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Astro-Girls und die Kraft der Sterne

von Julia Hackober


Was man vom Comeback der Astrologie fürs Leben mitnehmen kann, wenn man keinen Bock auf Eso-Klischees hat.


Titelfoto I Astro-Girls und die Kraft der Sterne I myGiulia


Venus hilft uns dabei, unser weibliches Design zu leben. Das ist eine krasse Journey. Aber es geht im Leben genau darum: wie wir unsere eigene Bewusstseinsrevolution machen können. Venus ist hier der Go-to-Planet.

Es ist ein Sonntag Ende Juli, ich fühle mich nicht ganz fit, überhaupt habe ich gerade das Gefühl, dass ich mich um viel zu viele Baustellen gleichzeitig in meinem Leben kümmern muss. Genau der richtige Zeitpunkt, um sich mit Venus zu beschäftigen und ihrer weiblichen Kraft, um eine Journey der Revision und Reflexion zu starten. Das sagt zumindest Astrologin Alexandra Kruse in dem Videokurs, den ich mir gerade anschaue: „Venus geht jetzt in die Rückläufigkeit, steht für die nächsten Wochen im Löwen, das heißt, jetzt ist die Zeit, um die eigenen Werte zu überprüfen und zu überdenken, was in unserem Leben korrigiert oder neu betrachtet werden muss.“


Und schon sind wir beim Kerngeschäft der modernen Astrologie angelangt: der Auseinandersetzung mit dem Selbst. Mit dem Gedanken, dass es Dinge gibt, die sich unserem Verstand entziehen, die aber irgendwie dabei helfen könnten, sich selbst besser zu verstehen. So wie Venus eben, der Planet, der kulturhistorisch für Weiblichkeit steht (Das Bild von Botticelli! Der Song von Shocking Blue!).



Die Geburt der Venus von Sandro Botticelli I Astro-Girls und die Kraft der Sterne I myGiulia
„Die Geburt der Venus” (1485) von Sandro Botticelli

Auch Alexandra hat eine Community aus Astro-Girls um sich geschart, indem sie grundlegende Fragen des Lebens aufwirft: Wer bin ich eigentlich? Wie kann ich mir mein Leben erklären? Wie soll es weitergehen? Und ist da vielleicht noch mehr als Alltagstrott?


Menschenkenntnis oder ein guter Draht zu den Sternen?


„Dir würde mein Venuskurs auch nicht schaden“, empfahl mir Alexandra beim letzten Gespräch. Ich kenne die 45-Jährige, die in Zürich lebt, schon länger, wir sind schon häufiger gemeinsam beruflich verreist. Alexandra hat lange in der Mode gearbeitet, als Stylistin und Redakteurin. Inzwischen ist sie Fulltime-Astrologin, bietet eigene Online-Kurse an, schreibt Horoskope für Magazine oder wird von Modemarken wie MiuMiu für Tarot-Lesungen in Boutiquen gebucht. Alexandra ist einer dieser Menschen, bei denen man immer das Gefühl hat: Die sieht irgendwie mehr als wir anderen. Schaut nicht oberflächlich auf Menschen, sondern erkennt den Kern eines Charakters. Ist das jetzt eine besonders gute Menschenkenntnis, gepaart mit Lebenserfahrung, oder wirklich ein spezieller Draht zu den Sternen?


Wahrscheinlich eine Mischung aus allem. „Mir geht es darum, Frauen zusammenzubringen, damit sie ihre Lebenserfahrungen teilen, voneinander lernen“, sagt Alexandra. Sie will Frauen „raus aus der Opferrolle“ bringen, in ihrer Vorstellung ist Astrologie kein Erklärmodell für Dinge, die im Leben scheitern – sondern ein Tool, um die eigenen Stärken zu erkennen und Schaffenskraft zu entwickeln. Ihr Geschäftsmodell basiert auf einer Offenheit fürs Leben, in ihren Videos tauscht sie sich mit anderen spirituell ambitionierten Frauen aus und erzählt aus ihrem eigenen Leben, um aus diesem Erfahrungsschatz Erkenntnisse abzuleiten. Im Venuskurs geht es zum Beispiel darum, wie man das Schöne im Leben feiern kann und sich gleichzeitig von gesellschaftlichen Schönheitsidealen befreit. Aber auch um die Notwendigkeit, als Frau Kontrolle übers eigene Leben zu übernehmen; nicht nur im spirituellen, sondern im ganz irdischen Sinne – so geht es im Venuskurs auch um Finanzen.



Astro-Girls und die Kraft der Sterne | myGiulia


Raus aus der Räucherstäbchen-Ecke, rein in die Insta-Feeds


Welchen Einfluss haben die Sterne wirklich auf unser Leben auf der Erde? Aktuell zumindest den, dass Astrologie mit dem Versprechen, Antworten auf tiefe menschliche Fragen zu liefern, die man so vielleicht noch nicht in Betracht gezogen hat, zum popkulturellen Megatrend geworden ist. Einer Yougov-Umfrage aus dem Jahr 2021 zufolge glauben mehr als die Hälfte der in Deutschland befragten Menschen an einen Zusammenhang zwischen Sternzeichen und Persönlichkeiten, im Alter zwischen 25 und 34 Jahren glauben ganze 56 Prozent an Horoskope. Raus aus der Räucherstäbchen-Ecke, rein in die Insta-Feeds: Unzählige Astro-Influencer*innen posten über Sternenkonstellationen; Lifestyle-Medien warnen ihre Leserschaft vor rückläufigen Planetenbewegungen; millionenfach heruntergeladene Apps wie „Astrology Zone“ oder „Co-Star“ informieren über Mondphasen, Geburtscharts und Horoskope; und in Interviews werden Prominente ganz selbstverständlich nach ihren Sternzeichen gefragt (im Videoformat „73 Questions“ der amerikanischen „Vogue“ spricht etwa Sängerin Olivia Rodrigo ganz unironisch über ihre Eigenschaften als typischer Fisch – „ich bin sehr emotional und schwimme gern“).



„Meine Astrologie ist was für Frauen, die schon mal die Vogue in der Hand hatten.” Alexandra Kruse, ist eins mit Sonne, Mond und Sternen


Die gegenwärtige Astrologie hat es in den Mainstream geschafft. Auch, weil Stern-Themen geschickt mit lifestyligen Identifikationsangeboten verknüpft werden: Schmucklabels stellen Ringe mit „Geburtssteinen“ her, Mode mit „kosmischen“ Aufdrucken ist hip, eine Berliner Bekannte von mir verkauft mit „Mondenergie aufgeladene“ Yoga-Matten. In dieser Form wirkt Astrologie modern, dem Leben zugewandt, weit weg von seltsamen Fernseh-Hellseherinnen, die über Bezahlnummern telefonische Lebensratschläge geben. „Meine Astrologie ist was für Frauen, die schon mal die Vogue in der Hand hatten“, sagt auch Alexandra. Heißt also: Der moderne Astro-Hype zielt auf Frauen ab, die zwischen Kind, Karriere und Designer-Wohnung auf der Suche nach dem „Sparkle” sind, ein bisschen Magie, ein bisschen Unerklärlichkeit in ihrem Leben. Diese Frauen haben die Astrologie zu einer hippen Freizeitbeschäftigung gemacht. Es gehört gerade im bildungsbürgerlichen Milieu zum guten Ton, sich mit sich und dem eigenen Leben zu beschäftigen; manche gehen dafür zum Life-Coach, andere zur Astrologin.



Buch „Astrologie. Bibliothek der Esoterik” von Andrea Richards I Astro-Girls und die Kraft der Sterne | myGiulia
Aus dem Buch „Astrologie. Bibliothek der Esoterik” von Andrea Richards

Mein Sternzeichen ist Zwilling. Wenn man den astrologischen Beschreibungen Glauben schenken mag, die über Zwillinge kursieren, dann gilt das Sternzeichen als ratio-betont, bei mir regiert also der Verstand die Persönlichkeit. Vielleicht fasziniert mich also der Hype um Astrologie, weil ich so neugierig bin. Mir gefällt es jedenfalls, mich mit neuen Themen auseinanderzusetzen, deshalb macht mir auch der Venuskurs Spaß. Ich mag Alexandras offene Art, die mich dazu inspiriert, nicht alles in meinem Leben bis ins letzte Detail verstehen zu wollen, sondern mir zumindest vorzunehmen, manche Dinge einfach mal so stehen zu lassen, wie sie sind.


„Mercury in retrograde”


Gleichzeitig ist es mir, zugegeben, schon suspekt, wenn Menschen auf den Kauf eines neuen Computers verzichten, „weil Merkur gerade rückläufig ist“. Ich lese Horoskope aus Witz und würde nie ernsthaft ein Online-Orakel befragen, wie ich meine nähere Zukunft zu gestalten habe. Und ich finde es, offen gestanden, eher gefährlich, wenn Menschen ihren Halt im Leben zu sehr im Übersinnlichen suchen, egal, ob in herkömmlichen Religionen oder in individuell zusammengestellten Formen der Spiritualität. Schließlich wird Esoterik aktuell nicht nur über Goldketten mit Sternzeichen-Anhängern verhandelt, sondern auch über Gruppierungen, die in Verschwörungstheorien und Demokratiefeindlichkeit abdriften. „Alternative Wahrheiten“ zu propagieren, auch das gehört zum Angebot von Astrologie-Vertreter*innen.



Astro-Girls und die Kraft der Sterne | myGiulia


Ich frage Alexandra im Interview, ob sie die jahrhundertealte Kritik an der Astrologie nachvollziehen kann, Menschen die Entscheidungsfreiheit zu entziehen. Nach dem Motto: Mein Horoskop sagt, diese Woche ist nicht für Karrieresprünge geeignet, also strenge ich mich bei der Arbeit mal lieber nicht so an! „Ich sage niemandem die Zukunft voraus, geschweige denn, wie man sein Leben zu leben hat“, sagt Alexandra. Sie biete daher auch keine Einzelsitzungen an, sie will keine Frauen beraten, die von ihr eine individuelle Lebensberatung erwarten. „Mein Prinzip ist eher, dazu zu animieren, sich auf eine Art metaphysische Entdeckungsreise zu begeben. Ich gebe eine Anleitung an die Hand zu lernen, wie man das eigene Leben neu betrachten kann. Ich sehe es so: Wir sind ein winziger Teil des Universums. Aber das Leben muss man trotzdem selbst auf die Reihe kriegen. Wir sind für uns selbst verantwortlich.“


Offen sein für die magischen Moment im Alltag


Mir gefällt dieser Ansatz sehr. Denn ich frage mich schon, was man von moderner Astrologie für sich mitnehmen kann, ohne in Konsumfallen zu tappen (Stichwort „energetisch aufgeladener“ Luxuskrempel) und ohne in fragwürdige Erklärmodelle fürs eigene Leben abzudriften (ich möchte jedenfalls nicht glauben, dass die Sternenkonstellation an meinem Geburtstag wirklich den Verlauf meines Lebens bestimmt, wie langweilig wäre das denn?). Vielleicht spricht da wieder der Zwilling in mir; ich möchte mich gern in Offenheit üben – aber eben nicht von Ideen und Gedankenkonstrukten anderer völlig vereinnahmen lassen. Diese kritische Distanz kann und will ich nicht ablegen.


Was ich aber gern aus dem Venuskurs als Idee mitnehme, das ist die Idee, genauer auf die kleinen magischen Momente im Leben zu schauen, die Sinne dafür zu schärfen, dass nicht alles zwangsläufig dem gewohnten Hamsterrad folgen muss, und dass man sich gerade als Frau durchaus die Zeit nehmen darf, sich mit sich selbst und den eigenen Wünschen und Träumen auseinanderzusetzen.



 

Im Gespräch mit


Alexandra Kruse, Astrologin Astro-Girls und die Kraft der Sterne | myGiulia
© Yvonne Wigger

Alexandra Kruse wurde 1978 in Bielefeld geboren. Sie hat Modejournalismus und Marketing in Hamburg studiert und lebt seit 2006 in Zürich. Ihr größter Lehrer sei das Leben selbst, sagt sie. 2012 wurde sie Mutter und streckte sich erstmals Richtung Universum. Nach dem Tod ihres Vaters (2016) und ihrer Schwester (2018) fühlte sie den Ruf der Sterne immer lauter werden. Heute fasst sie für Interessierte ihre Prognosen entlang der 12 Sternzeichen in Texte, gibt Online-Kurse und tritt als Orakel auf Events auf.








 

Unsere Autorin


Autorin Julia Hackober I Astro-Girls und die Kraft der Sterne  | myGiulia
© Alicia Minkwitz

Julia Hackober ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie schreibt am liebsten (und gern kritisch) über Gesellschaftsthemen, Popkultur und Stil-Phänomene. Ihr Newsletter-Format mit persönlichen Essays heißt "Sunday Delight".


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