von Viktória Kery-Erdélyi
Sophie Hutterer und Jennifer Windisch machten sich vor gut zwei Jahren mit dem Lingerie-Label „Ebenbild“ selbstständig. Ihre Modelle sind wunderschön, ihre Fotos unretuschiert – sie sind ein liebevoll rebellischer Appell, uns so zu feiern, wie wir sind.
Heute schon rasiert? Bitte nicht wegklicken, das ist eine seriöse, ehrlich gemeinte Frage. Ich beantworte sie hier einmal selbst: Ich habe heute verzichtet. Hätte ich heute in ein Abendkleid schlüpfen müssen, hätte ich es mir vielleicht anders überlegt. Aber die Menschen, die mich heute umgeben, müssen akzeptieren, dass meine Achselhöhle nicht aussieht wie ein Babypopo. „Frauen haben Haare. Am ganzen Körper“, lacht Lingerie-Designerin Sophie Hutterer und man möchte ihr ehrlich für ihre Weisheit applaudieren. Zu ihr später mehr. Viel mehr.
Natürlich wissen wir das alle, genauso wie dass Cellulite bei jeder Figur sein kann. Oder dass die Brüste, mit denen wir ein Kind oder mehrere gestillt haben, irgendwann nicht mehr so aussehen wie mit 20. Oder dass sie vielleicht mit 16 schon nicht stramm sind, weil die Natur sie eben weich und kuschelig gemacht hat – und das ist schön und gut so. Aber so, wie Sprache Realitäten schafft, und wir nicht mehr nur Männer in weißen Kitteln sehen, wenn wir von Ärzt*innen sprechen, so ändert sich auch automatisch unsere Selbstwahrnehmung, wenn wir in Bildern mit neuen Vorbildern konfrontiert sind.
Bis vor Kurzem hätte ich das Haus niemals mit Stoppeln unter den Armen verlassen. Aber dann sah ich Schauspielerin Verena Altenberger in einem wundervollen roten Kleid, und als sie die Arme hob: Richtig, Achselhaare. Danke, Verena, jetzt oute ich mich auch: Ich habe auch welche.
Die Entdeckung
Und dann stieß ich auf das junge Wiener Label „Ebenbild“. Und sah Unglaubliches: Menschen mit kleinen und großen Brüsten, dünne und dicke, mit heller und dunkler Hautfarbe, mit Tattoos und Cellulite – und zwar in Unterwäsche! Ich weiß schon, Diversity liegt im Trend. Aber so natürlich wie bei Ebenbild habe ich das zuvor nicht erlebt. Ich konnte mich an den Bildern nicht sattsehen, weil sie so schön sind und habe mir prompt einen schwarzen Body bestellt. Ich fühlte mich von diesem Label so empowered, dass ich das Teil mit einem frechen Cut-out kühn zu einer Festivalpremiere ausführte. Das erste Mal in meinem Leben mit Mitte 40 ohne BH. Man kann nicht reflektiert genug sein, unsere Köpfe sind von Schönheitsnormen infiltriert: Obwohl der weiche Body schön saß und eine Wohltat für meinen Körper war, überlegte ich ständig, ob wohl mein Umfeld sich heimlich über meine kleinen Brüste lustig machte.
Der Body Salvia kommt im Mai nun erstmals auch als Badeanzug raus. Zuvor wollte ich aber noch wissen: Wie ticken die beiden jungen Frauen Jennifer Windisch und Sophie Hutterer, die das Lingerie-Label „Ebenbild“ ins Leben riefen? Der Besuch in ihrem Wiener Atelier und das Gespräch mit ihnen war ein Geschenk.
„Unterwäsche ist das Erste, das man morgens anzieht, es sollte mir ein gutes Gefühl geben, egal wie ich drauf bin.“
Ihr habt euer Label „Ebenbild“ vor gut zwei Jahren gegründet. Mit welchen Intentionen und wie hat sich das womöglich seither verändert?
Sophie Hutterer: Wir wollten Unterwäsche für – zu Beginn noch – Frauen kreieren, die bequem und schön ist. Komfort soll an oberster Stelle stehen, ohne dass man beim Design zurückstecken muss.
Jennifer Windisch: Wir wollten den Frauenkörper so zeigen, wie er ist, weil er so genug und schön ist. Heute sagen wir, dass unsere Schnitte für weiblich gelesene Personen gemacht sind, aber wir auf Anfrage gerne für alle Modelle anfertigen, die sie tragen möchten.
Sophie: Fashion has no gender.
„Weiblich gelesenen Personen wird von klein auf eingeredet, dass man für Schönheit leiden muss. Das ist absurd.“
Was stört euch an gängigen Modellen?
Sophie: Wenn ich mich früher sexy für ein Date fühlen wollte, habe ich Spitze getragen. Viele Modelle waren über Stunden oft unangenehm, aber ich habe es auf mich genommen, weil ich schön sein wollte. Heute finde ich: Es muss gar nicht immer schwarze Spitze sein, wenn man sexy sein will, es können sogar Basics sein, weil am wichtigsten ist, dass man sich selbst wohl und schön fühlt, denn dann strahlt man das auch aus. Das sollen auch unsere Fotos widerspiegeln.
Jennifer: Unterwäsche ist das Erste, das man morgens anzieht, es sollte mir ein gutes Gefühl geben, egal wie ich drauf bin.
Sophie: Wir tragen Unterwäsche an sehr intimen Stellen. Sie sollte nie deine Haut reizen, dich einschnüren, einengen und du solltest auch nicht, weil das Höschen beispielsweise nicht richtig sitzt, den ganzen Tag daran herumzupfen müssen. Das Problem ist: Weiblich gelesenen Personen wird von klein auf eingeredet, dass man für Schönheit leiden muss. Das ist absurd.
Eure Lingerie präsentiert eine wundervolle Vielfalt an Models. Wer sind sie?
Jennifer: Zu Beginn waren es wir selber. (lacht)
Sophie: Und Freund*innen und Bekannte. Das ist bis heute teilweise so, aber wir schreiben unsere Shootings auch auf Instagram aus oder werden aktiv angeschrieben.
Wie sind eure Begegnungen mit euren Kund*innen? Ihr habt einen Online-Shop, aber man kann über eure Website auch einen Fittingtermin vereinbaren.
Jennifer: Genau, dann richten wir die Umkleidekabine mit Modellen für die Kund*innen her und man genießt ein gemütliches Shoppen für eine Person.
Sophie: Es kommen auch Freund*innen. Zuletzt waren zwei da, die sich das gegenseitig zum Geburtstag geschenkt haben, das war total schön. Was uns auch sehr freut, ist, dass wir altersmäßig eine große Bandbreite haben: ab 20 bis Mitte 70.
"Dass es so viele verschiedene Brustformen gibt, ist etwas Schönes. Jede Brust ist schön."
Wie ist das Feedback?
Jennifer: Sehr begeistert. Die meisten sind überrascht, wie angenehm bequem unsere Modelle sind.
Sophie: …und viele freuen sich, dass unsere BHs auch ohne Bügel für größere Cups funktionieren.
Jennifer: Bis heute ist der Irrglaube da, dass Bralettes ab einer gewissen Größe keinen Halt geben. Das stimmt nicht, den Halt können wir garantieren. Nur nicht eine Form, wie mit einem gemoldeten Schalen-BH. Wir sind aber überzeugt: Dass es so viele verschiedene Brustformen gibt, ist etwas Schönes. Jede Brust ist schön. Wer übrigens einen Bügel-BH trägt, sollte darauf achten, dass nichts aufs Brustgewebe drückt. Das ist ungesund.
Ihr habt es quasi auch zu eurer Aufgabe gemacht, Menschen zu bestärken?
Jennifer: Wir waren während des Victoria’s Secret-Hypes Teenies. Da gibt es jetzt sogar ein Lied darüber, dass der Chef von Victoria’s Secret ein alter weißer Mann ist, der uns sagt, wie wir ausschauen sollen. („Song for Chelsea“ stammt von TikTokerin Jax, die selbst als Jugendliche mit Essstörungen kämpfte, Anm.) Jedenfalls haben wir in dieser Zeit genug Komplexe entwickelt. Wir wollen hier entgegenwirken.
Sophie: Es ist gut, wenn auch Zeitschriften nicht mehr so extrem bearbeitete Fotos zeigen. Unsere Fotografin Valerie Logar retuschiert nicht, außer vielleicht blaue Flecken. Aber Dehnungsstreifen, Cellulite, Narben, Haare bleiben. Ja, Frauen haben Haare, am ganzen Körper. (lacht) Man muss nicht irgendetwas extra zeigen, aber wenn eine Person den Arm hebt, sieht man vielleicht Achselhaare. Oder Haare im Intimbereich oder am Bauch.
Euer Credo ist: Alles darf sein und alle dürfen alles tragen?
Sophie: Ja, wir haben auch fast die komplette Kollektion von XS bis XL, außer bei Modellen, wo wir sagen, der Schnitt geht nicht auf. Wir zeigen auch auf unseren Fotos, dass die Teile an 36 genauso fantastisch aussehen wie an 42/44.
Jennifer: Ich finde es schlimm, wenn es heißt, dass man etwas ab einer bestimmten Größe oder Alter nicht mehr tragen soll. Wieso soll ein Triangle-Bikini bei Größe L nicht toll aussehen? Und wer sagt, dass es eine Altersgrenze für Bikinis gibt?
Sophie: Wir haben alle unsere Themen, Dinge, die uns stören. Aber je öfter man sieht, wie attraktiv ganz unterschiedliche Menschen in schöner Unterwäsche sein können, umso mehr verlieren diese Themen an Gewicht. Dann denkt man sich irgendwann: Ah, die Person hat Cellulite, obwohl sie Größe S trägt? – Ich habe es auch, vielleicht ist es doch normal.
Welche Stoffe verwendet ihr?
Jennifer: Die Spitze kommt aus Italien und ist aus recyceltem Garn, unsere Gummis sind zum Großteil Deadstock (Restbestand, Anm.). Unsere Basics nähen wir aus Jersey aus der Tencel-Faser. Die ist super weich und die österreichische Firma Lyocell hat ein nachhaltiges Verfahren für die Herstellung entwickelt. Wir würden gerne noch mehr recyceltes Material verwenden, aber das Problem ist, dass die Produktion vorerst auf die große Modeindustrie ausgelegt ist.
Sophie: Wir bemühen uns um möglichst nachhaltige Lösungen und suchen auch immer neue Alternativen. Unsere Verpackungen sind aus Graspapier und Zuckerrohr, viele Modelle nähen wir tatsächlich auf Anfrage, um Restbestände zu vermeiden.
Wie geht es sich für euch aus? Könnt ihr von Ebenbild leben?
Jennifer: Wir sind jetzt im dritten Jahr und konnten mittlerweile auch unsere zusätzlichen Jobs aufgeben. Wir sind froh und dankbar, dass es gut läuft. Auch wenn wir vorerst gemeinsam in einer WG ein Low-Budget-Student-Life führen. (lacht)
Sophie: Wer hat schon das Privileg, mit der besten Freundin zusammenzuarbeiten und dann auch noch das, was man gerne macht? Natürlich gibt es Konflikte, aber wir vertragen uns schnell wieder; wir sind wie Geschwister. An einer Freundschaft muss man auch arbeiten, wie an einer Partnerschaft. Das mussten wir auch lernen, dass man genauso bewusst Liebe und Zeit investieren muss.
Jennifer: Jetzt machen wir eigene Freundschaftsdates, wo wir keine Businesspartnerinnen sind. (lacht)
Was wünscht ihr euch?
Sophie: Dass Ebenbild systematisch wächst und wir Menschen mit unserer Marke etwas Gutes tun können, so dass sie sich wohl fühlen und sich selbst ein bisschen besser akzeptieren.
Jennifer: Eines Tages wäre es schön, ein Atelier oder ein Geschäftslokal etwas zentraler in der Stadt zu haben (das zauberhafte Atelier befindet sich im Dachgeschoß der Familien-Spenglerei im 17. Wiener Gemeindebezirk, Anm.). Die Produktion soll wachsen, aber wir möchten sie nicht aus der Hand geben; wir mögen beide diesen schönen Prozess, wie ein Kleidungsstück vom Design über den Schnitt bis hin zum Nähen entsteht.
Fotos: © Valerie Logar
Information zur Auswahl unserer Interviewpartner*innen
Wir lieben es, Frauen medial sichtbar zu machen und wählen unsere Interviewpartner*innen immer aus Überzeugung, unabhängig und in Absprache mit unseren Journalistinnen aus. Unsere Interviews und Artikel sind niemals bezahlt, keine der Marken hat uns dazu beauftragt.
Im Gespräch mit
Das Label Ebenbild für Dessous und Loungewear gründeten Jennifer Windisch und Sophie Hutterer 2021 mit 26. Ihren Fokus legten sie von Beginn an auf schönes Design, Komfort und Nachhaltigkeit; sie kreieren im Wiener Atelier jedes Modell selbst.
Jennifer und Sophie lernten einander am Modekolleg „Herbststraße“ kennen, absolvierten gemeinsam die Meisterklasse und arbeiteten zunächst in Maßschneidereien. Sie sind seit gut zehn Jahren beste Freundinnen und leben in einer WG zusammen.
Unsere Autorin
Viktória Kery-Erdélyi wurde in Ungarn geboren und kam mit zehn Jahren nach Österreich. Sie studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft. In ihrer Diplomarbeit befasste sie sich mit den Geschlechterverhältnissen bei Marivaux und stellte die Frage: „Sie sagen, Sie sind nur eine Frau, was wollen Sie denn Besseres sein?“ Nach 10 Jahren als Redakteurin bei der Tageszeitung Kurier wechselte sie als freiberufliche Journalistin in die Magazinbranche. Ihre Arbeit zeichnet sich durch viel Feingefühl aus. Viki sagt: „Jede Begegnung mit Menschen, die mir über ihr Leben erzählen und beschreiben, wofür sie brennen, ist ein Geschenk und ich bemühe mich, mit Demut vor dem geschriebenen Wort ihre Geschichten festzuhalten.“
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