TEXT: PAMELA RATH
Warum eines der wichtigsten Gefühle, nämlich Empathie, eigentlich eine Kompetenz ist, wieso wir diese im 21. Jahrhundert mehr denn je brauchen und wie wir damit am Arbeitsplatz mentale Gesundheit und Mitarbeiterzufriedenheit fördern.
Die Arbeitswelt definiert zum größten Teil unseren sozialen und finanziellen Status und erhält dafür üblicherweise ein gutes Drittel unserer Lebenszeit. Ein Drittel unseres Lebens schlafen wir, und das dritte Drittel füllen wir in den meisten Fällen mit Lebenserhaltung und „Freizeit“. Da aber die Arbeitswelt durch den sozialen und finanziellen Hebel die Regeln der Gesellschaft bestimmt, erhält sie in unserer Aufmerksamkeit einen erhöhten Schwerpunkt. Hier verhandeln wir, wie wir miteinander umgehen und wer wir als Gesellschaft sein wollen. Hier werden Macht und Chancen verteilt, hier werden in weiterer Folge Familienleben geprägt und Lebensumstände generiert. Hier wird Verhalten erlernt, bewertet, goutiert oder sanktioniert. Hierfür werden wir von Kindesbeinen an vorbereitet und unsere Eltern stellen die entsprechenden Weichen dafür, in welchen Bahnen sich unser Leben entwickeln kann und in welche Gesellschaftsschichten wir Einzug halten. Infolgedessen werden auch unsere Gefühle vielen dieser Regeln untergeordnet.
Kompetenz: Empathie
Eines der wichtigsten Gefühle, nämlich Empathie, ist eigentlich eine Kompetenz, noch dazu eine, die wir im 21. Jahrhundert mehr denn je brauchen. Sie ist es, die das Menschliche in unserem Miteinander ausmacht, und nicht so schnell und einfach von der KI abzulösen ist.
Denn Menschen sind keine logischen Wesen, Menschen entscheiden nicht nur rational, sondern auch emotional, und das viel mehr, als wir denken. Daher sind Gefühle, vor allem das Zugehörigkeitsgefühl, wichtige Motivatoren. Gefühle zu bremsen oder zu unterdrücken, vergeudet Ressourcen. Eine Harvard Studie aus dem Jahr 2023 zeigt, dass Mitgefühl nicht nur in Bezug auf Gesundheit und persönliche Beziehungen von Vorteil ist, sondern es auch unglaublich vorteilhaft für den beruflichen Erfolg ist, wenn es authentisch gelebt wird. Die Daten der Studie belegen, dass die Entscheidung vieler Mitarbeiter*innen, in einem Job zu bleiben, größtenteils auf einem Zugehörigkeitsgefühl, der Wertschätzung durch ihre Vorgesetzt
en und der Nähe zu fürsorglichen und vertrauensvollen Kolleg*innen beruht.
Aus der Arbeits- und Organisationspsychologie wissen wir außerdem, dass Belonging (Zugehörigkeit) ein Treiber für Innovation ist und für gute Teamarbeit und eine offene Unternehmenskultur sorgt. Wer gelernt hat, über die eigenen Gefühle zu sprechen, ohne negativ sanktioniert zu werden, lernt den positiven Umgang mit den eigenen negativen Emotionen und kultiviert somit eine positive Fehlerkultur. Und wer Angst, Scham, Wut, aber auch Neid und Neugier konstruktiv formulieren und benennen kann, sorgt dafür, dass Unfairness erkannt und im Bedarfsfall beseitigt werden kann.
Kunst bildet Realität ab
„What a feeling“ ist nicht nur der Titel des 80er-Jahre-Hits von Irene Cara, sondern auch der musikalische rote Faden für den gleichnamigen Film von Kat Rohrer, der aktuell in den Kinos zu sehen ist. Dieses cineastische Wunderwerk einer zeitgenössischen RomCom baut also zufällig auf einem musikalischen Vermächtnis meiner Kindheit auf. Kat Rohrer schreibt die Geschichte dieses lebensfrohen Titels weiter – und ergänzt das Thema Liebe zum Tanzen mit der Liebe zum Leben, mit Midlifecrisis und neu entdeckten Gefühlen. Sie vermischt dies mit Wiener Schmäh, LGBTQ-Glitzer & Glam und einer gesunden Portion Feminismus. Außerdem bekommt das Publikum Einblick in einige Lebensrealitäten von Menschen mit Migrationshintergrund in Mitteleuropa.
Sexualität am Arbeitsplatz
Was hat nun dieser queer-feministsche Film mit Gefühlen am Arbeitsplatz zu tun? Einfach alles, denn viele Szenen spielen sich während der Arbeit bzw. im Arbeitskontext der beiden Protagonistinnen ab und zeichnen ein realistisches Bild davon, dass von allen inneren Dimensionen der persönlichen Diversität (vgl. das Modell der 4 Layers of Diversity, ein Modell von Gardenswartz und Rowe (2003), das die Vielfalt in Organisation greifbar macht) die der sexuellen Orientierung, und auch jene der sexuellen Identität, immer noch bei vielen Menschen ein Geheimnis am Arbeitsplatz darstellt.
Sexualität am Arbeitsplatz ist also dann nicht relevant, wenn sie nicht geheim sein muss. Nehmen wir nun an, um das Bevölkerungswachstum weltweit einzudämmen, entstünde ein Trend, sodass die homosexuelle die zu bevorzugende Paarbeziehung darstellte… Wie würde ich als heterosexuelle Frau dann leben? Wie würde ich heimlich mit meiner heterosexuellen Neigung umgehen, wenn ich meine „crushes“ auf Männer unterdrücken, oder heimlich ausleben müsste? Mit dieser Heimlichkeit und sozialen Unerwünschtheit, wie bringe ich dann gute Arbeit aufs Papier, wenn ich nicht die sein kann, die ich wirklich bin, sondern aufpassen muss, dass man mir nichts „anmerkt“?
Ich würde mir dann nichts mehr wünschen als ein Arbeitsumfeld, das sehr tolerant ist. Aber auch generell würde ich mir, auch ohne Liebesdrama, Toleranz hinsichtlich Menstruation, Mutterschaft (jegliche Form der Schwangerschaft, auch ungewollte und beendete, und nicht ausgetragene) und Menopause: die weibliche Dreifaltigkeit der hormonellen Veränderung. Biologisch weibliche Personen sind mehrfach in Transformation. „Rollercoaster der Gefühle“ ist manchmal nur ein Hilfsausdruck.
Das Fehlen von Zugehörigkeit
Wer also nicht zur peer group gehört, wird weniger wahr- und ernst genommen. In jeder Gruppe, auf jeder Ebene. Frauen, die seit jeher gewohnt sind, nicht zu der Gruppe zu gehören, die die finanzielle, kulturelle und politische Macht innehat, strukturell und global gesehen (Stichwort: Patriarchat), sind es daher gewohnt, dass es Bereiche des Lebens gibt, wo sie nicht „dazugehören“. Daher fällt es ihnen wahrscheinlich auch wesentlich leichter, für andere marginalisierte Personen oder Minderheiten Empathie zu empfinden.
Diese Gefühle des Nicht-gesehen-Werdens, des Nicht-mitmachen- oder -mitreden-Dürfens, der ungleichen Behandlung, verhindern das Gefühl der Zugehörigkeit. Das erleben wir speziell auch bei allen Geschlechtern in Bezug auf die Dimension der ethnischen und kulturellen Herkunft (Migrationsbiographie). Zugehörigkeit ist ein Grundbedürfnis und zählt zu den Fundamenten intrinsischer Motivation, welche speziell im Arbeitskontext enorm wichtig ist.
„Wer sich nicht in andere hineinversetzen kann, ist auch nicht in der Lage, mit der Person eine Beziehung zu beginnen, aufzubauen und zu halten.”
Die Vielfältigkeit von Gefühlen
Das Gefühl der Zugehörigkeit, das die Identität mit dem Bedürfnis nach Bindung bündelt, ist besonders spannend in heterogenen Gruppen. Jeder Mensch braucht die Anschlussfähigkeit an andere und das Verstanden- und Gesehenwerden, obwohl und gerade weil wir unterschiedlich sind.
Empathie, das Mitgefühl für die Gefühle anderer, ermöglicht die Wahrnehmung dessen, dass andere sich nicht gleichgestellt fühlen und hat somit das Potenzial, als gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Treiber zu fungieren. Wer sich in andere hineinversetzen kann, ist auch in der Lage, mit der Person eine Beziehung zu beginnen, aufzubauen und zu halten. Das gilt speziell am Arbeitsplatz, insbesondere im Bereich der Mitarbeiterentwicklung, aber auch der Mitarbeiterbindung und startet bereits davor im Employer Branding, im Recruiting und Onboarding. Wer Empathie erleben darf, kann diese auch reproduzieren. Empathie muss man selbst kennenlernen, damit man sie nachahmen und ins Unternehmen weitertragen kann. Denn, wenn niemand mit dir spricht, lernst du ja bekanntlich auch nie sprechen.
Wir brauchen sie mehr denn je, diese Kompetenz, diese Bereitschaft und Fähigkeit des Mitgefühls, sich in andere Menschen hineinzufühlen, damit wir Verständnis für sie erzeugen, ihre Motive verstehen und sie so ansprechen können, wie sie es verstehen können. Vor allem jene Firmen, die sich seit Jahren auf die Fahnen schreiben, Frauen zu fördern und die Frauenquote in Führungspositionen zu erhöhen, oder zum Beispiel den Pride Month öffentlich zelebrieren, sollten genau hinschauen, wie gefühlsoffen sie in der Firmenkultur wirklich sind.
„Gefühle sind so menschlich wie unsere Fähigkeit zu lachen, genauso wie unser kulturelles Verhalten oder der Sinn für das Schöne, auch wenn dies pragmatisch nicht nützlich scheint.”
Live long and prosper, with all your feelings.
In der Wirtschaftspsychologie kennen wir den Wert der Emotionen und sie im Einsatz der Verkaufspsychologie für Werbung und Marketing bei Konsument*innen auszulösen ist meistens höchst erfolgversprechend. Der Arbeits- und Organisationspsychologie gegenüber existieren allerdings eher Animositäten hinsichtlich menschlicher Gefühle seitens der Manager*innen, denn diese vermuten oft fälschlicherweise, dass der Fokus auf Arbeitsplatz-Wellbeing mit Spa-Annehmlichkeiten, vermehrten Kosten und reduzierten Leistungen zu tun hat. Dabei geht es vielmehr darum, zu erkennen, welche Ressourcen ungenutzt oder vergeudet werden, weil Menschen, die ihre Gefühle verstecken müssen, nicht sein können bzw. sollen, wer sie wirklich sind und somit auch nicht ihr volles berufliches Potenzial ausschöpfen können bzw. wollen.
Gefühle sind so menschlich wie unsere Fähigkeit zu lachen, genauso wie unser kulturelles Verhalten oder der Sinn für das Schöne, auch wenn dies auf den ersten Blick pragmatisch nicht nützlich scheint.
Gefühle sind einfach das Salz in unseren Suppen, und diese gegenseitig auszuhalten und miteinander auszuhandeln ist die Basis für unsere zwischenmenschliche Kommunikation und Beziehungen. Ohne sie würden wir nur digital, also in 0 und 1 kommunizieren, oder wie Vulkanier, jene humanoide Spezies des Star Trek Universums, die Gefühle unterdrückt, um nur der Logik zu folgen. Wir Menschen können aber beides heutzutage, analog und digital, sowohl als auch. Daher lautet mein Plädoyer: Live long and prosper, with all your feelings.
Unsere Autorin
Pamela Rath ist Philologin, Philanthropin, Person of Colour und Expertin für Arbeits- und Organisationspsychologie & HR-Management. Sie ist intersektionale Feministin, Teil des Podcasts #Elevatortalks, catlady und Unternehmensberaterin für New Work & Diversity in Business und FH-Lektorin. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen am Stadtrand von Wien und schreibt gerade an ihrem ersten Buch.
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