Doris Schmidauer | Ohne Filter
- Christine Klimaschka
- vor 2 Stunden
- 14 Min. Lesezeit
„Die Mutverstärkerin”
INTERVIEW: CHRISTINE KLIMASCHKA
TEXT: CHRISTINE KLIMASCHKA
FOTOS: PHILINE HOFFMANN

Ich tippe Ballhausplatz, 1010 Wien in mein Navi und auf dem Weg zu meinem Interview, das dort stattfindet, bringe ich morgens noch meine Tochter in die Schule. Neben mir sitzend fragt sie mich in messerscharfer Kinder-Logik: „Mama, ist die Frau Bundespräsidentin eigentlich die Chefin hier in Österreich?“ Ich widerstehe der Versuchung, schnell eine kleine Vorlesung über die österreichische Bundesverfassung und die Tatsache, dass die Rolle der First Lady darin nicht festgeschrieben ist, auf mein 12-jähriges Kind loszulassen und lächle stattdessen schnell rüber: „Ich werde Frau Doris Schmidauer das gleich fragen.“
Im leopoldinischen Trakt der Wiener Hofburg befinden sich im ersten Stock die Amts-und Repräsentationsräume des Bundespräsidenten. Im zweiten Stock, dort wo Kaiserin Maria Theresia an ihrem Hof ihre Kinderzimmer untergebracht hatte, empfängt uns heute die Ehefrau des österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Doris Schmidauer begrüßt uns in ihrem Arbeitszimmer, dessen altehrwürdige Wände mit Werken von zeitgenössischen female Artists geschmückt sind, zu einem Gespräch über ihr Rollenverständnis als First Volunteer der Republik Österreich. Und auch darüber, warum sie sich nicht als First Lady definiert, ihr aber wichtig ist, im Leben zu verorten, auf welchen Schultern anderer Frauen sie steht, warum sie Feminismus als inklusive Weltanschauung definiert und wie es war, ein Buch mit dem Titel „Land der Töchter zukunftsreich“ zu schreiben.
Auf Ihrem Empfang zum Weltfrauentag in der Wiener Hofburg wurde ein bemerkenswertes Zitat vorgelesen: „If I didn’t define myself for myself, I would be crunched into other people’s fantasies for me and eaten alive.“ Sie haben sich selbst in Ihrer Rolle als Ehefrau des österreichischen Bundespräsidenten in Wirklichkeit noch mal neu erfunden. Wie schwierig war das?
Schmidauer: Also ich würde mal sagen, ganz neu erfindet man sich ja nie. Man baut immer auf dem auf, was man schon vorher gemacht hat, welche Erfahrungen man mitnimmt, welche Interessen man hat, wofür man brennt und in jeder Position, in der man sich wiederfindet, überlegt man sich, wie man jetzt seine Fähigkeiten, seine Interessen auch umsetzen kann. Mir war es mein Leben lang wichtig, etwas zu gestalten, mitzuwirken. Ja, das war zunächst einmal auf Ebene der Parteipolitik.Und als das dann zu Ende war und ich mich hier in der Hofburg wiedergefunden habe, gab es auch hier einen Spielraum für Gestaltung und Mitwirkung, wobei natürlich die überparteiliche Ausrichtung ganz wichtig ist. Aber das heißt nicht, dass ich nicht auch meinen Einsatz für Gleichberechtigung, für Nachhaltigkeit, für Chancengleichheit auch hier umsetzen und überlegen kann, wie man die Hofburg auch als Ort der Begegnung nutzen kann.
Meinem Mann und mir war es von Anfang an wichtig, hier das Haus auch zu öffnen und zu einem Begegnungspunkt zu machen, wo Menschen einander treffen, die sich vielleicht vorher noch gar nicht gekannt haben. Und ich habe sehr, sehr viel dazugelernt. Es geht uns tatsächlich darum, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen. Das war die Grundlage und die Motivation für meine neue Positionierung hier.

Sie möchten als Frau des österreichischen Staatsoberhaupts nicht „First Lady“ genannt werden, sondern bezeichnen sich als „First Volunteer“. Was ist Ihr Gedanke dahinter?
Ich habe lange überlegt, was wäre denn eine Bezeichnung, die meine Rolle hier wirklich beschreibt? Und ich wollte keine Statusbeschreibung, sondern eine Beschreibung einer Aktivität und einer Zugehörigkeit. Das ist mir so wichtig bei dem Begriff „Volunteer”: die Zugehörigkeit zur Gruppe der Ehrenamtlichen, die in Österreich eine ganz, ganz wichtige Rolle spielen, das kann man gar nicht oft genug betonen. Das geht nämlich quer durch alle Bereiche: Fast 50 Prozent der über 15-Jährigen sind in Österreich in unterschiedlichen Bereichen ehrenamtlich tätig. Das geht vom Musikverein über die Pfadfinder und die Schützen bis zu den NGOs oder im Sozialbereich. Wir haben einen Notstand im Pflegebereich, der durch die Leistungen der Ehrenamtlichen abgedeckt wird, die damit einen wichtigen Beitrag für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft leisten, die eine Stütze sind. Und wir laden diese Menschen auch ganz bewusst hierher ein, einerseits um ihnen zu danken und andererseits auch, um sie untereinander bekannt zu machen. Und es ist schön zu sehen, wenn zu einer Einladung hier in die Hofburg die Tiroler Schützen in voller Montur kommen, eine Goldhauben-Gruppe aus Oberösterreich, die Pfadfinder oder die Landjugend, die Vertretung von den Vier Pfoten, die Caritas oder LBTIQ-Vereine. Es war eine tolle Veranstaltung und die Frauen der Goldhauben-Gruppehaben sich dann bedankt, weil sie am Tisch im Eck mit den Vier Pfoten zusammen waren und sich dann gleich über die Schweinehaltung und die Wölfe unterhalten konnten. Meine Erfahrung ist: Auch wenn es Vorbehalte oder unterschiedliche Meinungen zu Themen gibt, ist das okay. Aber wenn man einander mal zuhört, auf Augenhöhe begegnet und sich die Argumente wechselseitig anhört, ist schon mal sehr, sehr viel gewonnen. Und darum ist uns das auch wichtig, hier die Hofburg auch für solche Dialoge zur Verfügung zu stellen.
Mädchen sollte gesagt werden: „Ihr könnt alles werden, alles.”

Ihr Buch heißt „Land der Töchter zukunftsreich“ (in Anspielung auf die österreichische Bundeshymne, die auf Initiative von Maria Rauch-Kallat erst 2012 um das Wort „Töchter”, davor hieß es nur Söhne, ergänzt wurde). Ich bin 57 und wurde nicht als Feministin geboren, ich habe mir diesen Zugang erst erarbeitet. (lacht) Aber wenn man die aktuelle Weltlage betrachtet, dann könnte man Angst bekommen, dass das, wofür unsere Mütter, unsere Großmütter, wir vielleicht in unserer Generation durchaus auch irgendwie, gekämpft haben, dass diese Rechte zurückgedreht werden. Wie schaut es aus für die Zukunft unserer Töchter und was muss getan werden, damit sie zukunftsreich sein kann?
Man darf sich nie sicher sein, dass all die Errungenschaften, alles, was heute selbstverständlich ist, nicht übermorgen schon wieder in Frage gestellt werden kann. Und wir haben das in Ländern wie Ungarn oder Polen, gerade auch was Frauenrechte betrifft, schon miterlebt. Deswegen heißt es immer aufmerksam sein, wachsam sein und rechtzeitig aufzeigen, wenn solche Missstände oder Rückschritte bemerkbar sind. Oder welche Frauenbilder da plötzlich wieder propagiert werden, auch via Social Media, wo wir sagen: Bitte, das ist ja alles schon längst überholt.
Das ist alles höchst bedenklich und da heißt es einfach aktiv dagegen aufstehen. Und welche Rollenbilder leben wir selber vor? Wie agieren wir in unserem eigenen Umfeld? Ist es immer die Mama, die zu Hause bleibt, wenn das Kind krank ist? Oder ist es auch mal der Vater, der den Kamillentee macht? Erleben Kinder das als selbstverständlich, dass beide Elternteile sich um sie kümmern? Oder ist es das klassische „Ja, die Mama holt mich vom Kindergarten ab und dann kommt vielleicht noch die Oma und der Papa arbeitet”. Welche Berufsbilder sind noch immer verknüpft mit welchen Klischees? Frauen in Technikberufen? Da haben wir großen Nachholbedarf. Wenn man bei Jugendlichen nachfragt, wie sie zu ihren Berufswünschen kommen oder wo sie unterstützt werden, ja, dann erleben junge Mädchen, wenn sie schon überlegen „Na ja, so Mathematik, Technik, das würde mich interessieren”, dass ihnen dann oft vermittelt wird: „Überleg dir das, ob du wirklich in diese Schule oder in diesen Kurs gehen willst. Da bist du dann nur mit Buben zusammen.” Oder Lehrer – und das habe ich tatsächlich auch schon gehört –, die dann ganz überrascht sind, dass Mädchen so gut rechnen können und dann den Eltern sagen: „Das hätte ich mir gar nicht gedacht, so wie Ihre Tochter ausschaut, dass die so gut ist in Mathe.” Und diese Geschichten erzählen mir interessanterweise auch oft junge Väter, die nämlich dann das erste Mal bei ihren Töchtern erleben, die vorher vielleicht nicht so sensibilisiert waren darauf, in welchen Rollenklischees da teilweise noch gearbeitet und gedacht wird in den Schulen oder in den Bildungseinrichtungen. Mädchen sollte gesagt werden: „Ihr könnt alles werden, alles.” Darum habe ich ja dieses Beispiel mit der Astronautin auch in mein Buch genommen.
Dieses Ermutigen ist das Eine. Und Solidarität, dass man hier auch sich gemeinsam hinstellt und sagt: „Okay, das lassen wir uns nicht bieten, das lassen wir uns nicht nehmen. Und das setzen wir jetzt gemeinsam durch.” Das ist ein Thema, das mich im Moment sehr beschäftigt. Wie kann man wieder ein bisschen mehr Bewegung in die Frauenbewegung bringen? Und zwar aufeinander zu und miteinander.
Ich glaube, man denkt oft viel zu kopflastig – oft geht es um einfache, ganz konkrete Angebote.
Stichwort „aufeinander zu”: Es würde mich interessieren, ob Sie einen Tipp haben, wie man sich vielleicht wieder annähern kann. Das beginnt oft bereits in der Familie oder im Bekanntenkreis, dass sich die Leute entfremden und zurückziehen und sich dann gar nicht mehr trauen, ins Gespräch zu kommen.
Ja, das beobachte ich auch mit Sorge. Vor allem auch dieses Stadt-Land-Gefälle. Ich glaube, dass es wichtig ist, trotz allem zu versuchen, im Gespräch zu bleiben. Und dafür auch Orte zu schaffen. Das ist am Land oft schwierig, weil sich dann alle so in ihre Häuser zurückziehen. Also ich komme ja auch quasi vom Land und kann das ein bisschen beobachten oder spreche auch mit anderen, die auf dem Land leben. Früher sind die Leute viel mehr rausgegangen oder waren unterwegs und man hat sich getroffen und getratscht. Das ist leider verloren gegangen. Aber es braucht dann halt auch Orte, wo man einander trifft. Es gibt keinen Greissler mehr, es gibt jetzt das Internet und leider die Ortskerne, die immer leerer werden. Was dagegen hilft, sind ganz konkrete Initiativen. Der Sohn der Verwalterin am zweiten Amtssitz des Bundespräsidenten in Mürzsteg ist Musiker und hat eine Gruppe zusammengestellt und die gehen jetzt dort von Wirtshaus zu Wirtshaus in der Gegend und spielen da mal einen ganzen Abend und plötzlich kommen die Leute auch wieder zusammen, weil sie etwas aus ihren Häusern lockt.
Oder in meinem Heimatort, in Feuerbach, gibt es eine schöne generationenübergreifende Initiative: Da melden sich junge Leute und bieten an, mit älteren Menschen Erledigungen zu machen, zum Friseur zu fahren oder gemeinsam auf einen Kaffee zu gehen. Ich glaube, man denkt oft viel zu kopflastig – oft geht es um einfache, ganz konkrete Angebote.
Ich habe mit Interesse Ihr Buch gelesen, das Sie gemeinsam mit der Journalistin Nina Horaczek gestaltet haben, auch weil es keine typische Autobiografie ist, sondern Sie sich darin auf die Schultern anderer Frauen stellen. Das ist, wie ich gelernt habe, eine der Kernfragen in der Betrachtung Ihres Lebens: Auf welchen Schultern stehe ich? Was verbindet diese Frauen im Buch? Und was kriegen Sie denn für Feedback auf Ihr Buch?
Eigentlich ein sehr positives, vor allem von Frauen, aber auch von Männern, die meinen: „Das ist ja alles sehr interessant. Das sollten doch auch mehr Männer lesen.” (lacht) Für Veränderung braucht es Männer und Frauen gemeinsam, und Frauenpolitik ist nicht nur Frauensache, sondern es ist auch Männerangelegenheit.
Und der rote Faden des Buches ist, wie schon gesagt, dass Frauen, Mädchen alles werden können. Da ist Carmen Possnig als Astronautin ein ganz starkes Zeichen dafür. Das ist für mich aber auch Miriam Labus, die mit ihrem Rollstuhl alles erobert hat und sich von nichts hat abbringen lassen. Es geht auch um Engagement und Zivilcourage, zum Beispiel die Wirtin Hermine Hanke, die sich sieben Jahre lang so für ihren pakistanischen Lehrling eingesetzt hat.
Also Mut ist sicher etwas, was die Frauen verbindet. Und das Dranbleiben. Das ist extrem wichtig, dass diese Frauen ihre Geschichte erzählen, damit andere Frauen sehen, was ihnen helfen kann, Unterstützung annehmen zu können – das ist oft der entscheidende Schritt.

Die Frauen stehen nicht hinter ihren Männern, sie stehen gleichberechtigt neben ihren Männern.
Apropos Schritt, Sie hatten ja kurz überlegt, sich nach Ihrem Abschied aus der Politik wieder selbstständig zu machen, haben das dann aber auf die Seite gestellt und haben sich ganz aktiv dafür entschieden, hier diese Rolle einzunehmen – und ich würde gar nicht so sehr sagen, hinter Ihren Mann zu stellen, weil Sie stehen eigentlich neben Ihrem Mann, oder?
Diese klassische Zuschreibung, die Frauen, die hinter ihren Männern stehen, die den Männern den Rücken freihalten etc., wir kennen das alles. Das wird immer so dahingesagt. Manche überlegen gar nicht, welche stereotypen Zuschreibungen da immer noch bedient werden und wie präsent das immer noch ist. Und ich sage immer: Die Frauen stehen nicht hinter ihren Männern, sie stehen gleichberechtigt neben ihren Männern. Das ist mir ganz wichtig und so leben das auch mein Mann und ich. Das ist einfach eine Frage, wie die Beziehung gelebt wird.
Aber lässt Ihnen das offizielle Protokoll einen Spielraum oder schaffen Sie sich den?
Beides. Das Protokoll gibt einen Rahmen vor, das ist besonders relevant bei Staatsbesuchen und da finde ich es ehrlich gesagt auch hilfreich. Aber um beim Beispiel eines Staatsbesuchs zu bleiben, auch da gibt es Spielraum: Welche Termine möchte man wahrnehmen? Was sind wichtige Themen, die man ansprechen will? Welche Einrichtungen kann man besuchen? Ich habe das in meinem Buch beschrieben, am Beispiel Polen, als dort damals die Abtreibungsdebatte ganz aktuell war und ich auch der First Lady gesagt habe, dass ich unbedingt mit den Frauenorganisationen sprechen will. Oder als wir in Finnland waren, einem sehr spannenden Land. Natürlich steht dort derzeit schwerpunktmäßig Verteidigungs- und Sicherheitspolitik im Vordergrund, aber ich hatte auch ein eigenes Programm und habe mir zum Beispiel die großartige Bibliothek in Helsinki angeschaut. Bibliotheken haben einen hohen Stellenwert in Finnland, sind ein offener Ort, wo alle Generationen zusammenkommen, wo nicht nur Bücher angeboten werden, sondern verschiedene Dienstleistungen. Da können die Jungen sich Instrumente ausborgen, im Musikstudio Videos produzieren. Es gibt einen 3D-Drucker, Nähmaschinen, Räume, die man mieten kann für Veranstaltungen, Küchen, die man buchen kann und dann auch Kurse für ältere Menschen, die in Sachen Digitalisierung noch nicht so kundig sind. Aber ich habe dort zum Beispiel auch den Dachverband der finnischen Frauenorganisationen getroffen, weil Equality dort auch einen ganz anderen Stellenwert hat als bei uns. Und für mich ist es immer spannend zu lernen: Wie machen die das?
Der Schritt raus aus diesem Teufelskreis ist Engagement, egal ob groß oder klein; im eigenen Wirkungskreis etwas Positives tun.

In Ihrer Rolle als First Volunteer leben Sie das Konzept der Selbstermächtigung. Sie sind einfach in die Initiative getreten und schreiben in Ihrem Buch auch, dass Sie glauben, dass man durch Engagement die Negativspirale und auch das durchaus begründete Ohnmachtsgefühl durchbrechen kann. Sind Sie Optimistin?
Ja, ich bin grundsätzlich eine Optimistin. Aber natürlich kenne ich auch Situationen, wo ich verzweifelt bin oder unglücklich oder mich wahnsinnig ärgere oder auch eine schlaflose Nacht habe. Aber von der Grundanlage bin ich sicher Optimistin. Und ich habe das auch bewusst so geschrieben, weil mit der Anhäufung der aktuellen Krisen ist es einfach auch nachvollziehbar, dass manche Leute sagen: „Was kann ich da überhaupt noch tun?” Der Schritt raus aus diesem Teufelskreis ist Engagement, egal ob groß oder klein; im eigenen Wirkungskreis etwas Positives tun. Dazu wollte ich einfach ermutigen; ebenso wie den Blick über den Tellerrand nicht zu verlieren und immer zu wissen: „Okay, die Geburtslotterie, trotz aller Krisen, hat es mit uns gut gemeint.” Wir leben hier in Österreich in einem reichen Land. Wir sind nicht in einem Flüchtlingslager im Libanon oder wenn wir jetzt die Frauenrechte im Iran oder in Afghanistan anschauen. Mit diesen Communities bin ich auch immer wieder in Kontakt. Es ist so unvorstellbar schrecklich. Und trotzdem habe ich auch da Frauen über die UNO kennengelernt, die dort immer noch aktiv sind. Die schauen: „Okay, das ist alles furchtbar, aber es gibt immer Mittel und Wege, wo wir die Frauen noch unterstützen können.” Die strahlen totalen Optimismus aus. Da kann man sich ein Beispiel nehmen und sich einfach viel öfter daran erinnern, dass man eigentlich immer was tun kann. Weil man hat schon was getan, wenn man einer alten Dame über die Straße geholfen hat, wenn man freundlich mal in der U-Bahn jemanden anlächelt, im Supermarkt den Verkäuferinnen kurz Danke sagt. Und natürlich (lacht), wenn man einen Hund hat, dann kommt man automatisch in die Verbindung.
Weil wir vorher darüber gesprochen haben, dass Sie als die Frau des Staatsoberhauptes neben Ihrem Mann und nicht dahinter stehen: Was haben Sie sich denn damals gedacht, als Ihr Mann das erste Mal zum Bundespräsidenten gewählt wurde?
Da war ich zunächst einmal sehr, sehr froh und sehr erleichtert.
Es war eine unglaubliche, nicht nur politische, sondern auch emotionale Herausforderung für uns, aber auch für alle Freunde und Familien, die uns nahestehen. Das war eine unbeschreibliche Freude. Und auch, dass man das als mehr oder weniger Außenseiter geschafft hat mit so viel Unterstützung und den ganz unterschiedlichsten Initiativen. Das war einfach ein schönes Erlebnis.
Ich habe in Ihrem Buch gelesen, dass sozusagen Sie die Initialzündung der Idee für Frau Dr. Bierlein als erste Bundeskanzlerin Österreichs Ihrem Mann gegeben haben. Wie intensiv tauschen Sie sich zu seiner Arbeit als Bundespräsident aus?
Mein Mann hat hier im Haus ein großartiges Team, wo die unterschiedlichsten Bereiche wunderbar abgedeckt sind, Expertinnen, Juristinnen etc. Aber wir unterhalten uns viel über Politik.
Und ich sage immer: „Ich betrachte mich als Mitglied, als ehrenamtliches Mitglied sozusagen dieses Teams.” Ich bin da auch gern Ratgeberin oder Beraterin und bringe mich so ein, wie es eben alle anderen in dem Team auch machen. Brigitte Bierlein war ja schon im Gespräch, auch als Ministerin, und war als Präsidentin des VfGH prädestiniert für die Bundeskanzlerin. Aber dieser letzten Entscheidung sind schon viele andere Gespräche vorangegangen.
Für jede Funktion gibt es sicher die geeignete Frau. Es kann nicht sein, dass überall nur die Männer an den wichtigen Plätzen sitzen.
Wir hatten jetzt Gott sei Dank die erste Bundeskanzlerin von 2019 bis 2020. Wann gibt es die erste Bundespräsidentin?
Hoffentlich bald. Ich sage immer: Höchste Zeit, oder? Ja. Ich sage das generell für alle Funktionen. Für jede Funktion gibt es sicher die geeignete Frau. Es kann nicht sein, dass überall nur die Männer an den wichtigen Plätzen sitzen. Das ist das, was ich sage, wenn Kinder sehen, da gibt es eine Bundeskanzlerin, es gibt eine Astronautin, es gibt eine Vorstandsdirektorin, es gibt eine Tischlerin – das sagt mir, das alles kann ich auch werden.
Sie werden ja als First Lady ganz ausführlich gesehen, wie gehen Sie mit diesem Leben in der Auslage um? Kriegen Sie manchmal auch salopp gesagt Ihr Fett ab? Lassen Sie das an sich ran?
Da ich nicht direkt in den sozialen Medien vertreten bin, kriege ich, glaube ich, weniger ab und eigentlich bin ich darüber ganz froh.
Da schütze ich mich selbst und gewisse Sachen lasse ich da nicht an mich heran. Wenn mich jemand auf der Straße anspricht, ist es in der Regel freundlich, ich bin noch nie angestänkert worden. Sicher wird es auch negative Meinungen geben, aber sie wurden mir persönlich noch nicht mitgeteilt. Manche Leute schauen weg und andere freuen sich, sprechen mich an und man redet kurz. Wie gesagt, im Supermarkt oder in der U-Bahn, wenn sich was ergibt. Ich finde das eigentlich ganz nett. Zum Beispiel nach dem Opernball – da bin ich nämlich schon früh weggefahren und musste am nächsten Morgen noch schnell einkaufen – und die Dame im Supermarkt sagte zu mir: „Sie gehen jetzt schon wieder einkaufen? Sie waren doch gestern beim Opernball.” Und ich hab geantwortet: „Sie wissen doch, wir haben einen Hund, der muss trotzdem raus – Opernball hin oder her.“

Sie sprechen in Ihrem Buch auch über den informellen Austausch zwischen den First Ladies, etwa Ihre Freundschaft zur Frau vom Herrn Walter Steinmeier. Gibt es Probleme, die gemeinsam gelöst werden?
Na ja, beim ersten Austausch geht es ja oft darum: Wie wird die Rolle gelebt? Wo kann man anknüpfen? Also das ist einfach mal so ein Kennenlernen und da kann man oft auch offen reden. Es ist in vielen anderen Ländern auch so, dass die Rolle der First Lady rechtlich kaum existiert oder beschrieben ist. Es gibt aber immer Erwartungen und da ist es einfach gut, wenn man sich austauschen kann oder weiß, wie die anderen ticken oder wo es Gemeinsamkeiten gibt. So wie ich es eben bei Elke Büdenbender beschrieben habe, dass wir jetzt beide Schirmherrin der Bürgermeisterinnen sind und da gibt es in Österreich und Deutschland ähnliche Schwächen: Wir haben nur circa 11 Prozent Bürgermeisterinnen. Als nach Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine die Flüchtlingsfrage aufgetaucht ist, haben wir sehr kurzfristig Videokonferenzen mit Olena Selenska, Elke Büdenbender und auch mit der polnischen First Lady Agata Kornhauser-Duda gemacht und konnten unmittelbar sehr viel tun für die Flüchtlinge. Die hatten sie ja unmittelbar an der Grenze. Da ging es auch darum, wie riesige Kinderheime evakuiert werden. Lauter Spezialproblematiken, wo die Fragen auftauchen: Was kann Deutschland tun? Was können wir machen in Österreich und wie kann man auch Polen unterstützen?
Spitzenpolitik ist ein 24-Stunden-Job. Schaffen Sie sich Ihre Freiräume – auch gemeinsam mit Ihrem Mann – ganz bewusst?
Ja, und die braucht man auch. Das Kaunertal zum Beispiel war schon immer das Refugium, der Rückzugsort für meinen Mann. Da haben wir eine ganz kleine Zwei-Zimmer-Wohnung gemietet, da sind wir wirklich für uns. Da gibt es auch keinen Fernseher, nichts. Da wird gelesen und selbst gekocht. Im Prinzip ist da einfach mal Auszeit.
Am 29.1 2029 endet die Amtszeit Ihres Mannes als Bundespräsident. Bruno Kreisky hat es unvergesslich formuliert: „Dankbarkeit ist keine politische Kategorie.” Aber Sie haben sehr viel eingebracht für dieses Land, sehr viel Energie, sehr viele gute Vibes, so wie ich sie hier spüre. Wie wird das Leben nach der Politik?
Es wird sicher auch danach Engagements oder Projekte geben, die ich neu mache oder weiterführen kann. Mir ist jetzt einmal wichtig, diese Projekte so gut aufzusetzen, dass die auch weiter existieren, unabhängig von mir. Das ist ja eigentlich immer das Schönste, wenn man sagt: „Okay, das ist die Hinterlassenschaft. Dass man hier wirklich etwas bewegt hat.” Aber ich bin sicher, es werden sich auch danach noch interessante Tätigkeiten für mich finden.

Sie schließen Ihr Buch mit diesem schönen Dohnal-Zitat über die Vision des Feminismus als menschliche Zukunft. „Ich denke, es ist Zeit daran zu erinnern: Die Vision des Feminismus ist nicht eine ,weibliche Zukunft’. Es ist eine menschliche Zukunft.“ Wenn Sie mir dazu eine kurze Interpretation geben würden. Ich liebe dieses Zitat und Sie haben es ja ganz bewusst ausgesucht.
Was ist Feminismus für mich? Feminismus ist für mich eine inklusive Weltanschauung, eine Wertehaltung, die eigentlich nicht mehr und nicht weniger sagt, als dass alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Geschlecht, wo immer sie auf die Welt kommen, die gleichen Rechte und die gleichen Chancen haben sollen. Und das verstehe ich unter einer menschlichen Zukunft und einer solidarischen Zukunft.
Ich danke Ihnen vielmals für dieses Gespräch. Es war wirklich eine Freude und eine Ehre.
Land der Töchter zukunftsreich

In ihrem Buch erzählt Doris Schmidauer sehr persönlich von ihrer Vorstellung von Freundschaft und Familie, von ihrer Kindheit und Jugend auf dem Land, von dem, was sie im Leben geprägt hat. Wir erfahren, wie die überzeugte Feministin ihren Mann, Alexander Van der Bellen, kennenlernte und wie sie an seiner Seite für mehr Chancengleichheit und Gleichberechtigung kämpft.
Mehr Informationen zum Buch.