TEXT & INTERVIEWS: KATJA HORNINGER
Schmerzen wie Messer im Bauch und viele Jahre Ursachenforschung: Für Endometriose-Betroffene dauert es oft lange bis zur Diagnose. Mehr Sichtbarkeit der Krankheit soll diesen Prozess beschleunigen und damit auch die Risiken einer (zu)späten Diagnose reduzieren.
Jahrelang mit ungeklärten Schmerzen leben, gepaart mit Selbstzweifeln – dieser harte Weg ist für viele Frauen Realität, die die Diagnose Endometriose erhalten. Auch für Lea Kreissl war das so: „Ich weiß noch genau, dass ich dachte, ich habe jetzt Regelschmerzen und das ist vollkommen normal. Jahrelang habe ich meine Schmerzen nicht weiter hinterfragt, weil ich gelernt hatte, dass sie dazugehören.“ Zudem habe sie sich auch oft gefragt, ob sie sich das alles nur einbilde oder sich einfach mehr anstelle als andere und die Schmerzen gar nicht so schlimm seien. Erst als bei einer Routineuntersuchung eine offensichtliche Endometriose-Zyste in ihrem Eierstock entdeckt wird, kommt der Verdacht auf, dass das alles nicht normal ist. Zu diesem Zeitpunkt lebt Lea schon seit Jahren mit Schmerzen. „In dem Moment hat auf einmal alles Sinn ergeben und ich wurde einige Zeit später operiert. Die Diagnose danach schwarz auf weiß zu haben, hat mich erleichtert. Endlich wusste ich, dass ich mir das alles nicht eingebildet hatte, meine Schmerzen echt sind und hinter all dem eine Krankheit steckt“, erinnert sich Lea.
„Jahrelang habe ich meine Schmerzen nicht weiter hinterfragt, weil ich gelernt hatte, dass sie dazugehören.“ – Lea Kreissl
Das Chamäleon der Gynäkologie
Endometriose ist eine gynäkologische Erkrankung, die aufgrund der vielfältigen Symptome oft als „Chamäleon der Gynäkologie“ bezeichnet wird. Die Krankheit tritt auf, wenn das Gewebe, das die Gebärmutter auskleidet, außerhalb dieser wächst, sich auf Organe wie Eierstöcke, Eileiter, Darm oder Blase ausbreitet und zu chronischen Entzündungen, Vernarbungen und Verwachsungen führt. Betroffene leiden dann an Schmerzen in diesen Bereichen.
„Als Hauptsymptom gelten wiederkehrende schmerzhafte Regelblutungen und zyklische Unterbauchschmerzen mit wechselnder Intensität“, erklärt Denise Tiringer. Die Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe ist bei Santé Femme, einem Institut für Frauengesundheit in Wien, als Spezialistin für Endometriose tätig. Viele Frauen mit Endometriose seien von Schmerzen beim und nach dem Sex, Blähbauch, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erschöpfung, starken Regelblutungen, Unterbauch- und Rückenschmerzen, Mittelschmerz während des Eisprungs, Schmerzen beim Harnlassen oder Stuhlgang, Blut im Urin oder im Stuhl sowie ungewollte Kinderlosigkeit betroffen. „Endometriose-Herde können auch unbemerkt Organe wie die Blase, die Eierstöcke oder den Darm befallen, ohne dass die Patientin Symptome aufweist. Oft werden die Krankheitsanzeichen verkannt, aber wenn die genannten Symptome auftreten, sollten diese abgeklärt werden“, betont Tiringer.
Endometriose zählt zu den häufigsten gynäkologischen Erkrankungen. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass weltweit etwa 10 Prozent (190 Millionen) der Frauen und Mädchen im gebärfähigen Alter betroffen sind.
Aufgrund der heftigen Schmerzen müssen viele Frauen Schmerzmittel einnehmen. Manche Frauen haben täglich Schmerzen, andere wiederum ein paar Tage im Monat. Die Beschwerden können bereits in jungen Jahren mit dem Einsetzen der Menstruation beginnen, oder erst im Laufe der Jahre zunehmen. Nach Eintreten der Menopause sind die Beschwerden meist stark rückläufig oder verschwinden komplett. „Die Endometrioseherde reagieren auf den Hormonzyklus und wachsen ebenso wie die Gebärmutterschleimhaut. In der Folge können während des Menstruationszyklus verstärkte und krampfartige Schmerzen auftreten, vor allem vermehrt in der zweiten Zyklushälfte“, erklärt Tiringer.
Unspezifische Symptome – späte Diagnose
Endometriose wird oft fehldiagnostiziert oder mit Menstruationsschmerzen verwechselt. Das kann zu einer verzögerten Behandlung führen. In manchen Fällen erfolgt die Diagnose erst, wenn bei einem unerfüllten Kinderwunsch nach Ursachen gesucht wird. Die teilweise unspezifischen Symptome machen die Diagnose schwierig. Das birgt auch das Risiko, unfruchtbar zu werden. Das bestätigt auch Gynäkologin Tiringer: „Bei etwa 40 bis 60 Prozent der Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben, steckt eine Endometriose dahinter.“ Oft erfolgt die Diagnose mittels Bauchspiegelung, viele Spezialist*innen können Endometriose mittlerweile aber auch mit bildgebenden Verfahren, per Ultraschall und/oder MRT diagnostizieren.
190 Millionen Betroffene weltweit
Endometriose zählt zu den häufigsten gynäkologischen Erkrankungen. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass weltweit etwa 10 Prozent (190 Millionen) der Frauen und Mädchen im gebärfähigen Alter betroffen sind. Die Endometriose Vereinigung Deutschland und der erste Menstruationsgesundheitsbericht in Österreich sprechen von bis zu 15 Prozent. Die Dunkelziffer ist vermutlich deutlich höher. Da ihre Ursache noch nicht vollständig erforscht ist, kann auch das Entstehen der Krankheit nicht verhindert werden. Eine Theorie vermutet, dass durch Infektionen oder Störungen im Immunsystem die Gebärmutterschleimhautzellen an der falschen Stelle angesiedelt werden. Als häufigste Theorie wird die „retrograde Menstruation“ herangezogen: Bei dieser fließt das Menstruationsblut nicht komplett über den Gebärmutterhals in die Vagina ab, sondern es gelangt ein Teil des Blutes zusammen mit abgeschilferten Gebärmutterschleimhautzellen über die Eileiter in den Bauchraum. Die dadurch verursachte Entzündung führt zu starken Schmerzen. Jene seltenen Fälle, in denen die Endometriose auch Organe wie Leber, Lunge oder das Gehirn befällt, kann diese Theorie jedoch nicht erklären.
Risikofaktor Stress
Als Auslöser und Verstärker von Endometriose wird chronischer Stress diskutiert. Starker Stress während der Geburt oder in der Kindheit gelten als Risikofaktoren. Auch die Gene scheinen eine Rolle zu spielen, denn in manchen Familien tritt die Krankheit häufiger auf als in anderen. Dennoch konnten die Forscher*innen bislang kein einzelnes Endometriose-Gen finden. Einer der Risikofaktoren könnte auch sein, dass Frauen heute mehr Menstruationszyklen – und damit Entzündungsprozesse – durchlaufen als in früheren Zeiten, da sie später und wesentlich seltener schwanger werden.
Lebensqualität verbessern
„Es gibt verschiedene Ansätze, um die Beschwerden zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern. Welche Behandlung infrage kommt, hängt von Faktoren wie etwa Alter, Kinderwunsch oder Symptomatik ab“, erklärt Tiringer und ergänzt: „Infrage kommen Schmerzmittel, Nahrungsergänzungsmittel, Ernährungsumstellung, Lifestylemodifikation, eine hormonelle Therapie oder eine Operation. Keine Therapie kann garantieren, dass die Symptome vollständig verschwinden. Mit der Zeit kann es aber gelingen, eine Behandlung zu finden, die die Beschwerden gut genug lindert.“ Werden die Herde operativ entfernt, kommt in der Hälfte aller Fälle die Krankheit aber immer wieder zurück.
Da Stress Endometriose begünstigen soll, sind stressabbauende Elemente wie Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen, leichter Sport und gutes Stressmanagement in der Therapie wichtig. Auch im Gesundheitshotel Moorbad Bad Großpertholz lernen Betroffene bei einer Endometriose-Kur, die die Einrichtung seit Kurzem anbietet, die Beschwerden durch Bewegung, Ernährung und einen gesunden Lebensstil zu lindern.
Das Leben umstellen
Viele Frauen stellen ihr Leben nach der Diagnose um. Sie beginnen mit Yoga, reduzieren Alkohol und Kaffee, verändern ihre Ernährung. „Obwohl Endometriose nicht heilbar ist, kann eine gesunde Ernährung das allgemeine Wohlbefinden steigern, Symptome lindern und sich positiv auf die Fruchtbarkeit auswirken. Einige Lebensmittel können sogar das Risiko auf eine Endometriose-Erkrankung senken“, sagt Tiringer. Ruhe, Dunkelheit und eine Wärmflasche sind für viele hilfreich.
Auch ein bewusster Umgang mit der Krankheit ist wichtig. Das berichtet auch Lea: „Ich bemühe mich, dass die Endometriose nicht mehr Teile meines Lebens beeinflusst, als sie sowieso schon tut. Trotzdem habe ich mein Leben anpassen müssen. Ich habe keinen 40-Stunden-Job, sondern arbeite als Freiberuflerin selbstständig – auch deshalb, weil mir das die Freiheit gibt, an schlimmen Tagen nicht zu arbeiten. Außerdem gehe ich nie ohne meine Notfall-Schmerzmittel aus dem Haus.“
Endometriose sichtbar machen
Gerade weil das Unwissen um die Krankheit Folgen für Diagnose und Behandlung hat, braucht es mehr Aufklärung. Endometriose tauchte zuletzt verstärkt in den Medien auf, Prominente machten ihren Leidensweg öffentlich. In Österreich haben drei medizinische Universitäten 2019 die Kampagne „BEI“ (Bewusstsein für Endometriose und Infertilität) gestartet. Auch der Film „Nicht die Regel“ aus dem Jahr 2021, der erste Dokumentarfilm zum Thema im deutschsprachigen Raum, will Aufmerksamkeit schaffen. Die deutsche Petition #endendosilence kämpft seit 2022 gegen Unwissenheit und für bessere Aufklärung und Forschung und fordert von der deutschen Bundesregierung eine nationale Endometriose-Strategie.
Transparenz und Sichtbarkeit sind wichtig und helfen Betroffenen im individuellen Umgang mit der Krankheit. „Offen über die Endometriose zu sprechen und andere teilhaben zu lassen, hat mir sehr geholfen und zu viel mehr Verständnis geführt, als ich anfangs dachte“, erzählt Lea, die auf Instagram und Youtube und mit einem Blog und Podcast für mehr Sichtbarkeit und Aufklärung rund um die Erkrankung sorgt.
Australien als Vorreiter
Australien war weltweit das erste Land, das 2018 eine nationale Endometriose-Strategie verabschiedete. Damit wurden mehr Gelder für Forschung und Entwicklung, Aufklärung und Therapie zur Verfügung gestellt. Anfang 2022 verkündete Staatspräsident Emmanuel Macron, dass Frankreich als erstes europäisches Land eine nationale Strategie für Endometriose etablieren wird.
Der Gender Data Gap ist mehr als nur eine Datenlücke und kann gravierende gesundheitliche Folgen für Frauen haben.
Auch wenn in Deutschland bislang eine nationale Strategie ausgeblieben ist, wurde im Herbst 2024 verkündet, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit einer Summe von bis zu 15 Millionen Euro den Aufbau von fünf neuen interdisziplinären Forschungsverbünden zur Erforschung der Endometriose unterstützt. Damit soll die Krankheit künftig schneller und präziser diagnostiziert, wirkungsvoller behandelt und besser vorgebeugt werden. Ebenfalls seit Herbst 2024 ist die Endometriose-Vereinigung Deutschland im Lobbyregister des Deutschen Bundestages eingetragen. Ein wichtiger Meilenstein in den Bemühungen des Vereins. Auch in Österreich und der Schweiz gibt es Endometriose-Vereinigungen, die Betroffene unterstützen.
Ungleicher Schmerz
Dass es nach wie vor viel Unwissen gibt, liegt auch an der mangelnden Datenlage. Endometriose ist ein anschauliches Beispiel des „Gender Data Gaps“. Nach wie vor werden viel zu wenig Daten zu Frauen in der Medizin erhoben und es mangelt an geschlechtergerechter Forschung, Diagnostik und Behandlung. Das Dramatische: Der Gender Data Gap ist mehr als nur eine Datenlücke und kann gravierende gesundheitliche Folgen für Frauen haben. Neben dem Gender Data Gap ist gerade bei Endometriose der Gender Pain Gap relevant. Ein Phänomen, wonach Schmerzen bei Frauen im Vergleich zu Männern aufgrund von Forschungslücken und Vorurteilen schlechter verstanden und behandelt werden. Nicht wenige Betroffene kommen mit starken Bauchschmerzen in die Arztpraxis und werden mit der Bemerkung „Schmerzen bei der Regelblutung sind normal“ nach Hause geschickt.
Lea würde sich daher auch wünschen, dass das Thema und vor allem die Schmerzen nicht mehr so oft einfach abgetan werden. „Noch immer ist der Weg zur Diagnose häufig viele Jahre lang, weil Betroffene mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen werden“, so Lea. Und sie ergänzt: „Die größte Herausforderung ist für mich persönlich, dass andere die Endometriose von außen nicht sehen können. Meistens kann man uns Betroffenen nicht ansehen, dass wir diese Krankheit haben, und durch die oft langen Jahre bis zur Diagnose sind wir häufig sehr gut darin, die Schmerzen zu verstecken. Das macht es anderen schwer, die Endometriose wahrzunehmen – und für uns Betroffene macht es das schwer, von anderen ernst genommen zu werden.“
Weiterführende Links:
Filmtipp:
„Nicht die Regel” ist ein österreichischer Dokumentarfilm über Endometriose – produziert von einem Team aus acht Frauen . Er handelt von drei verschiedenen Frauen, die über ihr Leben mit Endometriose erzählen. Sie berichten von Beschwerden, langen Diagnosewegen, Therapien und Operationen.
Im Interview
Lea Kreissl ist selbst von Endometriose betroffen. Als Influencerin will sie mit ihrem Blog, einem eigenen Youtube-Kanal und anderen Social Media-Kanälen Bewusstsein für die Krankheit schaffen und anderen Mut machen.
Denise Tiringer bietet als erfahrene Frauenärztin in Wien umfassende gynäkologische Betreuung mit besonderen Schwerpunkten in der Abklärung und Behandlung von Endometriose sowie der gynäkologischen Ultraschalldiagnostik.
Unsere Autorin
Katja Horninger ist Kommunikationsmensch aus Leidenschaft. Nach ihrem Studium der
Kommunikationswissenschaften war sie viele Jahre in der PR tätig. Heute arbeitet sie als
freie Autorin, Kommunikationsbeauftragte an der Uni, Porträtfotografin sowie Yoga- & Polarity-Lehrerin. Als ewig Lernende liebt sie es, in ihrem vielfältigen Tun zu erforschen,
wie Worte uns berühren und bewegen, wie wir uns durch die Sprache mit anderen
verbinden und wie wir unsere Innenwelt über Bilder und unseren Körper zum Ausdruck bringen können. Katja lebt in Wien.