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Scheidung für Fortgeschrittene

von Julia Pühringer


Jede siebte Scheidung in Österreich erfolgt nach der silbernen Hochzeit. „Grey Divorce“ ist der internationale Modeterminus dafür. Beispiele bekannter Paare wie Melinda und Bill Gates oder Thea und Thomas Gottschalk hat man dazu noch im Hinterkopf. Aber was steckt hinter der Scheidung mit 50+? Freigeistige Frauen auf neuen Pfaden? Männer im 3. Frühling? Oder ein strukturelles Problem? Wir haben bei der Scheidungsanwältin Helene Klaar, einer Geschiedenen und einer Allgemeinmedizinerin nachgefragt.



Im Jahr 2022 wurden laut Statistik Austria in Österreich rund 13.500 Ehen geschieden. Die Gesamtscheidungsrate in Österreich liegt laut den Zahlen von 2021 bei 36,7 Prozent (in Deutschland bei 39,9 Prozent). Wie lange dauert das Glück im Durchschnitt? Die mittlere Ehedauer liegt bei 10,6 Jahren. Manche merken schon früh, dass sie einen Fehler gemacht haben: „1,2 Prozent der Ehescheidungen finden bereits innerhalb des ersten Ehejahres, weitere 4 Prozent im Laufe des zweiten Ehejahres statt”, so die Statistik. In westlich geprägten Ländern zeigte sich in den letzten Jahren aber ein Anstieg des Scheidungsalters. Inzwischen findet auch in Österreich jede siebte Scheidung – 13,8 Prozent, um genau zu sein – erst nach der Silberhochzeit, also nach mindestens 25 gemeinsam verbrachten Ehejahren statt. Zu 60 Prozent sind es laut Statistik Männer und nur zu 40 Prozent Frauen, die eine Scheidung nach der Silberhochzeit vollziehen.

Im Folgenden geht es hier um relevante Aspekte der Grey Divorce aus weiblicher Sicht.


In Österreich hat sich von 1985 bis 2019 die Anzahl der Grey Divorce-Fälle fast vervierfacht. Das liegt an einer älter werdenden Bevölkerung, aber nicht nur: Eine Scheidung, bei der eine/r der Beteiligten über 50 Jahre alt ist, hat andere Gründe als eine in jungen Jahren. Soziologin Dr. Sonja Dörfler-Bolt erklärt es im Forschungsbericht „Grey Divorce in Österreich“ für das Österreichische Institut für Familienforschung so: Oft hänge die Trennung mit dem Auszug des letzten Kindes zusammen, einem Gefühl, sich auseinandergelebt zu haben. Als Belastung würden nach all den Jahren auch Rollenungleichheiten und unausgewogene Aufteilungen von Verantwortung empfunden, egal ob es ums Geld oder die unbezahlte Care-Arbeit geht. Ohne kleine Kinder im Haushalt falle noch stärker auf, wenn es an emotionalem Rückhalt, Wertschätzung und lebendiger Kommunikation fehlt. Auch medizinische Krisen fördern das Nachdenken darüber, was man vom Leben noch will: Ein Grundziel bei der späten Scheidung ist, die Lebenszeit, die einem noch bleibt, genießen zu wollen, so die Studie.


Partnerinnen mit finanzieller Unabhängigkeit treffen eher die Entscheidung zur Scheidung. Bei weniger ökonomisch privilegierten Scheidungen kommt es bei den Frauen eher zu finanziellen Engpässen. Die sozialen Auswirkungen treffen allerdings wiederum meist die Männer: Frauen haben bessere Beziehungen zu Freund*innen und Kindern – wohl auch deshalb schätzen sie nach einer Scheidung eher Werte wie Freiheit und Unabhängigkeit. Eine Erkenntnis, die die Studienautor*innen ins Treffen führen, ist die gestiegene Akzeptanz von Scheidungen in der Gruppe von Menschen mittleren Alters. Dass das Beenden einer Ehe mittlerweile nicht mehr sozial so sanktioniert wird wie noch vor 50 Jahren, dürfte ein Mitgrund sein, dass „bis dass der Tod euch scheidet” nicht mehr wortwörtlich genommen wird.


„Drum prüfe, wer sich ewig bindet…”


Eine, die sich mit den Mustern auskennt, die weit über das individuelle Beziehungs- und Scheidungsverhalten hinaus wirksam sind, ist Helene Klaar, vermutlich eine der wenigen Scheidungsanwältinnen mit einem eigenen Wikipedia-Eintrag. Die 1948 in Wien geborene Klaar – selbst Tochter eines Anwalts – betrachtet sich übrigenstrotz der großen Bekanntheit nicht als „angesehen“ in ihrem Fach: „Was ist ein angesehener Anwalt? Ein Wirtschaftsanwalt. Der rührt ja eine Scheidung nicht einmal an. Es ist einfach unter seiner Würde. Der will doch nicht mit psychologischen Problemen, weinenden Frauen oder traurigen Kindern behelligt werden”, meint Klaar.


„Ich habe sehr viele weinende Frauen in meiner Kanzlei. Ich habe immer geschaut, dass auf meinem Schreibtisch ein Packerl Papiertaschentücher liegt.“

Die emanzipierte Frau, die im Alter die Scheidung möchte, um sich selbst zu verwirklichen, sei in ihrer Kanzlei die Ausnahme, erzählt sie. Ein Grund für eine späte Scheidung, so Klaar, seien vor allem erwachsen gewordene gemeinsame Kinder. „Eine Frau mit kleinen Kindern kann sich gar nicht scheiden lassen, weil die viel zu viel um die Ohren hat, um überhaupt darüber nachzudenken, ob sie persönlich glücklich ist. Wenn dann die Kinder größer werden und die Frau draufkommt, dass jedes Familienmitglied irgendwann lernt, seinen Teller selber in die Küche zu tragen und in den Geschirrspüler zu stellen, bis auf einen, dann haut's den auch raus“, so Klaar, die sich auch als Autorin von Scheidungsratgebern einen Namen gemacht hat.


Pensionsreform und Altersarmut


Lange hat Helene Klaar versucht herauszufinden, warum es überhaupt zu Scheidungen kommt und sich gefragt: „Was könnten Frauen richtig machen? Und ich habe festgestellt, Frauen können gar nichts richtig machen. Es gibt nur Dinge, die besonders falsch sind. Und dazu gehört die Aufgabe des eigenen Berufs. Das ist das absolut Schädlichste.“ Eine verpflichtende 30-Stunden-Woche für Eltern mit Kindern unter 15 hält sie beispielsweise für eine gute Lösung, um Partnerschaft, Erziehung und Arbeitsleben in einer modernen Gesellschaft zu verwirklichen. Denn die Teilzeitarbeit, in die vor allem Frauen aufgrund der nach wie vor nicht gelösten, lebbaren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit gehen, wirkt sich negativ auf die Höhe der Pension aus und begünstigt Altersarmut. Im Jahr 2022 betrug die Teilzeitquote in Österreich insgesamt durchschnittlich 30,5 Prozent; bei den Männern 12,6 Prozent und bei den Frauen satte 50,7 Prozent.


Bis 2003 wurden die 15 besten Jahre als Basis für die Pensionsberechnung herangezogen, eine Frau konnte also auch inklusive der Kinderbetreuungszeiten noch auf eine gute Pension kommen. Seit 2004 werden in Österreich für die Pension die besten 40 Jahre des Einkommens als Basis herangezogen – die Teilzeitfalle rächt sich im Alter also doppelt. Eine Vollzeitstelle sei aber mit den Anforderungen und Bedürfnissen, die kleine Kinder – zu Recht – haben, nicht vereinbar.

Helene Klaar analysiert nüchtern:


„Ich habe mal versucht, auszurechnen, wie Leute 40 Stunden arbeiten, beide, und vielleicht noch jeden Tag mehr als eine Stunde zur Arbeit hin und wieder zurückfahren. Und dann versuche ich mir auszurechnen, wann die gesund einkaufen, Karotten putzen, mit dem Kind nach dem Kindergarten noch auf den Spielplatz gehen, Hausaufgaben kontrollieren, kein Junkfood kochen, trainieren, sich pflegen, aufregenden Sex haben und natürlich sieben bis acht Stunden schlafen – das kann sich nicht ausgehen.“

Man müsse Prioritäten setzen, so Klaar: „Natürlich muss man Energien in die Kinder stecken, aber auch in die eigene Karriere und nicht in die von jemand anderem. Diese Balance muss man schaffen, das ist schwer genug und den Haushalt muss man auch rudimentär machen”.

Das alles sei kein Grund, nicht zu heiraten, so Klaar, denn der Vergleich zu den Rechten in einer Lebensgemeinschaft falle deutlich aus. „So bescheiden die Rechte aus einer Ehe sind, sind sie immer noch die Welt gegen die Stellung einer Lebensgefährtin“, erläutert sie. Lebensgefährtinnen hätten die schlechteren Karten: „Bei Lebensgefährtinnen wird immer angenommen, dass sie alle Dienstleistungen erbringen im Hinblick auf die Freude der Lebensgemeinschaft.“ Wer Kinder großzieht, die Eltern pflegt, die Firma mit aufbaut, hat als Unverheiratete bei einer Trennung trotzdem keinen Anspruch.


Wie ich leben will


Die große Frage, was sich ausgeht – und was man sich leisten kann –, hat auch Sonja* für sich beantwortet. Auch hier war die Situation wie von Klaar beschrieben: Die Kinder waren schon groß, als es zur einvernehmlichen Scheidung kam. Jahrelang hat die heute 57-Jährige neben der Arbeit die Familie im Alleingang organisiert. Die Veränderung hat nicht mit dem Wunsch nach der Scheidung begonnen, sondern mit dem sehr deutlichen Gedanken:


„Ich will nicht die nächsten dreißig Jahre so leben. Ich bin zunehmend allein im Wohnzimmer gesessen und keiner hat mit mir gesprochen, da habe ich mir gedacht, dafür bin ich zu jung.“

24 Jahre war sie mit ihrem Ex-Mann zusammen, nach der Trennung hat ihm „seine Familie gleich Tipps gegeben, wo er seine Hemden bügeln kann um zwei Euro“. Der Kontakt verlor sich schnell. Obwohl Bestverdiener, gab es Diskussionen über die Alimente mit dem Ex-Mann, der, weil er das Leben der Kinder eben nie organisieren musste, absolut gar keine Vorstellung davon hatte, was es kostete – an Geld und Aufwand.

Sonja baute sich nach der Scheidung ihre eigene Firma auf. Seither ist sie allein. „Ich kümmere mich nur mehr um mich, jetzt bin ich wirklich angekommen.“ Beruflich schaltet die Steuerberaterin mittlerweile einen Gang zurück. „Ich habe tatsächlich erst lernen müssen, mich um mich selbst zu kümmern“, erzählt sie. Und das sei ein jahrelanger Prozess gewesen. „Wenn man sich permanent immer um andere kümmert, um die Familie, die Firma, bleibt man auf der Strecke“, erkennt sie jetzt. Es hat gedauert, bis sie soweit war. „Jetzt liegt der Fokus auf mir“, freut sie sich.


Alte Falle Rollenbild


Auch Sonja erkennt den deutlichen Zusammenhang zwischen gesellschaftlich vermitteltem Rollenbild und ihren privaten Entscheidungen. „Das war schon Thema, als ich jung war: Die Karrierefrau muss Familie und Karriere unter einen Hut bringen, und das schaffen nur die Starken. Natürlich wollte man stark sein. Im Rückblick kann ich jungen Frauen nur sagen: Tut das nicht, ihr brennt nur aus, der Partner muss die Hälfte machen.“ Das Burnout kam mit Vehemenz, das durchgetaktete Leben zerbröselte. Sonja selbst dachte dennoch, sie tue zu wenig. Eine Ärztin erklärte ihr dann, dass es normalerweise drei Leute brauche für das Pensum, das ihren Alltag bestimmt hatte.


Ihr zweiter Rat ähnelt dem von Klaar: Nicht in die Teilzeitfalle tappen. „Solange das Kinderbetreuungsthema ein Frauenthema ist, werden wir nie davon wegkommen, dass Frauen in der Teilzeitarbeit landen, und das ist eine Armutsfalle“, so Sonja. Ihre eigene Scheidung war nur möglich, weil sie keine finanziellen Existenzängste hatte. Sie befürwortet „ein zwingendes Pensions- und Einkommenssplitting“, das finanzielle Risiko des Kinderhabens sollen beide gemeinsam tragen. „Erst wenn sich gesellschaftlich wandelt, was Ehe heißt, tut man sich als Paar leichter“, so Sonja. Junge Menschen bräuchten ihrer Meinung nach mehr Aufklärung, wie sich gemeinsame Regeln in Sachen Geld aufstellen ließen: „Wie mach ich einen Haushaltsplan, wie komme ich mit meinem Geld aus, was sind meine Fixkosten.“ Erst so könnten vorhersehbare Krisen verhindert werden.


Mehr Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse


Frauen in der Krise kennt auch Dr. Prantner*. Sie ist Ärztin für Allgemeinmedizin und hat schon mit vielen, auch todkranken Frauen gearbeitet. Sie hat dabei ein Muster beobachtet: Bei schweren Krankheiten finde öfter ein Prozess der „Entrümpelung“ statt, erzählt sie im Gespräch. Nicht oft, aber immer wieder, ist diese an die Substanz gehende Lage für ihre Patientinnen zum Auslöser geworden, sich zu trennen. Es gebe bei Frauen in gesundheitlichen Krisen „mehr Bewusstsein für das eigene Leben und die eigenen Bedürfnisse“.

Mit Gewohnheiten werde gebrochen, das Gefühl, keinen Ärger zu wollen, nehme angesichts der drastischen Situation ein Ende. Auch stille, zurückhaltende Frauen habe sie erlebt, die dann plötzlich doch noch erkennen, was gut für sie ist. „Oft ist man überrascht, dass die ganz verschüchterten, die immer mit dem Mann dahergetappert sind und immer den Mann sprechen ließen, das Leben plötzlich selbst in die Hand nehmen“, berichtet die Ärztin aus ihrem Praxisalltag.


Zu heiraten ist eine jener Entscheidungen, die wesentliche Jahr(zehnt)e eines Lebens prägen. Es gilt also, ein Empfinden für die eigenen Bedürfnisse schon vor einer Krise zu entwickeln. Und dafür braucht es, wie alle drei Interviewpartnerinnen übereinstimmend festgestellt haben, dringend und rasch ein gesellschaftliches Umdenken und Umgestalten der gesetzlichen Rahmenbedingungen, Freiräume – gedankliche und finanzielle – sowie die richtigen Prioritäten im Leben.


* Namen von der Redaktion geändert


 

Im Gespräch mit


Helene Klaar ist auf Ehescheidungen spezialisierte Rechtsanwältin, sie beschreibt sich selbst als „zähen Gegner“. Klaar wurde 2004 mit dem Wiener Frauenpreis ausgezeichnet. Im Auftrag von Johanna Dohnal verfasste sie 1982 einen Scheidungsratgeber für Frauen, der schon mehrmals neu aufgelegt worden ist.






 

Unsere Autorin


Julia Pühringer ist Journalistin und Filmkritikerin und schreit gern ins Internet. Sie schreibt u. a. für tele, Falter, den Standard und die an.schläge.










 

Unser Buchtipp zum Thema: „Das Ende der Ehe: Für eine Revolution der Liebe“ von Emilia Roig

(Ullstein Verlag)


Rezension von Pamela Rußmann


Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende. Oder eher nicht? Für die französisch-deutsche Politikwissenschaftlerin Emilia Roig lautet die Antwort eindeutig: „eher nicht“. In ihrem neuesten Buch macht sie gleich mit der Wahl des Titels klar, wohin die Reise geht: „Das Ende der Ehe“ ist ihr Ziel. Die Analysen und Schlüsse, die Roig zieht, sind keine Neuigkeiten – die Art und Weise, wie die Autorin allerdings die negativen Auswirkungen der gesetzlichen Eheschließung auf Frauen dekonstruiert und verdichtet, hat das Zeug zu einer veritablen Rebellion zu Ungunsten des Patriarchats.


„Patriarchale Gesellschaften bringen heterosexuellen Frauen bei, sich in Relation zu ihrem Partner zu definieren“, schreibt Roig über die strukturelle Unterdrückung des weiblichen Geschlechts. „Frauen neigen dazu, ihren Selbstwert von ihrem Mann, ihrer Beziehung, der gemeinsam gegründeten Familie abzuleiten. Männer tun das viel weniger. Mädchen lernen früh, sich nach Aufmerksamkeit von Männern und romantischen Gefühlen zu sehnen.“


Die 1983 in Frankreich geborene und in Berlin lebende Politologin erläutert, wie die Heirat zweier Menschen weit über die intime Paarbeziehung hinaus wirkt: Sie strukturiere den Staat, die Nation, die Religion, die Wirtschaft, die Kultur wie keine andere Institution. Der Staat, der keine neutrale Entität sei, sondern von überwiegend heterosexuellen, verheirateten Männern ausgestaltet werde, profitiere davon, dass Frauen den Großteil der Pflege- und Betreuungsarbeit zu Hause gratis leisten würden. Ihr Fazit: Wir können die großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit nicht lösen, ohne die Rolle der Ehe zu hinterfragen. Emilia Roig hält in diesem Buch ein couragiertes Plädoyer für ein Überdenken unserer Liebes- und Lebensbeziehungen und letztlich auch unseres Wirtschafts- und Finanzsystems.

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