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Die Gedanken sind frei(-zügig)

TEXT: THERESA LACHNER


Draußen ist es kalt, drinnen gibt’s warme Gedanken: erotische Fantasien mit

Gillian Andersons neuem Buch „Want“. 


Frau gefesselt weibliche Fantasien Foto: Pexels | Krivitskiy
Foto: Pexels | Krivitskiy

Es gibt sexuelle Orientierungen und Vorlieben – und dann gibt es noch Gillian Anderson (@gilliana). Jedes Mal, wenn ich Bilder oder Clips von ihr in meinen Stories poste, bekomme ich dutzende schwärmerische Nachrichten und Reaktionen. „Für sie würde ich eine Ausnahme machen“, schreiben mir schwule Freunde genauso wie hetero Freundinnen.


„Gibt es eine Fantasie, von der Sie noch nie jemandem erzählt haben? Etwas, das Sie, wenn überhaupt, nur mit den engsten Vertrauten teilen würden?”

Der Gillian-Effekt


Nicht erst seit ihrer Rolle als exzentrische Sexualtherapeutin Dr. Jean Milburn in der Netflix Serie Sex Education hat die Schauspielerin Ikonenstatus: Eine Studie des Geena Davis Institute on Gender in Media belegte den Einfluss von TV-Serien auf die Berufswahl und den schon zuvor häufigdiskutierten Scully-Effekt: Frauen, die zu den typischen Zuseherinnen der Serie Akte X

gehörten, waren aufgrund der Hauptfigur Dana Scully (dargestellt von Gillian Anderson),

die darin als FBI-Agentin und forensische Medizinerin ermittelt, eher bereit, Berufe in

Naturwissenschaften und Technik zu ergreifen. 63 Prozent der Frauen, die in diesem Bereich tätig sind, gaben Scully als Vorbild an, das sie darin bestärkt habe, sich in dieser männlich dominierten Arbeitswelt durchzusetzen. Ob es bald einen Jean-Milburn-Effekt gibt, bleibt noch abzuwarten – zumindest auf Gillian Anderson selbst scheint die Rolle abgefärbt zu haben.


Best of Jean Milburn aus der TV Serie SEX EDUCATION | youtube

Im September erschien ihr Sammelband „Want – Sexuelle Fantasien der Frauen im 21.

Jahrhundert“. Ausgehend von einem Aufruf im Guardian stellte Anderson aus tausenden

Einsendungen aus der ganzen Welt eine sorgfältig kuratierte Auswahl an Fantasien

zusammen. „Gibt es eine Fantasie, von der Sie noch nie jemandem erzählt haben? Etwas, das Sie, wenn überhaupt, nur mit den engsten Vertrauten teilen würden? Wo auch immer Sie herkommen, mit wem Sie schlafen oder nicht schlafen, ob Sie achtzehn oder achtzig

Jahre alt sind: Schreiben Sie mir.“





Mit „Want“ hat sie einen Raum geöffnet, in dem Frauen ohne Bewertung über ihre

Fantasien sprechen können. Die Botschaft? Fantasien sind nicht peinlich oder abnormal –

sie sind menschlich und gehören zu uns wie das Verlangen nach Freiheit und

Selbstbestimmung. Inspiriert wurde sie dabei von Nancy Friday, die 1973 unter demselben Konzept mit „My Secret Garden“ einen Bestseller gelandet hatte – Anderson hatte das Buch in Vorbereitung auf ihre Rolle in „Sex Education“ gelesen.


Eine der wichtigsten Fragen, die sie bei der Recherche zu „Want“ beschäftigte: Wie haben

sich die Fantasien in den letzten fünfzig Jahren gewandelt? „Überraschend fand ich, dass viele Frauen ihre Fantasien selbst heute noch für sich behalten. Einige sind stark, stolz und selbstbewusst und feiern ihre sexuelle Macht, etliche empfinden allerdings auch Scham und haben Schuldgefühle, weil sie sich beim Sex nach Befriedigung und Erfüllung sehnen."

Gillian Anderson rät jeder Frau, ihre eigenen erotischen Fantasien aufzuschreiben – auch

ohne sie danach zwangsläufig mit dem oder der Partner*in zu teilen. Obwohl Dr. Jean

Milburn aus „Sex Education“ wahrscheinlich genau dazu raten würde.


„Fantasien können tatsächlich helfen, den Blutdruck zu senken, und sogar Immunsystem zu stärken.”

Wofür sind sexuelle Fantasien gut?


Sexuelle Fantasien sind eine Form von Selbstliebe, die uns erlaubt, die Kontrolle

loszulassen und unsere Bedürfnisse neu zu entdecken. In einem Alltagsleben, das oft von

Pflichten und Konformität geprägt ist, bieten diese Gedankenräume uns die Freiheit, die

wir im Außen oft nicht finden. Fantasien können der Schlüssel zu einem reicheren

Innenleben sein – ein Gegenmittel gegen Alltagsstress, schlechtes Wetter und negative

Gedanken.



erotische Fantasien von Frauen
Foto: Pexels | Cottonbro

Was passiert dabei im Körper?


Wenn wir in unsere Fantasien abtauchen, spielt auch der Körper mit: Sexuelle Fantasien

aktivieren das limbische System im Gehirn, das Belohnungszentrum. Wir fühlen uns

lebendiger, angeregter. Gerade im Winter, wenn die Tage kurz sind und die

Dunkelheit Einfluss auf unser Gemüt hat, sind Fantasien ein willkommener Booster. Auf körperlicher Ebene passiert da einiges: Dopamin, unser „Motivationshormon“, schießt ins Blut, der Puls steigt, und die Konzentration auf Außenreize nimmt ab. Testosteron steigert die Libido, die Genitalien werden stärker durchblutet, die Vagina wird feucht, die Klitoris schwillt an. Endorphine wirken schmerzlindernd und stimmungsaufhellend. Oxytocin sorgt für Entspannung. Fantasien können tatsächlich auch helfen, den Blutdruck zu senken und sogar das Immunsystem zu stärken – genau das Richtige für die Erkältungszeit, oder?


„Wir schreiben uns unsere Geschichten selbst, können dabei bis ins letzte Detail bestimmen, wer was macht, und mit wem.”

Sex im Kopf


Auch auf mentaler Ebene unterstützen uns Fantasien, entspannter und resilienter zu werden. Wer Regisseurin der eigenen Fantasien ist, wird auch sexuell selbstbewusster,

und kann auch den Sexualpartner*innen so besser zeigen, was einem gefällt. Wichtig ist hier der Aspekt, dass wir uns unsere Geschichten selbst schreiben und dabei bis ins letzte Detail bestimmen können, wer was macht, und mit wem. So helfen uns die Fantasien, unsere Wünsche konkreter zu machen, und geben uns dadurch ein Gefühl von Freiheit. Auch die Körperwahrnehmung kann sich durch häufiges Fantasieren verbessern. Durch Selbstbefriedigung kann es zu Stressabbau und Entspannung kommen. Besonders spannend: Gerade in der (Peri-)Menopause, wenn manche Frauen das Gefühl des Kontrollverlustes über ihren eigenen Körper haben, neigen sie verstärkt zu Dominanzfantasien, so Gillian Anderson.


„Fantasien sind jedoch nicht zwangsläufig ein Aufruf zur Tat. Manchmal bleiben sie als reines Gedankenspiel sogar deutlich aufregender.”

erotische Fantasien von Frauen
Foto: Pexels

Fantasien ausleben – ja oder nein?


Das, was wir uns in Fantasien ausmalen, soll dabei aber gar nicht unbedingt eins zu eins in die Realität umgesetzt werden. Sollte man die eigenen Fantasien also überhaupt ausleben? Solange alles auf gegenseitigem Einverständnis basiert und sowohl juristisch als auch körperlich sicher ist: warum nicht? Fantasien sind jedoch nicht zwangsläufig ein Aufruf zur Tat. Manchmal bleiben sie als reines Gedankenspiel sogar deutlich aufregender.

Kritisch wird es nur, wenn Fantasien das komplette Leben dominieren oder zu einer Flucht vor ungelösten Problemen werden. In diesen Fällen können Reflektion und

psychologische Unterstützung hilfreich sein.


Fantasien können also ganz schön vielfältig sein und viel zu unserer Lebensqualität beitragen. Nicht nur im grauen Winter können sie uns helfen, unseren inneren Raum auszuleuchten und uns auf neue Weise zu spüren. 



 

Unsere Autorin


Theresa Lachner
Theresa Lachner | Foto: Herr Holzner

Theresa Lachner ist Journalistin und Host des Podcasts LVSTPRINZIP. Nach einem Doppelstudium in Literatur- und Kommunikationswissenschaften arbeitete sie als Filmkritikerin, Reisejournalistin und Texterin und lebte fünf Jahre als Digitalnomadin in 36 Ländern. Theresa arbeitet neben ihrer Autorinnentätigkeit zudem als Referentin zu sexualisierter Gewalt in Paarbeziehungen sowie als Systemische Sexualberaterin im Einzel- und Paarsetting.


 


KOMMENTAR von Nicole Adler


«Wenn sich alle Frauen, die schlechten Sex haben, vereinen würden, gäbe es die stärkste politische Bewegung aller Zeiten, und die Welt würde implodieren», meint die französische, feministische Autorin Ovidie 

Das Thema der weiblichen Sexfantasien ist gerade ein brandheißes Thema. Miranda July mit ihrem Menopausen-Roman „Auf allen Vieren“ und Regisseurin Halina Reijins Film „Baby Girl” mit Nicole Kidman in der Hauptrolle, der gerade in den Kinos läuft, erforschen die weibliche, die unterdrückte, die nicht gelebte Lust, auf unterschiedliche Art. Der Sex bei Heteropaaren ist meist männlich dominiert, viele Frauen haben einfach die Nase voll. 


Im Herbst 2024 erschien – passend zum Trend – „Want“ von Schauspielerin Gillian Anderson, das sich den intimsten Wünsche und Sehnsüchte von Frauen widmet

Ich habe das Buch bereits gelesen:


WANT ist eine Sammlung anonymer sexueller Fantasien von rund 170 Frauen aus der ganzen Welt. Großartig und erhellend, manchmal auch schockierend ist der Erfindungsreichtum vieler Frauen und ihre intimen Einblicke in ihr Gefühlsleben. Junge, alte, aller Glaubensbekenntnisse und Herkünfte, Frauen in langjährigen, lieblosen Ehen und Beziehungen, deren Sehnsüchte nie erhört wurden, queere Frauen, die Angst haben, sich zu outen – viele, die gestehen, dass sie diese Gefühle bisher nicht zum Ausdruck brachten. Ein Kosmos aus lustvoll erregend oder kurios absurd anmutender Fantasien; eine der Frauen sehnt sich nach Sex mit ihrem Bürotürknopf, eine andere, die danach dürstet, die hübsche Kassiererin an der Supermarktkasse zu stillen. Interessanterweise spielt Machtdynamik in vielen der Texte eine große Rolle. Es ist eine gewisse Nervosität bei Anderson im Hinblick auf die Tatsache zu spüren, dass Frauen oft über Begegnungen fantasieren, die Gewalt, Zwang und andere Erniedrigungen beinhalten. Viele dieser Fantasien sind tatsächlich schockierend. Anderson stellt aber auch klar, dass der entscheidende Faktor hier die Handlungsfähigkeit ist und dass es in der Fantasie darum geht, dass wir immer die Kontrolle haben. Das ist auch eine der brennenden Fragen: Haben wir immer die Kontrolle? 



Nicole Adler 

Nicole Adler

... ist Journalistin, Autorin und Gründerin des „For Women Only Network“ und SHE KNOWS. Mit 25 Jahren Erfahrung in Mode und Journalismus war sie unter anderem Mode-Ressortleiterin bei DIVA, Kurier und Flair. Sie engagiert sich für Female Empowerment, kuratiert Kunstausstellungen und unterstützt aufstrebende Kreative. Ihr Fokus: Sichtbarkeit, Vernetzung und Mentoring für Frauen in Kunst und Design.

 








Eine nicht vollständige Auswahl an Autorinnen, die über weibliche Sexualität und Freiheit geschrieben haben:


„Angst vorm Fliegen“ von Erica Jong (1973), ein feministischer Klassiker, den man gelesen haben sollte. Nancy Fridays Kultbuch „Sexfantasien der Frauen 1973“ hat viele Frauen inspiriert, u. a. auch Gillian Andersons zu ihrem Buch. Die französische Autorin Catherine Millet erregte mit „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ ziemliches Aufsehen. Ebenso wie Virginie Despentes, deren Roman „Baise-moi” (Fick mich) 2000 verfilmt wurde. 2008 schrieb Charlotte Roche mit Feuchtgebiete einen Bestseller und betrieb damit hell ausgeleuchteten Seelenstriptease. 


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