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Wir sind alle anders

TEXT & INTERVIEWS: VIKTÓRIA KERY-ERDÉLYI

 

Warum es nicht egal ist, wer welche Rollen verkörpert und wie TV, Kino und Theater auf unsere Realität überschwappen. Annäherungen an das große Wort Diversität und Antworten von den Schauspielerinnen Maria Hofstätter und Zeynep Buyraç sowie vom Drehbuchautor David Bentigui.

 


Hand in Hand I Zusammenhalt und Diversität I Foto von Aarón Blanco Tejedor I myGiulia
© Aarón Blanco Tejedor

Meine Mama hat einen ziemlich typischen ungarischen Vornamen. Außerhalb des Landes ist er aber wenig bekannt und angeblich schwer auszusprechen. Das finde ich nicht, aber ich bin nicht objektiv: Meine Mama heißt Aranka. (Was ist das bitte gegen Dorottya oder Gyöngyi?)

Jedenfalls hörte sie ihn in den ersten Jahren unseres neuen Lebens in Österreich – das war in den 1990ern – selten richtig ausgesprochen. Häufig kam die Hauptstadt der Türkei zum Einsatz, manchmal versehentlich, manchmal gefolgt von Gekicher. (Das ist übrigens ungefähr so lustig, wie: „Ich kann auch Ungarisch: Ääässbäschtäck.“)


Bis zu dem Tag, von dem an ziemlich viele wussten, wie man ihn ausspricht. Es war der Tag, nachdem jene Folge der österreichischen Kultserie „Kaisermühlen Blues“ ausgestrahlt worden war, in dem eine Aranka vorkam. Sie war eine Sexarbeiterin – und sie tauchte in pikanten Szenen mit zwei Politikern auf.

 


Stereotype vs. Vielfalt


Der Traumberuf meiner Jugend war Schauspielerin. Und dann kam der große Moment: Eine sympathische, warmherzige Laienschauspielgruppe klopfte an. Ich fühlte mich unglaublich geehrt, bis ich erfuhr, wen ich spielen sollte: die Putzfrau mit unüberhörbarem ungarischen Akzent (so die Rollenbezeichnung im Stück). Ich nahm dennoch demütig dankend an (auch das lernt man, wenn man sich um Integration bemüht) – und brachte schließlich die Regisseurin zum Verzweifeln: Ich hatte mich jahrelang abgemüht, Deutsch zu lernen, nun fand sie, dass mir keine authentische ungarische Aussprache gelang.


Ob im Fernsehen, im Kino, im Theater oder im realen Leben – wenn überall ausschließlich Stereotype reproduziert werden, fehlt der Raum für Vielfalt. Aber wozu braucht es die? Was ist das überhaupt: Diversität? Schöner und klarer kann man es kaum auf den Punkt bringen als im SRF-Erklärvideo für Kids: „Es geht bei Diversity nicht nur darum, es okay zu finden, dass wir unterschiedlich sind. Es geht darum, dass wir verstehen, dass Vielfältigkeit etwas Tolles ist und dass wir alle voneinander lernen können.“


Natürlich gibt es ungarische Sexarbeiterinnen und Reinigungskräfte, und es geht hier selbstverständlich auch nicht um eine Wertung, sondern darum, welche Möglichkeiten eine Gesellschaft gewillt ist, für Menschen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten zugänglich und sichtbar zu machen. „Wenn wir die Besetzung der verschiedenen Posten betrachten, wer bekleidet die Vorstände, wer den Direktor*innenposten an den Schulen? Wie sehen die Lehrer*innenzimmer aus? Wer sind die Richter*innen? Wem begegnet man in den Ämtern? Wer hat die Entscheidungsmacht und wer ist auf der anderen Seite zu finden?“, fragt die Philosophin Amani Abuzahra in ihrem Buch „Ein Ort namens Wut“ (Kremayr & Scheriau).


Selbst die woke Musikerin und Dirigentin des Schmusechors Verena Giesinger gestand kürzlich, dass es sie viel Zeit und Überwindung kostete, die Bezeichnung „Dirigentin“ für sich zu beanspruchen, wo sie ihr Leben lang nahezu ausschließlich „mit großen männlichen Maestros“ konfrontiert war. Und das, obwohl sie das mittlerweile über Österreichs Grenzen hinaus viel beachtete diverse Künstler*innenensemble sogar selbst gegründet hat.

 


Vielfalt und Zusammenhalt I Foto Hände auf Baum I Foto von Shane Rounce I myGiulia
© Shane Rounce

 

Wenn die Vorbilder fehlen, fällt das Nachahmen schwer


Eigene Pfade auszutreten kann abenteuerlich sein und Spaß machen, oder aber Menschen verzweifeln lassen – und die Gesellschaft verliert wertvolles Potenzial. Die Filmemacherin Evelyne Faye begleitete in ihrer herausragenden Doku „Lass mich fliegen“ Menschen mit Downsyndrom; es wird nicht über sie gesprochen, sie erzählen selbst. Zu ihren Interviewpartner*innen gehört beispielsweise Andrea, die sich nichts sehnlicher wünscht, als in der Altenbetreuung arbeiten zu dürfen. Wir wissen um die aktuelle demografische Entwicklung Bescheid und auch, wie viele alte Menschen vereinsamen. Andrea scheitert dennoch mehrmals bei dem Versuch, einen Platz „im System“ zu finden.

 


Kunst ist nicht Dekoration


Diversität hat viele Gesichter bzw. findet sie auf verschiedenen Ebenen statt. Lee Gardenswartz und Anita Rowe konzipierten bereits in den 1970er-Jahren das Modell „4 Layers of Diversity“, das helfen soll, Vielfalt möglichst differenziert zu betrachten und Gemeinsamkeiten sichtbar zu machen, erläutert die Soziologin Samira Baig in ihrem Essay Diversity und Ausschluss. Die wichtige Quintessenz: Wir alle haben auf unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig sowohl Merkmale, durch die wir „herausstechen“, als auch solche, die uns verbinden. Oder noch kürzer: Wir sind alle divers. Die vier Ebenen nach Gardenswartz und Rowe sind: die individuellen Charaktereigenschaften, die inneren Diversitätsdimensionen wie Jahrgang, Geschlecht, Herkunft oder sexuelle Herkunft, die relativ stabil sind, die äußeren Diversitätsdimensionen wie Religion, Familienstand oder Gewohnheiten, die relativ flexibel sind, und die organisatorischen Diversitätsdimensionen, die sich auf die Arbeit beziehen.

Bilder, Bücher, Filme, Theaterstücke und vieles andere können die Welt verändern; sie prägen uns – oftmals unbewusst – von Kindesbeinen an. Wie hätte es wohl als Jugendliche auf mich gewirkt, wenn in einer anderen Sendung beispielsweise eine Polizistin den ungarischen Vornamen meiner Mutter getragen hätte oder ich in der Laientheaterproduktion eine ungarische Automechanikerin hätte spielen dürfen?

 


Diverse Geschichten


Zum bereits 13. Mal wird heuer das – auch von öffentlichen Stellen geförderte – Programm Diverse Geschichten über die Bühne gehen. Es richtet sich vor allem – aber nicht ausschließlich – an Autor*innen mit interkulturellem Hintergrund. Es können Langspielfilm- und Serien-Drehbücher eingereicht werden, wer von der Jury ausgewählt wird, kommt ein Jahr lang in den Genuss von Workshops und Einzelcoachings mit renommierten Filmemacher*innen. Zum Kernteam gehören Malina Nwabuonwor, Senad Halilbašić, Robert Buchschwenter und Eva Schreiber-Urthaler. Ulrich Gehmacher und seine Orbrock Filmproduktion sind Veranstalter. Feierlicher Höhepunkt von „Diverse Geschichten“ ist jeweils eine Lesung aus den Drehbüchern. Der Abend fungiert auch als Präsentationsplattform zur Realisierung der Projekte. Apropos: Aus dem Programm gingen in den vergangenen Jahren Filme wie „Die Migrantigen“, „Kaviar“ und „Meerjungfrauen weinen nicht“ hervor.


Kürzlich fand die Lesung der zwölften Auflage statt. Regisseurin Tizza Covi („Vera“) inszenierte im Wiener Metrokino einen mitreißenden Abend, bei dem sich eine Reihe namhafter Schauspieler*innen in den Dienst der guten Sache stellte, um die Arbeit von Nachwuchsautor*innen zu fördern. Zu ihnen zählten etwa Joy Alphonsus, Maria Hofstätter, Zeynep Buyraç, Robert Palfrader, Julia Franz Richter und Verena Altenberger. Auf jede Kostprobe folgte ein Interview mit den Drehbuchautor*innen auf der Bühne.

 

Bis zur Lesung hatten wir uns in der Redaktion den Kopf darüber zerbrochen, wie dem großen Begriff Diversität Rechnung getragen werden kann. Der Abend inspirierte uns, drei Menschen, die Teil des Programms bzw. der Lesung waren, zu bitten, aus unterschiedlichen Blickwinkeln darauf zu schauen. Zum Interview traf ich die Film- und Theaterschauspielerin Maria Hofstätter, die heuer 60 wird, die erste türkischstämmige Burgtheater-Schauspielerin Zeynep Buyraç und den Schwarzen Drehbuchautor David Bentigui.


Maria Hofstätter


Film-Foto I Maria Hofstätter in Josef Haders „Andrea lässt sich scheiden“ I © Darryl Oswald I myGiulia
Maria Hofstätter in Josef Haders „Andrea lässt sich scheiden“ / © Darryl Oswald

 

In Josef Haders aktueller Kinoproduktion „Andrea lässt sich scheiden“ schwebt Maria Hofstätter als eine tragikomische Figur über die Discotanzfläche, in Veronika Franz‘ und Severin Fialas „Des Teufels Bad“ spielt sie die strenge Schwiegermutter der Protagonistin im bäuerlichen Milieu des 18. Jahrhunderts. Außerdem drehte Maria Hofstätter kürzlich in Deutschland eine TV-Serie ab, in der sie die wissenschaftliche Leiterin eines Resozialisierungsprojektes für Strafgefangene verkörpert.

 


Welche Rollen spielen Sie gerne, wann lehnen Sie ab?


Maria Hofstätter: Ich freue mich über ein breitgefächertes Rollenangebot, wenn ich nicht in eine bestimmte Schublade gesteckt werde und komisch und tragisch sein darf, das liegt ohnehin nahe beieinander. Ausschlaggebend für meine Entscheidung sind auch das Drehbuch und die Regie.

 


Laut einer jüngeren Studie des Center for the Study of Women in Television and Film sind in Hollywood-Kassenschlagern nur 33 Prozent aller Hauptfiguren weiblich, nur 37 Prozent der Schauspielerinnen erhalten Sprechrollen. Was sagen Sie dazu?


Wenn diese Zahlen 2024 noch immer gültig sind, ist das beschämend!

 


Wie ist das bei uns bzw. im deutschsprachigen Raum?


Das europäische Kino der letzten 50 Jahre habe ich immer spannender und diverser empfunden als Hollywood, auch was Frauenrollen angeht. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass bei uns Kinofilme großteils über Kulturförderung realisiert werden können, der finanzielle Erfolgszwang nicht so groß ist und man mutiger und eigenständiger sein kann. Aber natürlich sind Frauen auch im deutschsprachigen Raum noch nicht gleichwertig vertreten, vor allem nicht bei der Bezahlung.

 


Was hat sich im Laufe der Jahre verändert?


Ich arbeite nun seit 40 Jahren als Schauspielerin, da hat sich sehr wohl für die Frauen etwas zum Guten verändert, allerdings hätte es schneller gehen und weitreichender sein können. Aber es ist mittlerweile „fast normal“, dass Frauen Regisseurinnen oder Produzentinnen sind, Schauspielerinnen nicht nur Sekretärinnen, sondern auch Kommissarinnen spielen etc. Wenn zu Beginn meiner Laufbahn eine Frau eine leitende Funktion übernahm, wurde das ganze Projekt sofort als Frauentheater oder -film abgetan, egal welcher Inhalt verhandelt wurde. So wie sich die Gesellschaft insgesamt in diesen Jahren verändert hat, spiegelt sich dies auch in unserem Beruf wider. Und so wie erst in den letzten Jahren sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch in verschiedenen Bereichen endlich angesprochen werden, verhält es sich auch im Kulturbereich. Es tut sich was, aber es bleibt noch immer viel zu tun.

 


„Kunst darf verstören und wehtun, genauso wie unterhalten, erfreuen und ermutigen. Würde man diesen Auftrag ernst nehmen, kämen auch Frauen in allen Altersstufen mit allen erzählenswerten Aspekten ihres Lebens vor!"

 


Jutta Speidel, Michaela May und Gisela Schneeberger meinten zuletzt in der „Süddeutschen“: „Das Frauenbild im Fernsehen ist unterirdisch.“ Wie sehen Sie das? Welche Rolle spielt das Alter? 


Da sich mein TV-Konsum ziemlich in Grenzen hält, kann ich dazu nicht allzu viel sagen. Aber ich finde es auch fatal, dass Fernsehredakteur*innen oft zu wissen glauben, was dem Publikum gefällt und zumutbar ist. Wie Ingeborg Bachmann schon sagte: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Eigentlich sollte vor allem das öffentlich-rechtliche Fernsehen seinem Bildungsauftrag nachkommen und herkömmliche Klischees aufbrechen, anstatt sie zu zementieren. Die bunte und diverse Vielfalt in unserer Gesellschaft abbilden, Probleme aufgreifen und zur Diskussion stellen und für ein humanistisches Weltbild einstehen. Kunst darf verstören und wehtun, genauso wie unterhalten, erfreuen und ermutigen. Würde man diesen Auftrag ernst nehmen, kämen auch Frauen in allen Altersstufen mit allen erzählenswerten Aspekten ihres Lebens vor!



„Die Ausschließlichkeit der Zuschreibungen ist das Problem!"

 

Welchen Einfluss hat die Darstellung von Frauen 50+ auf unser reales Leben? 


Den Einfluss von gesellschaftlich verankerten Rollenbildern sollte man nicht unterschätzen! Das haben bereits viele wissenschaftliche Studien bewiesen, dass unser Unterbewusstsein dahingehend sehr manipulierbar ist. Es sind natürlich Werbung, TV und Kino nicht allein verantwortlich, aber ein wichtiger Baustein, wie wir wahrgenommen werden. Während den Männern im allgemeinen gerade in diesem Alter eine hohe Kompetenz, Lebenserfahrung, finanzielle Unabhängigkeit und auch erotische Attraktivität bescheinigt wird –  mindestens bis ins Alter von 70 –, werden Frauen noch immer tendenziell als asexuelle, sorgende Mütter und Omas oder machtgierige, intrigante, frustrierte Frauen dargestellt. Das heißt nicht, dass keine liebevolle Oma mehr gezeigt werden soll, die Ausschließlichkeit der Zuschreibungen ist das Problem. Differenzierte Bilder im Kunst- und Kulturbereich werden uns Frauen auch im Alltag helfen, ein höheres Selbstwertgefühl aufzubauen und vom anderen Geschlecht mehr Respekt zu erfahren.


Zeynep Buyraç 


Portrait-Foto von Zeynep Buyraç  I Foto von Nela Pichl I myGiulia
Zeynep Buyraç © Nela Pichl

„Ich sehe es als meine Aufgabe, auch über den Aspekt meiner Herkunft zu reden. Die Sichtbarkeit ist gerade für junge Menschen unglaublich wichtig, damit sie sich bestätigt fühlen und sagen können: Es gibt viele Möglichkeiten."


Ich treffe Zeynep Buyraç dort, wo ihre Aufnahme ins Ensemble vor gut einem Jahr besonders schön gefeiert wurde: Zeynep Buyraç ist die erste türkischstämmige Schauspielerin am Wiener Burgtheater. Aktuell spielt sie in „Die Ärztin“ nach Arthur Schnitzler, in Jonathan Spectors „Die Nebenwirkungen“, in Tena Štivičićs „Drei Winter“ und Ferdinand Schmalz‘ „Hildensaga. Ein Königinnendrama“; sie dreht außerdem für Kino und TV, aktuell einen neuen Landkrimi.


 

Hattest du Sorge, dass die Medienaufmerksamkeit um deine Herkunft von deiner Arbeit ablenkt?


Zeynep Buyraç: Nein, denn zum einen war ich zuvor schon mehrmals Gästin am Burgtheater, zum anderen hatte ich bei den vielen Interviews auch über meine Figur geredet, weil das auch wichtig ist: Ich spiele in einer „Professor Bernhardi“-Überarbeitung einen katholischen männlichen Arzt. Dazu gab es auch viel zu sagen (lacht). Ich sehe es aber genauso als meine Aufgabe, auch über den Aspekt meiner Herkunft zu reden. Die Sichtbarkeit ist gerade für junge Menschen unglaublich wichtig, damit sie sich bestätigt fühlen und sagen können: Es gibt viele Möglichkeiten. Das ist meine Verantwortung als Zeynep und das ist größer als mein Ego. Es ist sehr wertvoll, wenn ich durch meine Geschichte etwas bewirken kann. Ich habe viele schöne Rückmeldungen bekommen, beispielsweise dass eine 16-jährige türkischstämmige Vorarlbergerin vor Freude geweint hat, als ich Ensemblemitglied wurde.

 


Wie kamst du nach Österreich?


Ich habe mit 19 Jahren meinen Eltern gesagt: Ich gehe nach Wien, um Schauspielerin zu werden. Ich glaube, sie haben nicht damit gerechnet, dass das klappt, aber ich wurde tatsächlich sofort am Konservatorium aufgenommen (lacht). Sie haben mich während meines Studiums unterstützt, aber es war auch Druck da: Zum einen war klar, dass ich es in den vier Jahren schaffen muss, zum anderen musste ich damals als türkische Staatsbürgerin laufend meinen Studienerfolg nachweisen, sonst hätte ich vielleicht nicht in Österreich bleiben können.

 


Zeynep Buyrac I „Die Ärztin“, am Burgtheater von Robert Icke, sehr frei nach „Professor Bernhardi“ nach Arthur Schnitzler I Foto von © Ruiz Cruz I myGiulia
„Die Ärztin“, am Burgtheater von Robert Icke, sehr frei nach „Professor Bernhardi“ nach Arthur Schnitzler / © Ruiz Cruz

 


Du hast an vielen Bühnen in Österreich und auch in Deutschland gespielt und stehst ebenso vor der Kamera. Abgesehen natürlich von deinem Können: Was steckt dahinter?


Ich bin sehr diszipliniert und habe sehr viel Ehrfurcht vor meinem Beruf; ich nehme ihn und die Verantwortung, mit den Texten zu arbeiten, sehr ernst. Man braucht auch Glück – und Menschen, die an einen glauben und einen unterstützen. Ich bin mir treu geblieben, auch wenn ich natürlich nicht nur positive Erfahrungen gemacht habe. Ich habe immer versucht, mich selbst nicht zu ernst zu nehmen, mir sind Inhalte und spannende Aufgaben wichtiger.

 


Hast du Diskriminierung erlebt?


Ich hätte es vielleicht nicht so bezeichnet, aber so wie zum Glück #MeToo viel verändert hat, gingen heute viele Dinge auch nicht mehr durch, die ich erlebt habe. Es wurde mir zum Beispiel gesagt, dass ich keinen Schnitzler spielen kann, weil ich ihn als Türkin nicht verstehe, oder dass ich lieber meinen Namen ändern soll, weil ich mit meinem nicht weit kommen werde.

 


„Uns allen passiert Diskriminierung – sehr oft unbewusst. Wir sollten uns um Empathie bemühen, dann können wir nachfragen, wenn wir uns irgendwo unsicher sind und uns auch entschuldigen, wenn wir jemanden kränken."

 


Wie hast du reagiert?


Ich komme aus der Riesenstadt Istanbul, mir war zunächst nicht einmal bewusst, dass ich in Wien als Ausländerin oder Migrantin wahrgenommen werden würde. Ich wusste zuerst gar nicht, wie ich reagieren soll. Dann folgte eine Phase der Anpassung, des Sich-Anbiederns. Aber das ging mir schnell auf die Nerven! (lacht) Wir sind alle anders! Irgendwann war mir das alles egal, ich hatte genug vom Kleinreden, und die für mich beste Reaktion war es, meinen Namen eben nicht zu ändern. Wieso sollte ich etwas zurechtbiegen wollen, wofür ich nichts kann?! Aber: Uns allen passiert Diskriminierung – sehr oft unbewusst. Wir sollten uns um Empathie bemühen, dann können wir nachfragen, wenn wir uns irgendwo unsicher sind und uns auch entschuldigen, wenn wir jemanden kränken.


 David Bentigui


Portrait David Bentigui I Foto von © Miguel Vera Casso I myGiulia
David Bentigui © Miguel Vera Casso


„Es gab für mich keine wirklichen Anhaltspunkte in deutschsprachigen Filmen und Serien, weil ich selten Charaktere gesehen habe, die so aussehen wie ich oder überhaupt einen anderen Background haben als weiße Menschen.”

 

„Cousins“ heißt die Dramedy-Serie, an deren Drehbuch David Bentigui beim Programm „Diverse Geschichten“ arbeitete. Er wuchs zwischen Österreich, Frankreich und der Elfenbeinküste auf – bei unserem Online-Call ist er gerade in Berlin. Nach der Matura in Wien pflückte er sich Wissen bei Studien der Internationalen Betriebswirtschaft, der Soziologie und des Umwelt- und Bioressourcenmanagements heraus; nebenbei begann er, Musikvideos zu drehen und fand heraus, dass ihm das nicht nur Freude machte, sondern bald seine Wohnung finanzierte. Er schreibt aktuell an seinem Drehbuch über den Fall Marcus Omofuma – und parallel im Team an mehreren Projekten, wie beispielsweise zuletzt an Folgen der RTL-Daily Soap „Unter uns“.

 


In deiner Schublade schlummert dein erstes Drehbuch für einen Kurzfilm, den du vielleicht noch irgendwann realisierst. Worum geht es?


Um einen jungen Afroösterreicher aus Wien, dessen kleiner Bruder verschwindet, nachdem er – wie er später erfährt – von der Polizei kontrolliert wurde. Ich habe tatsächlich einen jüngeren Bruder, als er mal später nach Hause kam und nicht erreichbar war, bewegte mich das zu einem Gedankenexperiment. In alles, was ich schreibe, fließt hinein, was ich erlebe; wenn man als Schwarzer Mensch von der Polizei kontrolliert wird, sind das oft nicht die angenehmsten Situationen.

 


Wie war deine Schulzeit?


„Vorfälle“ gab es immer wieder. Ein Beispiel: Ich spazierte mit zwei Freunden am Tag der offenen Tür und noch dazu in einer Freistunde durch die Schule, dann kam die Direktorin und sagte: „Ihr geht zurück in die Klasse – und du gehst doch gar nicht in diese Schule?!“ Sie hat nichts Rassistisches gesagt, trotzdem war klar, warum sie mich meinte. Das sind Erlebnisse, die jede Schwarze Person mit mir teilt, da gibt es fast keine Ausnahmen. Dabei bin ich privilegiert aufgewachsen, sobald meine weiße Mutter in der Schule war, behandelten mich die Leute netter. Ich hatte trotzdem eine wunderschöne Schulzeit, ich habe früh gelernt damit umzugehen, die Dinge nicht zu nahe an mich ranzulassen. Die Erlebnisse mit Freund*innen zu teilen und Humor helfen immer; heute habe ich einen Freundeskreis, in dem wir selbst aus schlimmen Situationen etwas Lustiges herausfiltern und darüber lachen können.

 


Machst du Film und Fernsehen mit der Vision, etwas verändern zu können?


Auf jeden Fall. Das Schreiben ist manchmal Therapie für mich, aber im besten Fall kann es andere positiv beeinflussen, zum Nachdenken bringen und Empathie erzeugen.

 


Wie hast du in deiner Kindheit und Jugend Film und Fernsehen erlebt?


Es gab für mich keine wirklichen Anhaltspunkte in deutschsprachigen Filmen und Serien, weil ich selten Charaktere gesehen habe, die so aussehen wie ich, die dieselben oder einen ähnlichen kulturellen Background haben wie ich oder die überhaupt einen anderen Background haben als weiße Menschen. Ich habe mich dann oft an US-Serien und -Filmen orientiert, wobei ich gestehen muss, dass ich auch den österreichischen Schmäh immer mochte, insbesondere die Versteckte-Kamera-Show „Echt fett“.

 


„Dass unsere Kultur so viele verschiedene Hintergründe hat, bedeutet einen Mehrwert. Je diverser die Geschichten sind, die wir erzählen können, desto mehr werden die Geschichten auch auf der ganzen Welt Anklang finden.”

 


Bei mir war es so: Wenn Ungarinnen im TV vorkamen, waren sie häufig Prostituierte oder Reinigungskräfte …


… Schwarze Menschen haben auch oft diese beiden Rollen, hinzu kommt dann noch der Drogendealer oder der Vater, der sich nicht um seine Kinder kümmert. Klar wird es besser, aber Schwarze Schauspieler*innen erzählen mir, dass sie sich lange durch solche Rollen gekämpft haben, bis sie jetzt endlich die Anfänge von neuen anderen Rollenbildern sehen. Es wird noch immer unterschätzt, wie sehr Filme gerade junge Menschen beeinflussen. Sie geben quasi Lebenswege bzw. die Möglichkeiten, die sie für sich sehen, vor. Umso wichtiger ist es, Menschen in verschiedenen Konstellationen und mit allen Möglichkeiten zu zeigen.

 


Wohin soll die Reise gehen?


Dass unsere Kultur so viele verschiedene Hintergründe hat, bedeutet einen Mehrwert. Je diverser die Geschichten sind, die wir erzählen können, desto mehr werden die Geschichten auch auf der ganzen Welt Anklang finden.

 


Foto auf der Bühne I David Bentigui und Senad Halibasic Lesung „Diverse Geschichten XII“ im Metrokino Wien im Jänner 2023 I Foto von Stefan Diesner I myGiulia
David Bentigui und Senad Halibasic bei der Lesung „Diverse Geschichten XII“ im Metrokino Wien I © Stefan Diesner

 

Infos zur Einreichung für das Förderprogramm Diverse Geschichten / Langspielfilm- und Serien-Drehbücher


●      Exposé mit 5 bis 15 Seiten

●      Optional eine Dialogszene

●      Lebenslauf, Begleitschreiben, was von der dramaturgischen Betreuung erwartet wird

●      Bewerbungsunterlagen bis 1. April 2024

●      Weitere Konditionen und Details: www.diversegeschichten.at

 

 


 

Unsere Autorin


Portrait von Viktória Kery-Erdélyi I Foto von Vanessa Hartmann I myGiulia
© Vanessa Hartmann

Viktória Kery-Erdélyi wurde in Ungarn geboren und kam mit zehn Jahren nach Österreich. Sie studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft. In ihrer Diplomarbeit befasste sie sich mit den Geschlechterverhältnissen bei Marivaux und stellte die Frage: „Sie sagen, Sie sind nur eine Frau, was wollen Sie denn Besseres sein?“ Nach 10 Jahren als Redakteurin bei der Tageszeitung Kurier wechselte sie als freiberufliche Journalistin in die Magazinbranche. Ihre Arbeit zeichnet sich durch viel Feingefühl aus. Viki sagt: „Jede Begegnung mit Menschen, die mir über ihr Leben erzählen und beschreiben, wofür sie brennen, ist ein Geschenk und ich bemühe mich, mit Demut vor dem geschriebenen Wort ihre Geschichten festzuhalten.“

 


 


 

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