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Muttergeschichten: Die Umstände der anderen


von Christina Kaiser und Pamela Rußmann


Leichtigkeit und Mutterschaft. Passen diese zwei Wörter überhaupt zusammen?

Wir fragen bei sieben Frauen nach, die Mutterschaft in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen erleben oder erlebt haben. Denn wenn man genau hinsieht, erkennt man ganz schnell, wie vielfältig der Begriff Mutterschaft eigentlich ist.


Ein sehr persönliches Panorama über sieben Frauen, das uns alle mehr Verständnis füreinander und für die Herausforderungen als Mütter/Nicht-Mütter geben soll.



Frau  mit Katze

Maria | 62 Jahre | vier Kinder | Gnas (Steiermark)


Kürzlich war im ORF-Fernsehen bei „Am Schauplatz" ein Bericht über Frauen, die keine Kinder wollen. Keine Frage, es ist deren Entscheidung. Eine junge Frau sprach, sie wolle unmöglich etwas in ihrem Körper wachsen lassen, das aus ihr zehrt und sich in ihr bewegt, dieser Gedanke verursache nur Ekel bei ihr. Über diese Aussage bin ich eigentlich schon etwas erschrocken, denn gerade dieses Wachsen in mir empfand ich als wunderbar. Vor allem beim ersten Kind, Wolfgang, der 1980 auf die Welt kam. Für mich war die erste Mutterschaft nur voll Freude und Glückseligkeit.

Die Aufgaben, die nach der Geburt auf einen zukommen, das ist natürlich etwas ganz anderes. Meine vier Kinder waren aber eigentlich alle ziemlich „pflegeleicht". Da war das ganze Drumherum mit Schwiegereltern, Landwirtschaft und Verwandtschaft, die regelmäßig daherkam, eine viel größere Belastung.


In den 80er-Jahren war es noch üblich, am Acker händisch den Amaranthus zu „heindln“. Eine nicht sehr lustige Arbeit, wenn es schwül und warm ist und der Mais schon ziemlich hoch ist. Es war Ende Juni, zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin, und ich bin sicher, diese Arbeit war der Grund, dass ich auf einmal etwas Warmes bei meinen Beinen runterrinnen spürte...Blasensprung.


Da die Flüssigkeit missfärbig war, durfte ich nicht zu meiner Hebamme nach Gnas, sondern mein Mann musste mich ins Spital nach Bad Radkersburg fahren. Die Fahrt hat mir nicht sehr gefallen, da ich die Unebenheiten der Straße sehr spürte. Die Wehen hatten schon eingesetzt. Ich lag dann alleine im Kreißsaal, mein Mann durfte nicht mit hinein. Das machte mir gar nicht so viel aus, denn die Vorfreude auf das Baby war sehr groß, und ich hatte da ja noch keine Ahnung, wie heftig es noch werden würde. Wenn man jung ist, nimmt man alles leichter. Zwischen den Wehen konnte ich mich relativ gut erholen. Gegen 20:00 Uhr wurde es doch heftiger und es kam zuerst die Hebamme und später dann der Arzt. Als die Presswehen einsetzten, passierte mir ein Missgeschick...ich presste nicht nur das Baby heraus, sondern es floss auch Urin, ein wenig davon traf den Arzt – oh, war mir das peinlich! Die Hebamme wollte mit mir sogar schimpfen, der Arzt regte sich aber nicht auf. Er machte dann einen Dammschnitt, damit die Geburt schneller ging. Im Stress hatte ich es gar nicht bemerkt. Um 20:39 Uhr war Wolfgang auf der Welt und ich war happy. Den Dammschnitt wieder zu nähen war aber kein Spaß: für mich die schlimmste Erinnerung von der Geburt.


Bei meinen weiteren drei Kindern war ich bei der privaten Hebamme in Gnas, da gab es dann keinen Dammschnitt mehr. Jedenfalls war ich sehr, sehr glücklich mit meinem Sohn Wolfgang, für mich das schönste Kind auf der Geburtenstation, obwohl er ein etwas verformtes Kopferl hatte, das sich natürlich wieder zurückbildete. In nicht so guter Erinnerung sind die Visiten im Spital, da nicht nur der Arzt die Wunde ansah, sondern auch die Studenten...nicht sehr angenehm. Das Wunder des Lebens hat mich dann doch alles vergessen lassen und die große Freude mit unserem Sohn Wolfgang begann.


Als ich zehn Jahre später das 4. Mal schwanger wurde, war ich schon etwas erschrocken, da ich schon sehr viel Arbeit mit allem hatte. Wir hatten gerade einen Stall gebaut, der Schwiegervater war schon sehr durch Parkinson gezeichnet und brauchte Pflege. Nach dieser Geburt ließ ich mich sofort sterilisieren, denn vier Kinder empfand ich als genug. Zu dieser Zeit war aber noch die Unterschrift des Ehemannes verpflichtend...da musste ich meinen Mann wirklich dazu überreden.



eine Frau, schwarz weiss

Celsy | 32 Jahre | zwei Kinder | wohnt in Nienburg/Weser (Niedersachsen)


Mein Muttersein ist vor allem davon geprägt, aus den Umständen das Bestmögliche zu machen. Als Selbstständige habe ich den Luxus von Elternzeit und Co. nie genossen, sondern musste früh lernen, meine Mutterschaft bestmöglich mit dem Job und allem anderen zu vereinbaren. Als ich dann an Krebs erkrankte – mein jüngstes Kind war zu diesem Zeitpunkt 5 Monate alt –, lernte ich schnell, loszulassen: den Anspruch, immer Hauptbezugsperson sein zu müssen, den Anspruch, es so zu machen wie alle anderen, den Anspruch, immer alle Antworten haben zu müssen. Mein Muttersein bedeutet vor allem, mit mir selbst gnädig zu sein. Es kann nicht immer alles perfekt laufen, wir alle machen mal Fehler und der Haushalt hört einfach niemals auf. „Versuch macht klug!”, Fünfe auch mal gerade sein zu lassen und mich vor allem auf die Verbindung zu meinen Kindern und meinem Mann zu konzentrieren, sind für mich die wichtigsten Elemente meiner Mutterschaft.


Meine größte Herausforderung ist, dass ich selbst nie ein Vorbild für eine „gute Mutterschaft“ hatte. Meine Eltern waren keine guten Eltern, ich komme aus sehr schwierigen Verhältnissen. Ich musste also erst einmal eine ganze Menge schwieriger Muster verlernen, um meinen Kindern eine liebende, aufmerksame, gewaltfreie Mutter zu sein. Die Lernkurve der letzten (fast) sieben Jahre war steil, aber erfolgreich. Das Sinnloseste, was man jungen Eltern mitgeben kann, sind irgendwelche Anschaffungslisten, was man für eine gelungene Erstausstattung angeblich alles braucht. Dieser Konsumdruck ist nicht nur völlig irrelevant für die eigenen Qualitäten als Eltern, sondern setzt vor allem Eltern aus sozioökonomisch wenig privilegierten Verhältnissen unfassbar unter Druck. Viele Dinge, die einem Menschen über Elternschaft erzählen, sind eng mit Klassismus verknüpft – vor allem, wenn es um vermeintlich pädagogisch wertvolles Spielzeug, zu viel Medienzeit oder angeblich nötige Frühbildung geht. Ich wünsche mir, dass wir Eltern viel häufiger einfach fragen, wie wir ihnen jetzt gerade, in diesem Moment, am einfachsten helfen können. Oder wie meine Kinder sagen: „Mama ist manchmal streng, aber lustig und superlieb.“


Alicia, 36 Jahre alt, ein Kind, Wien

Alicia | 36 Jahre |

ein Kind | Wien


Meine Tochter ist jetzt knapp 5 Monate, ich bin also eine recht frische Mama. Trotzdem fühlte sich das Leben mit meiner Tochter von der ersten Sekunde an sehr natürlich und selbstverständlich an. Für mich war und ist es ganz normal, für meine Tochter zu sorgen und für sie bedingungslose Liebe zu empfinden, da musste sich zum Glück kein Schalter umlegen, das Gefühl war von Anfang an da – sicher auch, weil ich mir schon lange ein Kind gewünscht habe. Was den Alltag betrifft, haben wir einfach echt Glück: Unsere Tochter ist nicht nur wahnsinnig süß und lustig und fast immer gut gelaunt, sondern auch sehr unkompliziert, was Schlafen, Essen usw. betrifft. Ich habe sehr schnell begonnen, mit meiner Tochter spazieren und in Lokale zu gehen. Und mir auch meine kurzen Auszeiten vom Mamasein zu nehmen. Mein Partner war auch in den ersten Wochen schon genauso Bezugsperson für unsere Tochter wie ich. Das war notwendig, denn vor allem unmittelbar nach der Geburt gab es einige Tiefs, die aber nichts mit dem Mamasein direkt zu tun hatten.


Die größte Herausforderung war die Geburt an sich und der Umgang damit in den Wochen danach. Ich hatte da ein paar unschöne Erlebnisse, die teilweise so nicht hätten sein müssen. Da meine Tochter über dem errechneten Geburtstermin war, wurde die Geburt eingeleitet. Ich hatte sehr schnell sehr schlimme Wehen, Blutungen usw. Meine Beschwerden wurden aber von der Nachthebamme zuerst bagatellisiert. Ich bin also gefühlte Stunden nicht ernst genommen worden, bis ich in den Kreißsaal gebracht wurde. Kleine Sticheleien konnte sich die Hebamme aber auch dann nicht verkneifen. Man ist in so einer Situation total ausgeliefert und hilflos und will einfach nur überleben bzw. sein Kind gesund in den Armen halten. Die Geburt hat dann knapp 13 Stunden gedauert. Zum Glück gab es einen Schichtwechsel und meine Tochter kam mit Hilfe eines tollen Hebammenteams auf die Welt. Erst im Nachhinein habe ich begriffen, was da eigentlich passiert ist. Mich holt das immer wieder ein. Körperlich und psychisch bin ich aufgrund der Geburt nach wie vor nicht ganz fit. Ein Geburtstrauma kann Mutter und Kind ein Leben lang beeinflussen. Es ist daher wichtig, über solche Dinge zu sprechen, sich Hilfe zu holen und diese Vorfälle auch zu melden, damit sowas anderen Frauen nicht passiert…


Vor ein paar Jahren haben sich meine Prioritäten im Leben immer weiter weg vom Berufsleben und hin zum Familienleben entwickelt – zumindest in meiner Wunschvorstellung und in der Theorie –, denn ein Kind wollte ich schon lange. Praktisch gesehen habe ich als selbstständige Texterin bis kurz vor der Geburt gearbeitet und ein paar Wochen nach der Geburt bereits wieder geringfügig begonnen, Jobs anzunehmen, um das Netzwerk zu pflegen. Der Wunsch ist da, eine fürsorgliche Mama zu sein, aber dennoch nicht ganz den beruflichen Anschluss zu verlieren, dann auch noch liebevolle Freundin zu bleiben und zudem selbstbestimmt und unabhängig zu leben. Das ist natürlich ein Spagat und nicht immer einfach. Ich arbeite momentan vor allem daran, die Erwartungen an mich selbst etwas zurückzuschrauben. Denn: Was mir wirklich wichtig ist und worauf es im Leben ankommt, ist meine Tochter. Und sind meine anderen Liebsten. Dann kommt mal lange gar nichts. Dieses Bewusstsein hat mich jüngst zu neuen Ideen beflügelt, die Privates und Berufliches vereinen.


In einer idealen Welt unterstützen Frauen andere Frauen und verurteilen nicht. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Frauen werten und Ratschläge geben, wie man was besser machen könnte, warum man dies und das so tut, was man doch nicht machen darf etc. Jede Frau ist anders, jede Schwangerschaft unterschiedlich, jede Geburt einzigartig, jedes Kind individuell. Es sollte also jede Frau auf ihre eigene Intuition hören und darauf vertrauen, eine gute Mama zu sein.


Sarah, 40 Jahre alt, eine Tochter, wohnt in Düsseldorf

Sarah | 40 Jahre | eine Tochter | wohnt in Düsseldorf


Ich habe meine Tochter im Alter von 34 Jahren bekommen. Sie wurde mit Hilfe einer anonymen Samenspende gezeugt. Mein Wunsch, Mutter zu werden, war sehr groß, ich hatte jedoch keine Beziehung, in der eine gemeinsame Familiengründung eine Option gewesen wäre. Nachdem der Kinderwunsch damals größer war als der Wunsch nach einer Partnerschaft und ich außerdem nicht mehr auf den „Richtigen“ warten wollte, war dann der Weg über die Samenspende eine ganz logische Konsequenz für mich. Es hat sich für mich persönlich von Anfang an passend und richtig und nicht etwa nach einer Notlösung angefühlt.


Die größte Herausforderung meiner Mutterschaft ist tatsächlich der tägliche Struggle: Wie bringe ich meine eigenen Bedürfnisse und die meines Kindes unter einen Hut? Wie vereinbare ich Kind und Job? Es ist ein ständiges Ausbalancieren von mehr oder weniger guten Kompromissen. Ich möchte meiner Tochter vorleben, wie man sein Leben selbst in die Hand nimmt und gut für sich sorgt. Gleichzeitig ist mein Muttersein oft der Grund, warum genau das nicht funktioniert: Die Selbstfürsorge kommt ständig zu kurz und das Verfolgen persönlicher und beruflicher Ziele ist viel mühsamer, wenn Kind und Kindergartenbetreuungszeiten immer mitgedacht werden müssen – als Alleinerziehende sowieso. Ein längst überfälliger beruflicher Neuanfang, wie ich ihn vor Kurzem gewagt habe, will dann wirklich gut überlegt sein.


Ich liebe mein Kind, aber das Muttersein mit all der Fremdbestimmtheit, den Sorgen und dem – gesellschaftlichen wie auch selbstgemachten – Druck und den hohen, fast schon übermenschlichen Ansprüchen liebe ich in vielen Momenten nicht. Ich wollte immer unbedingt ein Kind, und wenn es nicht geklappt hätte und ich kinderlos geblieben wäre, wer weiß, vermutlich wäre ich in eine große Sinnkrise gestürzt. Aus heutiger Perspektive erkenne ich, dass ich auch ohne Mutterschaft Erfüllung hätte finden können. Aber ich möchte meine Tochter nie mehr missen, wachse an den Herausforderungen, vor die sie mich stellt und freue mich auf unsere gemeinsame Zukunft.

Worauf ich aber wirklich gerne verzichtet hätte, sind diverse ungefragte Ratschläge zu den Themen Geburt, Stillen und Kindererziehung. Davon abgesehen glaube ich, dass die Erzählungen und Tipps anderer Eltern zwar hilfreich und spannend sein können, letztlich aber für jede Familie unterschiedliche Wege die richtigen sind, man nicht zuviel vergleichen und sich verrückt machen lassen sollte. Das ist natürlich leichter gesagt als getan, denn die Verantwortung ist groß und wir alle wollen alles richtig machen. Ich hatte viele – teils konträre – Bilder von mir als Mama im Kopf, bevor ich dann tatsächlich Mutter wurde. Lorelai Gilmore war vermutlich mein Single Mom-Vorbild: die Mutter als beste Freundin und Verbündete ihrer Tochter, cool und auf Augenhöhe. Dann waren da noch Bullerbü-Bilder von einer Mutter, die backt und kocht und Hustensaft verabreicht, vielleicht noch die Wäsche in einem großen Zuber von Hand wäscht. Der Mythos der sorgenden Mutter, die in ihrer Rolle voll aufgeht und nichts in Frage stellt, ist nicht zu unterschätzen. Ein schönes Bild, das mit meiner Realität allerdings wenig zu tun hat.


Ich bin dankbar für die heutigen Möglichkeiten, durch Verhütung, Schwangerschaftsabbrüche oder auch künstliche Befruchtung den Zeitpunkt des Kinderkriegens zu steuern. Von der Idee des „richtigen” Zeitpunkts halte ich dennoch nicht viel. Der vermeintlich perfekte Moment kann sich als falsch entpuppen, Lebensumstände können sich ändern, Beziehungen enden, so vieles ist nicht plan- und vorhersehbar. Und umgekehrt sind so viele ungeplante Kinder dann doch so gewollt und geliebt und letztlich zum genau richtigen Zeitpunkt gekommen.


Vreni Frost, 40 Jahre alt, hat keine Kinder, wohnt in Berlin

Vreni Frost | 40 Jahre | hat keine Kinder | wohnt in Berlin


Für mich war nie klar: „Ich werde mal Mutter”, für mich war immer klar: „Ich werde keine Mutter”. Ich hatte eine ganz kurze Zeit als Teenager, in der ich dachte: „Mit 26 bin ich verheiratet und habe ein Kind.” Den Gedanken habe ich ziemlich schnell wieder verworfen. Ich habe das Gefühl, mein Körper fände eine Schwangerschaft überhaupt nicht gut. Ich wäre eine mehrfache Risikoschwangerschaft, unter anderem habe ich Depressionen und muss Antidepressiva nehmen. Deshalb möchte ich kein Kind in meinem Körper heranwachsen sehen. Selbst wenn ich einen Partner an meiner Seite hätte, der viel Verantwortung übernimmt und tatsächlich auch zu Hause bleibt, ändert das nichts an meinem Wunsch, keine Kinder zu bekommen.

Der Gedanke an Kinder erfüllt mich einfach mit Sorge. Wie geht es meinem Kind? Ist es gesund? Wird es zurechtkommen? Bin ich eine gute Mutter? Ich habe Mutterschaft immer mit Sorge und Stress verbunden. Dieses „Wenn du keine Kinder kriegst, verpasst du was”, das empfinde ich genau andersrum. Ich habe das Gefühl „Ich verpasse mein Leben mit Kindern“. Ich bin so frei. Ich liebe mein Leben. Es ist völlig legitim zu sagen: „Mein Kind erfüllt mich“, das ist total schön. Aber ich bin nicht diese Person und ich finde das auch völlig in Ordnung.

Für so viele Menschen ist das Thema Mutterschaft eine Frage der moralischen Überlegenheit. Die wenigsten interessieren sich wirklich dafür, wie ich darüber denke. Nicht selten bin ich übergriffigen Kommentaren anderer Menschen ausgesetzt, sei es im Taxi oder auf Partys. In meiner Familie und in meinem Freundeskreis habe ich noch nie etwas Negatives erlebt, aber ich weiß, dass das eine Ausnahme ist und ich wirklich Glück habe. Deshalb wünsche ich mir, dass wir offener und toleranter mit den Entscheidungen unserer Mitmenschen umgehen und akzeptieren, dass Lebensentscheidungen einfach unterschiedlich sein können.


Hörempfehlung: Vreni Frost hat in ihrem Podcast Hirn & Hupen vier Episoden dem Thema Mutterschaft gewidmet. In der allerersten Folge sprechen sie und ihre Kollegin Miyabi Kawai ganz ehrlich über ihre Entscheidung keine Mütter sein zu wollen.



Carla Biesinger, 35 Jahre alt, hat keine Kinder, lebt in Lissabon

Carla Biesinger | 35 Jahre | hat keine Kinder | lebt in Lissabon


Um ehrlich zu sein, habe ich nicht erwartet, dass sich die Dinge so entwickeln. Ja, ich wusste, dass ich mit fast 36 wahrscheinlich nicht „so viele” Eizellen haben werde. Ich wusste auch, dass meine Fruchtbarkeit aufgrund des Bluttests, den ich im letzten Dezember durchgeführt habe, unter dem Durchschnitt lag. Ich hatte erwartet, Nebenwirkungen von den Hormonen zu haben. Diese blieben aus. Was ich allerdings nicht erwartet hatte, war, dass mein Körper mir nur zwei Eizellen geben würde, die „gut genug“ zum Einfrieren sind. Denn 10-20 Eizellen braucht es, um eine hohe Chance zu haben, schwanger zu werden.

Zu akzeptieren, dass „mein Körper nicht funktioniert“, war sehr hart. Ja, ich weiß, zwei ist besser als null und ich kann es ja noch einmal versuchen, aber nach dem Eingriff aufzuwachen und damit alleine zurechtzukommen – mit den Ergebnissen, den Gefühlen und, dass ich mit 35 und als Single das mache – war, ehrlich gesagt, noch schwieriger.

An diesem Punkt bin ich mir nicht sicher, ob ich es noch einmal versuchen werde.

Erstens war es eine Realitätsprüfung, wie es um meinen Körper steht und dass es wahrscheinlich noch mehrere Runden dauern würde, um eine „gute Anzahl von Eizellen“ zu erhalten. Zweitens habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass mein Wunsch, Mutter zu sein, wahrscheinlich nicht stark genug ist. Drittens habe ich einen kleinen Einblick erhalten, was es bedeuten würde, IVF (körperlich und emotional) durchzuführen.

Ich bereue es nicht, es versucht zu haben, da es mir – auch wenn es nicht sehr erfolgreich war – viel Klarheit darüber gegeben hat, was ich will, mit wem ich zusammen sein möchte, wofür ich verfügbar bin und wofür ich nicht verfügbar bin.

Meine Gedanken zu meiner Reise sind folgende:

Es ist absolut nichts falsch daran, eine Frau Mitte/Ende 30 oder 40 zu sein und Single zu sein. Es ist auch nichts falsch an einer Frau, die sich entscheidet, keine Kinder zu haben. „Du kannst deine Meinung noch ändern“ oder „Du wirst sehen, wenn der Richtige kommt…“ sind zwei weitere Sätze, die man bitte einfach für sich behalten sollte.

Die einzigen Menschen, die vollständig verstehen, was man da physisch und psychisch durchmacht, sind diejenigen, die es selbst durchgemacht haben. Ich habe das schnell verstanden, einige Leute (auch die mir sehr nahestehenden) haben es allerdings überhaupt nicht verstanden. Ein einfaches „Wie fühlst du dich? Ich bin hier, wenn du darüber reden willst“, ist aus meiner Sicht das Beste, was man sagen kann.

Was meiner Meinung nach falsch ist, ist, dass es nicht mehr Unterstützung für Frauen gibt, die sich ihre Optionen offen halten wollen. Ich habe das Glück, in Portugal zu leben, wo das Einfrieren von Eizellen „nur“ etwa 2.500 Euro kostet – in anderen Ländern wie den USA sind es 10.000 Dollar. Der Hauptgrund, warum ich vorher nie an das Einfrieren von Eizellen gedacht habe, war einfach, dass ich nicht die finanziellen Mittel dafür hatte. Geld sollte nicht der entscheidende Faktor sein, der Frauen davon abhält, über dieses Thema nachzudenken oder zu handeln (zumal der Eingriff selbst eine einfache, 20-minütige Prozedur ist).

Warum wird so viel mehr Forschung und Geld in die Männergesundheit, wie zum Beispiel erektile Dysfunktion oder Viagra investiert? Warum nicht dasselbe in die Frauengesundheit? Es ist erschreckend, wie viele Tabus es rund um die Gesundheit von Frauen gibt. Wir brauchen mehr Informationen und Ressourcen, um Frauen dabei zu helfen, ihre Zyklen und Hormone zu verstehen – warum wird das nicht in der Schule gelehrt?! Warum habe ich erst mit weit über 30, nach einem Online-Kurs zum Thema „Feminine Biohacking“, verstanden, wie ich nach meinem Zyklus leben soll? Die meisten Mädchen, mich eingeschlossen, fangen im Teenageralter mit der Einnahme der Pille an. Wir nehmen jahrzehntelang Hormone ein, ohne genau zu verstehen, welche langfristigen Auswirkungen sie auf unseren Körper haben.

Zu erkennen, wie viele Frauen einen ähnlichen Weg gegangen sind, hat mir gezeigt: Wir haben noch einen langen Weg vor uns, wenn es um die Gesundheit von Frauen geht und darum, sichere Räume, Unterstützung und Ressourcen für Frauen zu schaffen, die damit zu kämpfen haben,

(Un-)Fertilität, Mutterschaft oder einfach das Leben auf unkonventionelle Art und Weise zu leben!


Mel Merio, 43 Jahre alt, zwei Kinder, wohnt in Wien

Mel Merio | 43 Jahre | zwei Kinder | wohnt in Wien


Hashem ist mein Sohn. My Life, my Love, my Everything. Ich habe ihn nicht geboren, wir kommen aus ganz verschiedenen Kulturen, tragen nicht denselben Namen. Und dennoch: Er ist mein Sohn! Ich liebe ihn so sehr. Seine Adoption ist nicht Ersatz für eine unerfüllte leibliche Mutterschaft, es war immer mein Wunsch zu adoptieren. Denn ein Adoptivkind ist nicht zwingend ein Ersatz, dass man selber kein Kind bekommen kann! Mir war es nicht wichtig, meine Gene weiterzugeben. Schon als Teenie war mir klar, dass ich nicht gebären will. Ich hab früh für mich entschieden: Wenn ich einen jungen Menschen begleiten will, dann eine Person, die Unterstützung braucht – davon gibt es genug. Ich wollte immer adoptieren. Als hätte ich gewusst, dass dieser wundervolle Mensch in mein Leben treten wird.


Oft fragen mich Menschen, ob ich denn unfruchtbar sei oder warum ich das denn mache. Meine Antwort darauf ist: So zu leben ist mein Wunsch. Wenn ich von meinen Bonus-Söhnen Jonathan (29) und Hashem (22) erzähle, höre ich oft: „Also eigene Kinder hast du nicht?!“

Besitzansprüche an Personen sind mir sowieso fremd, aber ich finde diese Frage doch etwas anmaßend und altmodisch. Ich gehe sehr intuitiv an Dinge heran und so mache ich das auch als Mutter. Ich sehe mich immer in einer begleitenden Funktion, sodass Hashem seinen Traum leben kann und sein Potenzial ausschöpfen kann.


Ich habe größten Respekt vor allen Frauen, den wunderbaren Müttern, die Menschen auf die Welt gebracht haben und bringen. Großen Respekt für alle Menschen, die ihre Kinder von Anfang an begleiten. Genauso bewundere ich aber auch Frauen und alle Menschen, die ihren Weg wählen, als Single oder in einer Partnerschaft leben, mit oder ohne Kids, oder generell einfach so leben, wie es ihnen gefällt. Diversität in der Mutterschaft und dem Frausein ist teilweise einfach noch nicht angekommen. Ich wünsche mir daher von uns, von der Gesellschaft, mehr Toleranz und Offenheit und mehr Diskurs über diversity in motherhood. Ich wünsche mir einen inspirierenden, aber nicht vergleichenden Austausch zwischen den Frauen, dass wir uns gegenseitig wertschätzen, in welcher Rolle auch immer. Von Mutter zu Pflege-, Adoptiv- , Zieh- oder Wahlmutter und anderen. Von Frau zu Frau. Von Mensch zu Mensch.



 


Diverse Motherhood in Kunst, Kultur und Unterhaltung


Hier einige Tipps für euch – von ernsthafter gesellschaftlicher Auseinandersetzung bis zu leichtfüßigem Entertainment. Die Empfehlungen wurden zusammengestellt von unserer Chefredakteurin Pamela Rußmann.

Das vielfältige Thema der Mutterschaft hat auch Einzug in Romane, Sachbücher, Filme und Serien gefunden, und sogar in der Comedy dürfen wir inzwischen über Mütter und ihre Erfahrungen lachen. Frauen haben sich ihren Platz in der Öffentlichkeit erkämpft und sind mittlerweile in der Unterhaltungsbranche zu modernen, Ton angebenden Akteurinnen, Produzentinnen, Autorinnen und Gestalterinnen geworden – zum Glück. Es lebe die Diversität!



Buchcover Das Baby ist nicht das verdammte Problem

# „Das Baby ist nicht das verdammte Problem”, ruft uns die 1988 geborene Journalistin und Podcasterin Ana Wetherall-Grujić wütend in ihrem gleichnamigen Buch zu. Poppig, frech und kämpferisch gräbt sie sich in ihrem „Handbuch für die glückliche Mutter” durch sämtliche Fallen, in die uns „die Gesellschaft” schickt. Warum noch ein Ratgeber über Mutterschaft, fragt ihr euch? Weil es Ana Wetherall-Grujić darum geht, dass Mütter in ihren Entscheidungsfreiheiten bekräftigt werden sollen, wenn es um ihre eigenen Bedürfnisse geht. Conclusio: glückliche Mutter, glückliches Kind.

Das Baby ist nicht das verdammte Problem. Ein Handbuch für die glückliche Mutter” von Ana Wetherall-Grujić ist erschienen bei Kremayr & Scheriau


Buchcover Füreinander sorgen

# Die Diplom-Pädagogin und Workshopleiterin Susanne Mierau gilt als eine der profiliertesten Expertinnen beim Thema bindungs- und bedürfnisorientiertes Familienleben. „Wir haben die Hauptlast des Sorgens im Alltag auf die Schultern von Frauen gelegt, die allein an der Masse der Sorgearbeit zu schwer zu tragen haben, bis hin zum Burnout, während Männer nicht nur weniger Sorgearbeit übernehmen”, konstatiert sie, „sondern davon auch gesellschaftlich entfremdet wurden und werden, wodurch das Problem der ungerechten Aufgabenverteilung aufrechterhalten wird und sich auf alle Beteiligte negativ auswirkt.” Warum die Gesellschaft ein neues Miteinander braucht, erörtert die 1980 geborene Mutter von drei Kindern in ihrem neuen wunderbaren, mutmachenden Buch „Füreinander sorgen”. Susanne Mieraus sympathischer, konstruktiver Ansatz lädt ein, die Haltung zu einem wesentlichen Fundament der Menschheit solidarisch und gemeinschaftlich in eine positive Kraft zu verändern.

Füreinander sorgen“ erscheint am 16.5. im Rowohlt Verlag.


# Christina Pazsitzky, besser bekannt unter ihrem Bühnennamen Christina P, ist Stand-up Comedian, Podcasterin und Autorin, deren Eltern 1969 aus Ungarn in die USA emigrierten. Die 47-Jährige verhandelt in mehreren Formaten, sowohl im Fernsehen als auch in Podcasts (z. B. „Where My Moms At?”), die Höhen und Tiefen der Mutterschaft. Eines der absolut lustigsten Bühnenprogramme von ihr ist „Mom Genes”, in dem sie nicht nur über ihre eigenen Söhne (liebevoll!) herzieht und sich über die eigenen körperlichen Veränderungen lustig macht, sondern überraschend berührend ihrer eigenen Mutter und deren ungarischer Herkunft ein Denkmal setzt.

Mom Genes” zu sehen bei Netflix.


# Beatrice Frasl hat in Folge 88 ihres Podcasts „Große Töchter” die in Berlin lebende Autorin Linda Biallas zu Gast. Die beiden unterhalten sich über den Zustand der Mutterschaft in Patriarchat und Kapitalismus. Die Feministin Linda Biallas wurde Mitte Zwanzig, mitten im Studium, ungeplant schwanger. Ihr Freund trennte sich noch vor der Geburt des Babys von ihr, denn er war nicht bereit, Vater zu sein. Heute arbeitet Biallas als Sozialarbeiterin, schreibt über ihr Dasein als mittlerweile zweifache Mutter in einer ungewöhnlichen Familienkonstellation, erzählt von Allein- und Getrennterziehung, vom Sexismus, den sie als Frau erlebt und dem Schmerz, immer wieder gegen Mauern zu laufen.

Große Töchter”, Folge 88 des Podcasts von Beatrice Frasl, z. B. auf Spotify zu hören.


# Eine Serienempfehlung australischen Ursprungs ist „Milcheinschuss”, im Original betitelt als „The Letdown”. In dieser Comedyserie, von Sarah Scheller und Alison Bell geschrieben, tritt die Mittdreißigerin Audrey als Jungmama einer Selbsthilfegruppe für frischegebackene Eltern bei, in der Hoffnung, ihr völlig aus dem Ruder gelaufenes Leben zwischen durchwachten Nächten und wehen Brustwarzen wieder in den Griff zu bekommen, oder wenigstens: Verständnis zu finden. Natürlich schlafen die Babies der anderen problemlos durch! Was sonst. Wer schon mal ungewaschen mit einem Säugling und einer kompletten Haushaltsausstattung im Gepäck einen Kaffeehausbesuch mit perfekt gestylten, kinderlosen Freundinnen durchstehen musste, wird entspannt in die Couch sinken ob der umarmenden Ehrlichkeit dieser Serie.

Milcheinschuss”, z. B. auf Netflix zu sehen.



 

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