von Christine Klimaschka
Wohlergehen (Wellbeing) und mentale Gesundheit als Anker der Bildung ist keine Utopie, sondern dringender Handlungsbedarf, nicht nur für die gegenwärtige Krise, sondern auch für die Bildung der Zukunft findet Dr. Elke Paul. Sie hat zur Umsetzung dieser Ideen das Start-Up CreatePositive gegründet. Wir sprachen mit ihr über ihre Motivation und ihre Ziele.

Was hat Dich dazu gebracht, Dich mit dem Thema positive Erziehung und Wohlergehen im Bereich Bildung zu beschäftigen?
Folgende Frage zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. „Was ist denn das in den Schulen, das wir nicht hinkriegen, dass man nicht nur akademisch gut wird, sondern auch menschlich?" Der Grund dafür, dass das meine Lebensmission geworden ist, liegt lange zurück und basiert auf meiner Ausbildung als auch meiner Praxiserfahrung: Ich habe Sozialpädagogik studiert und bemerkt, wie viel man mit Jugendlichen erreichen kann, wenn man mit Ihnen außerschulisch arbeitet, zum Beispiel in Sommercamps. Da hat man eine ganz andere Öffnung und da kann man mit Jugendlichen sehr viel erreichen, das im schulischen Kontext nicht möglich ist. Somit habe ich Erziehungswissenschaft studiert und habe ein Jahr lang in New York an High Schools gearbeitet und wollte innovative Lernfelder entdecken. Ich bin bei einer High School in der Bronx hängen geblieben, die Teil des Alternative High School Movements war. Dort wurde Schule komplett anders gelebt. Hier wurden Kinder betreut, die bereits aus anderen Schulen rausgeflogen sind.
"Der Erfolgsmarker war für mich die Geburtsstunde der positiven Erziehung, noch lange bevor dieser Begriff modern wurde. Dort wurde nämlich die Beziehung zwischen den Menschen in der Schule in den Vordergrund gestellt wurde und man hat diese als Grundlage betrachtet, auf der sich Lernen überhaupt erst ereignen kann."
Ich habe dann unter anderem bei Thal Ben Shahar in Harvard weiter Einblicke in Positive Psychologie und Positive Erziehung bekommen. Das ist ein stärkenorientierter Ansatz, der darauf abzielt, das Menschlichsein in den Vordergrund zu bringen, .
Nachdem ich mehrfach Schulen beraten habe, ist es mir nun ein Anliegen, dass wir verstehen, dass Schulen mehr sind als eine Bildungsanstalt. Das ist auch deshalb so wichtig, weil unsere Gesellschaft sich extrem schnell weiterentwickelt hat und vor enormen Herausforderungen steht, dass die Institution Schule mit den Anforderungen, die die Gesellschaft an sie stellt, gar nicht mehr klar kommt. Wir müssen aber unseren Kindern Fähigkeiten vermitteln, die Kinder dafür ausbilden mit den Problemen, die vor uns liegen, proaktiv und auch positiv umgehen zu können. Mit meiner Plattform will ich kein System sprengen, sondern das, was schon gut ist, herausarbeiten und stärker und lauter machen.
Wie bereit sind denn Schulen für Positive Education und Wellbeing?
Prozentual spricht die Statistik gegen uns. Es gibt weltweit ein paar Leuchtturm-Schulen, die Wellbeing und Mental Health der Schüler und Lehrer in den Vordergrund stellen. Und genau das ist der Knackpunkt, an dem wir mit unserem Startup Projekt ansetzen wollen. Denn die Frage ist: "Warum passiert das noch nicht viel stärker?"
"Wir sollten uns nicht darauf ausruhen zu sagen, das ist Tradition, Schulen sind nur dazu da, Kinder auf den nächsten Schritt in der Bildung vorzubereiten und am Ende bekommen sie dann einen Schein (= Zeugnis). Die Schulen können natürlich berechtigterweise sagen: Es ist nicht mein Auftrag, dass hier auch noch ein guter Mensch rauskommt und das steht ja auf dem Schein auch nicht drauf. Da steht Mathe, Englisch, Deutsch drauf. Das sehen wir jedoch als Problem!"
Denn gleichzeitig sehen wir auch, dass die Bildungsgrade verfallen, weil immer mehr Organisationen und Firmen sagen: Deine Credentials sind mir gar nicht so wichtig, mach bei uns ein Assessment Center, wir wollen sehen, was Du als Mensch draufhast, egal, was dein Abschluss ist. Da hat sich definitiv etwas geändert. Wir möchten daher maßgeschneiderte Module für Lehrer und Schüler anbieten, um sie dabei zu unterstützen den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden.
Welche Rolle spielt die Covid19 Pandemie für den Bereich Wellbeing in der Bildung?
Corona hat eines ganz klar gemacht: Die Schulen brauchen einen viel stärkeren Fokus auf Wellbeing, weil sie die Kinder gar nicht mehr erreichen. Ein Kind mit psychischen Problemen ist nicht lernbereit. Aber auch die Lehrer können einknicken. Ein Lehrer im Burnout kann nicht unterrichten. Die Kinder fühlen sich nicht gesehen und gehört, die Lehrer fühlen sich nicht gesehen und gehört. Das ist eine Mischung, die wir gerade ganz oft erleben und hier geht es an die Substanz der Schule. Es gibt Studien, die eindeutig belegen, dass für junge Menschen die Schule der Stressfaktor Nummer 1 ist. Depressionen sind mittlerweile weltweit der Berufsunfähigkeitsgrund Nummer 1, der Onset ist dabei von 27.9 Jahren auf 14,5 Jahre gesunken. Das heißt, man kann annehmen, dass eines von 5 Kindern in dieser Altersgruppe ein mental health Problem hat, das aber in der Regel gar nicht diagnostiziert ist. Gleichzeitig gibt es eine immer stärker ansteigende Zahl von Burnout bei Lehrern.
Wo setzen eure Module von Createpositive da zum Beispiel genau an?
Wie ich eben schon meinte Schüler und Lehrer fühlen sich sehr oft „nicht gesehen und gehört. Das Gefühl der Zugehörigkeit ist im Bereich Schule jedoch unglaublich wichtig. Aktuelle Studien belegen, dass die Beziehung zwischen Schülern und Lehrern dazu wesentlich beiträgt. Es geht darum, eine Kultur des Miteinander zu schaffen und dies für die Lehrer und Schüler erlebbar zu machen. Es ist mittlerweile erwiesen, das funktionierendes Zugehörigkeitsgefühl die Lernerfolge aller in der Gruppe fördert. In einer Befragung von 12.000 SchülerInnen wurde das Gefühl der Zugehörigkeit zur jeweiligen Schule als einer der 2 Top Faktoren gegen Risikoverhalten und Stress angeführt. Der 2. Faktor war das Zugehörigkeitsfühl in der Familie. Wir starten jetzt gerade an einer Schule mit Workshops zum Thema „Belonging“ die paritätisch mit Lehrern und Schülern besetzt sind, wobei es zum Start mal darum geht, diese Erfahrung der Zugehörigkeit erlebbar zu machen und zu zeigen, was das allen Beteiligten bringt, warum das wichtig ist. Es geht um die Vermittlung von ganz klaren und einsetzbaren Tools.“
Wie begegnest Du Kritikern, die die Frage nach der Messbarkeit des Erfolges dieser Maßnahmen stellen?
Die Gehirnforschung legt hier in den letzten Jahren ganz klare Grundlagen. Wellbeing und die dahinter liegenden Prozesse im Gehirn sind messbar. Ein Beispiel für das Thema Belonging: Wissenschaftler können mittlerweile nachweisen, dass das Gefühl des Ausgeschlossenseins, im Schmerzzentrum des Gehirnes abbildbar ist. Das Zugehörigkeitsgefühl ist also eine messbare Voraussetzung für das Wohlergehen. Unsere Maßnahmen werden flankiert von wissenschaftlich validierten Assessments, die deren Wirksamkeit überprüfen.
Was war eine konkrete Erfahrungen wie Kinder mit diesen „neuen Inhalten“ an der Schule umgehen?
Die Kinder wollen ganz genau wissen, wo ihre Stärken liegen, wie sie diese vielleicht noch besser einsetzen können. Das war eine Erfahrung auf Augenhöhe, ein Dialog von Mensch zu Mensch, dann öffnet sich eine Tür und die Kinder sind unglaublich aufnahmefähig.
Unsere Expertin

Dr. Elke Paul ist Co-Founder von createpositive.org einer Bildungsplattform für Wellbeing und Zukunftsfertigkeiten.
Sie ist internationale Beraterin, Trainerin und Vertreterin für Positive Education bei IPEN und WomenEd in Deutschland. Sie hält einen Doktor der vergleichenden Erziehungswissenschaft, ein Diplom (FH) für Sozialpädagogik und ein Zertifikat für Positive Psychologie. Ihr Leben und ihre Arbeit in den USA, England, Australien, Asien und Europa schärft ihren Weitblick für ganzheitliche Schulentwicklung. Als Gründerin und Lehrerin eines Yogastudios hat sie ein mentales Gesundheits-Curriculum für junge Menschen entwickelt mit Jugendorganisationen erprobt.
In den letzten drei Jahren leitete sie Positive Education-Schultransformationen in Asien und Europa. Ihre Erfahrungen bündelt sie nun in dem interdisziplinären, internationalen Bildungs-Startup, der erweiterte Positive Education Ansätze für mehr Menschen zugänglich macht.
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