zeigen dir ganz automatisch mögliche weitere Beziehungen, die dich weiterbringen, auf.
Um das Netzwerk zu aktivieren, empfehle ich ganz bewusst Personen aus deiner Liste zu kontaktieren. Wähle ein passendes Medium und überlege vorab was du anbieten kannst, oder was du zu diesem Thema zu sagen hast.
"Wollen wir skypen? Sobald ich jemanden sehe, habe ich ganz andere Möglichkeiten zu einem vertieften Beziehungsaufbau, denn unsere Mimik und Gestik verhelfen der Kommunikation. Man traut sich auch eher nachzuhaken und hat die Möglichkeiten sich über Geschichten näher zu kommen. Die Beziehung hat dann von Anfang an eine andere Qualität."
Was war dein ganz persönliches Learning in den letzten Monaten?
Ich war durch Zufall Anfang Februar bei einer Veranstaltung. Ein Bekannter, der mich und und meine beruflichen Schwerpunkte kannte, hat mich morgens um 2 Uhr bei einem Cocktail mit einer Executive Education Managerin zusammengeführt. Netzwerker nutzen diese Situation. Es war schnell klar, dass wir füreinander gute Multiplikatoren sind und haben daher gegenseitig in den letzten Monaten sehr voneinander profitieren können, mit Weiterempfehlungen innerhalb unserer Netzwerke, als auch inhaltlich.
Oft passieren Dinge ganz unverhofft, daher würde ich jedem raten “Sei offen und interessiere dich für andere”. Eine ungeplante Kontaktaufnahme, die unglaublich bereichert - jeder hat das schon mal erlebt.
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Unsere Expertin
Dr. Julia Schönbrunn ist Organisationsentwicklerin mit Managementerfahrung. Sie ist Netzwerkforscherin am Centre of Business Network Analysis (CBNA) der University of Greenwich, UK, wo sie zum Thema “organisational networks” promovierte. Julia hält unter anderem Vorlesungen an der Fakultät für International Business der Hochschule Heilbronn. Sie glaubt an die Kraft des Netzwerks um positive Veränderung zu bewirken.
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